13. November 2023 - 10:56

Gina © Patricia Haas

 

Vielleicht steckt Gina ihre Nase ins Fell der geliebten Gefährtin und saugt den wunderbaren Fellgeruch ein - das würde ich machen-, vielleicht küsst sie sie auch auf den samtigen Brustkorb.

Das Foto stammt von der Berliner Fotografin Patricia Haas. Sie zeigt in ihrer von 2020 bis 2022 entstandenen Fotoserie Frauen und Mädchen mit ihren Hunden, Katzen, Vögeln und anderen Tieren.

Das Projekt trägt den Namen "Gefährtin" und spiegelt damit den Charakter der vertrauten Beziehungen wider. Doch wer sind die Gefährtinnen? Sind damit die Tierhalterinnen oder die Hündinnen gemeint? Laut Lexikon ist eine Gefährtin eine "mir durch Schicksal oder Zuneigung verbundene Person" und meint damit eigentlich die dargestellten Frauen: "Ich habe die Sicht des Tieres gewählt, weil es die in der Malerei nicht gibt." (Patricia Haas zit. n. metropol)

 

Rita © Patricia Haas

Rica © Patricia Haas

 

Patricia Haas sagt, sie habe nicht von Anfang an geplant, nur Frauen und Mädchen zu fotografieren, sondern dass sich das während des Projekts ergeben hätte. Und sie habe das Gefühl, dass das Verhältnis zwischen Frauen und ihren Tieren ein ganz besonderes sei. Obwohl selbst Gefährtin einer Hündin, teile ich ihr Gefühl keineswegs. Wie ich auch aus eigener Erfahrung weiß, können auch Männer eine ganz besondere Beziehung zu Hündinnen oder Rüden haben: Vielleicht gibt es ja auch irgendwo eine Serie mit "Gefährten".

 

Nadine © Patricia Haas

Yasmina © Patricia Haas

Frieda © Patricia Haas

Luise © Patricia Haas

Jacqueline © Patricia Haas

Gabi © Patricia Haas

Maxi © Patricia Haas

 

Die Verbindung zwischen Menschen und Hunden ist sicher außergewöhnlich - er steht seit 15000 Jahren an unserer Seite - und ihre Darstellung zieht sich durch die ganze Kunstgeschichte. Haas hat sich für ihre Arbeit mit diesen traditionellen Darstellungen auseinandergesetzt. Während Männer mit ihren Hunden zum Beispiel auf der Jagd zu finden sind, stellen Tiere oft bestimmte Attribute dar, die den Frauen zugeschrieben werden: die wilde Frau, die flatterhafte Frau, die exotische Frau, die treue Frau. Die Fotografin bricht diese Stereotype der Kunstgeschichte: Entstanden sind Doppelporträts, die die Zweiteilung in menschliche und nicht-menschliche Spezies aufhebt, die Vertrautheit und Wärme zwischen Mensch und Tier zeigen, ja eine "Spezies der Gefährt:innen" erschafft. (vgl. monopol)

Hund und Mensch blicken nicht in die Kamera, sie kommunizieren nicht mit uns Betrachtenden, sondern sind gemeinschaftlich in die Szene versenkt. Beide treten im Bild als gleichberechtigt auf, in ihrer Beziehung zueinander verbunden. Diese Innigkeit, die uns ausschließt, wirkt durch ihre Reserviertheit manchmal kühl, manchmal sogar emotionslos.

Patricia Haas ist freie Fotografin und Grafikerin und lebt in Berlin.

alle Bilder © Patricia Haas

 

Fotografie
30. Oktober 2023 - 8:27

All I Think About, 2022 © Julia de Ruvo

 

Für die schwedische Künstlerin Julia de Ruvo waren Tiere schon immer Teil ihres Lebens. Sie schreibt ihnen die schönsten Eigenschaften zu, die es gibt und bewundert sie dafür, dass sie alles, was sie fühlen, mit ihrem Körper, ihren Schwänzen, Zungen, Augen und Ohren ausdrücken. Hunde begleiten uns gewissenhaft durch unser tägliches Leben und spenden Trost, während sie gleichzeitig unberechenbar und manchmal sogar wild sind.

 

Makes Me Feel Silly, 2022 © Julia de Ruvo

I Thought I Told You, 2022 © Julia de Ruvo

 

Inspiriert von ihren alltäglichen Beziehungen zu Tieren, fängt de Ruvo deren Emotionen mit einem bissigen, humorvollen und gefühlsbetonten Ansatz in der Malerei ein. Ich beschränke mich auf die Darstellungen ihrer Hunde, die sie in gesteigerten emotionalen Zuständen zeigt.

 

Trying To Make Friend In The Dog Park, 2022 © Julia de Ruvo

Fak I Dropped the Leash, 2022 © Julia de Ruvo

 

Oft arbeitet die Künstlerin in der Ruhe der Nacht, weshalb ihre verwendeten Farben - bläulichen Grautöne - an die Abenddämmerung erinnern und den Bildern eine beunruhigende, distanzierte Qualität verleihen, die eine Müdigkeit suggeriert, sowohl in Bezug auf die abgebildeten Tiere als auch auf die Künstlerin selbst.

 

Cami, Pauli and Sunny, 2022 © Julia de Ruvo

It‘s a runaway boy, 2023 © Julia de Ruvo

She ran away years ago, 2023 © Julia de Ruvo

Angel Baby, 2023 © Julia de Ruvo

Min bror och jag, 2023 © Julia de Ruvo

Wrong house, 2023 © Julia de Ruvo

Miss you every day baby, 2023 © Julia de Ruvo

Waiting for puppy heaven, 2023 © Julia de Ruvo

Walk with Maia and Gigi, 2023 © Julia de Ruvo

 

Julia de Ruvo (geb. 1993, Stockholm) studierte an der Konstskolan Art School in Stockholm, bevor sie ihre Malerei weitgehend autodidaktisch weiterentwickelte. 2022 stellte sie in der Guts Gallery, London und Coulisse Gallery, Stockholm aus. 2023 folgt de Ruvos erste Einzelausstellung in den Vereinigten Staaten in der Galerie Steve Turner.

 

Quellen: Coulisse Gallery, Guts Gallery, Steve Turner

alle Biolder © Julia de Ruvo

Malerei
22. Oktober 2023 - 16:08

No, 2021 © Robert Roest

 

Der niederländische Künstler Robert Roest stellt unsere liebenswerten und geliebten Hunde vermeintlich böse dar. Wütend und feindselig blicken sie auf die Betrachtenden. Doch sind sie tatsächlich wütend oder täuschen uns nur die Bilder auf hinterlistige Art und Weise?

Die Vorlagen für seine Gemälde findet der Künstler im Internet: Bilder von Instagram, Memes und Standbilder aus YouTube-Hunde-Videos.

Seine Malereien thematisieren und manifestieren die Diskrepanz zwischen Bild (fotografischer Vorlage) und Wirklichkeit. Die Bilder, die er im Internet gefunden hat, waren Schnappschüsse mit vielen Kamerafehlern und in schlecht beleuchteten Räumen aufgenommen. Durch die Unschärfe ergaben sich aggressive Kiefer, lange Zähne und bedrohliches Grinsen, das Blitzlicht ließ die Augen leuchten und wie besessen aussehen. Es ist aber das Medium und die Technik der Kamera  (z.B. der Unterschied in den Objektiven), die unsere freundlich gähnenden oder bellenden Hunde aggressiv aussehen lassen und uns in die Irre führen.

 

Yess, 2021 © Robert Roest

Soul Worms, 2020 © Robert Roest

Chorus, 2020 © Robert Roest

Vision, 2021 © Robert Roest

 

Auch wenn sie an den mythologischen Hund Cerberus erinnern, sind sie vermutlich nette und feine Haustiere, die nicht in der Unterwelt leben, sondern ganz nah in unseren Häusern, auf unseren Teppichen. Vielleicht sogar in unseren Herzen.

 

Please Dis-ease, 2020 © Robert Roest

Full moon and stinky smelling spirits, 2021 © Robert Roest

Black Dog, 2020 © Robert Roest

Black leather heart 2021 © Robert Roest

Exit, 2020 © Robert Roest

Interior Phlegethon, 2020 © Robert Roest

 

Roest arbeitet in Serien und in vielen Stilen, sodass man nicht vermuten würde, dass diese unterschiedlichen Serien von einem Künstler sind. Er geht von seinen Ideen aus und wählt für deren Umsetzung den Stil, der seinen Ideen am besten entspricht. Die serielle Herangehensweise ermöglicht es ihm, seine Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu erforschen, mehrere Stile einzusetzen und seine Arbeit offen zu halten. Deshalb arbeitet er sowohl abstrakt, expressionistisch, minimalistisch oder wie bei der Hunde-Serie klassisch-figurativ. Schauen Sie sich dazu am besten seine Homepage an.

Roests Malerei hat ihre visuellen Wurzeln sowohl in der Geschichte der Malerei als auch in der zeitgenössischen Welt der sozialen Medien. Seine Hunde-Serie wirkt also durch die Verbindung zweier Bildsprachen: der klassisch-akademischen, ja domestizierten Malerei mit ihrem Gegenteil: der wilden, freien, unkontrollierten und fehlerbehafteten Ästhetik des Digitalen. Er sagt selbst in einem Interview, dass es ihm gefällt, Bilder zu malen, die schön und fotorealistisch sind, während das Dargestellte hässlich ist.

 

Ausstellungsansicht © Robert Roest

 

Robert Roest (*1992/NL) studierte an der HKU (Hogeschool voor de Kunsten Utrecht). Malerei ist sein bevorzugtes Medium in dem er Phänomene wie Wahrnehmung, Projektion, Illusion und Repräsentation am besten untersuchen und ausdrücken kann. Er lebt und arbeitet in New Jersey/NJ/USA.

Quellen: Guts Gallery, Forward, Overstandard, TZ, Archive 00

alle Bilder © Robert Roest

 

Malerei
28. Juni 2023 - 13:40

Dolce, 2023. © Irena Posner

 

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich dem skulpturalen Werk der britischen Künstlerin Irena Posner, die noch bis zum 29. Juli 2023 in der Wiener Galerie Kandlhofer ausstellt, zu nähern: eine formale und eine inhaltliche.

Formal interessant ist, dass Posner ihre Skulpturen aus Marmor - genauer Carraramarmor - herstellt. Also aus dem Material, aus dem Michelangelo seinen heroischen "David" gehauen hat. "Carrara-Marmor ist ja kein Stein mehr, das ist geradezu ein Edelstein. Ein Edelstein honoris causa", wie Claudia Aigner in der Wiener Zeitung schreibt.

Die Geschichte der Malerei ist immer auch die Geschichte dessen, was als darstellungswürdig erachtet wurde. Irena Posner stellt die Frage der Darstellungswürdigkeit im Bereich der Marmorskulptur, wenn sie kopulierende Hunde in Stein bannt.

Dieses Werk, "Dolce" betitelt, ist eine Anspielung auf Berninis Vergewaltigungsdarstellung "Raub der Proserpina". Die Berninis Skulptur innewohnende Gewalt und Brutalität wird durch den Marmor zusätzlich ästhetisiert. Indem Irena Posner eine kurze Hundepaarung in dauerhaften Stein festhält, rekontextualisiert sie den Marmor und nutzt das Material als Testfeld für die impliziten Vorurteile, die der Marmor als Material der Verehrung und Unterwerfung mit sich bringt.

 

There are strong opinions about what can and can’t be represented in marble. That frustration or perception that the material is used ‘improperly’ is kind of the sweet spot for me. It complicates our perception of what we thought was an innocuous piece of stone.  Suddenly we are asking questions about value and what is worthy of being re-presented in marble. (Posner  zit. n.  Galerie Kandlhofer)

Es gibt starke Meinungen darüber, was in Marmor dargestellt werden kann und was nicht. Diese Frustration oder der Eindruck, dass das Material „unangemessen“ verwendet wird, ist für mich der springende Punkt. Es verkompliziert unsere Wahrnehmung von etwas, von dem wir dachten, es sei ein harmloses Stück Stein. Plötzlich stellen wir Fragen über den Wert und darüber, was es wert ist, in Marmor dargestellt zu werden. (übersetzt mit DeepL)

 

Dolce, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

Dolce, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

Dolce, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

 

Ein Rückblick auf die Darstellung von Haustieren in der Marmorskulptur zeigt, dass es eine lange Tradition von Tierdarstellungen am Fuße von Königsgräbern gab. Das Hundemotiv war typisch für weiblichen Grabschmuck (Löwen für Männer) als Symbol der Hingabe und Treue. Letztlich stellen die Werke von Irena Posner sowohl die Erwartungen an Marmor als auch die Idealisierung und Memorialisierung von Tieren in Frage. (vgl. Galerie Kandlhofer)

Inhaltlich geht es bei ihren Werken für "Best in Show" um durch Tierdiskurse dargestellte Machtstrukturen, selektive Zucht und Fetisch. Grundsätzlich bewegen sich die Arbeiten Irena Posners im Bereich der Allegorie, des Spiels und des Humors.

Der direkt auf den Marmor geschweißte Stahlmaulkorb, die abgeschnittenen spitzen Ohren und der kupierte Schwanz des Dobermanns in ihrer Skulptur "No tongue can tell, no tail can wag" sind Gestaltungsmerkmale und Signifikanten des kuratierten Stammbaums. Abgerichtet und mit Maulkorb versehen, verschafft sich der Hund einen Status unter anderen Tieren. Posner bezieht sich auf Donna Haraways "When Species Meet", in dem Hundetrainingsregime die ständige Zügelung der Begierden eines Hundes beinhalten, bis die "Tugend" der Selbstbeherrschung gefestigt ist - eine eindeutig menschliche Tugend, die wir unseren Haustieren einimpfen.

 

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

 

Donna Haraways Texte tauchen bei der Rezeption zeitgenössischer Kunst immer wieder auf. 2021 wurde sie vom Kunstmagazin Monopol zur einflussreichsten Person der Kunstwelt gewählt. Grund genug endlich das Merve-Bändchen "Manifest für Gefährten" herzunehmen, das ihren Text von 2003 übersetzt und sich selbstverständlich in der Bibliothek meines Mannes befindet.

 

Am Beispiel der Beziehung zu ihrem Hund Cayenne untersucht die Autorin in „Das Manifest für Gefährten“ das Verhältnis von Mensch und Tier. Dort verwebt sie ebenso klug wie ungewöhnlich persönliche Erfahrungen mit wissenschaftlicher Analyse und kritischer Reflexion. Auf evolutionsbiologischer, geschichtlicher und persönlicher Ebene beschreibt Haraway die Entwicklung der „Gefährt*innen-Spezies“ nicht als einen einseitig vom Menschen dominierten, domestizierenden Prozess, sondern als wechselseitiges, gemeinsames Lernen und Werden von Mensch und Tier. Sie analysiert die historischen und politischen Dimensionen des Machtverhältnisses (beispielsweise den Einsatz von Hunden in Vollzugsanstalten und zur Grenzsicherung) und plädiert für einen liebe- und verantwortungsvollen Umgang mit der „signifikanten Andersartigkeit". (zit. n. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen)

 

Irena Posner hat einen Master in Bildhauerei vom Royal College of Art. Sie wurde 2023 mit dem Harlow Sculpture Town Artist in Residence ausgezeichnet und erhielt 2021 den Gilbert Bayes Sculpture Award. Sie war in der engeren Auswahl für den Kenneth Armitage Award 2022 und hat Aufenthalte in Carrara/Italien und Weymouth/England, absolviert. Sie arbeitet in Carrara und London.

 

Irena Posner bei der Arbeit
Irena Posner bei der Marmorbearbeitung, Foto RCA

 

Quellen: Galerie Kandlhofer, RCA, Wiener Zeitung

 

Ausstellung, Skulptur
12. Juni 2023 - 9:31

Winter, 2020 © Hannes Mussner

 

Schon auf den ersten Blick erinnerten mich Hannes Mussners figürliche Holzarbeiten an die Skulpturen von Stephan Balkenhol. Ich war also wenig überrascht, als ich las, dass er bei ihm Meisterschüler ist.

Und doch gibt es einen Unterschied zu den Arbeiten seines Lehrers: Seine Menschen sind fragiler, sehnsüchtiger, suchender.

 

Winter, Detail, 2020 © Hannes Mussner

 

Der Mann in "Winter" sieht aus, als wäre er gerade erwacht, als würde ihm gerade Leben eingehaucht. Aufrecht steht er da, mit großen fragenden Augen und staunend geschürzten Lippen, mit einem existenzialistischen schwarzen Rollkragenpullover und aufgestelltem Mantelkragen für das Leben förmlich "gerüstet". Was wird aus ihm werden?

Mussners Menschen sind Individuen, gemeinsam ist ihnen das noch Unbestimmte, das sie zum Träger existenzieller Fragen werden lässt.

Neben den selbstbezogenen menschlichen Figuren sind auch Hunde ein Thema für Hannes Mussner, weshalb er Eingang in diesen Blog findet. Da meine ersten beiden Hunde Mittelschnauzer waren, freut es mich besonders, dass er diese Rasse in Holz und Bronze verewigt hat. Der "Schauzer im Schnee" und der wesentlich kleinere schwarze "Abraxas" sehen sich sehr ähnlich. Dazu der Künstler in einem Interview:

 

Ich mag Hunde sehr gern. Der Schnauzer wirkt bedrohlich, ist aber im Grunde ein sehr braver Hund. Die schneeweißen Pfoten verweisen auf seinen verspielten Charakter. Sein kleineres Spiegelbild in Schwarz erfüllt dagegen die Klischees eines Höllenhundes, obwohl Abraxas als mythologischer Ursprung eines göttlichen Urwesens gilt. Durch den Vergleich der beiden Figuren provoziere ich Vorurteile zu reflektieren und sie vielleicht sogar zurechtzurücken.

 

Schnauzer im Schnee, 2022, Zirbelkieferholz, Acrylfarbe © Hannes Mussner

 

Abraxas, 2022, Bronze © Hannes Mussner

 

Als Bildhauer verwendet er in seiner Formsuche Ton, Wachs, Gips, Kunstharz und andere Materialien, am wichtigsten ist ihm aber Holz, weil,

 

Holz in seinen Eigenschaften und  in seiner Komplexität, als einmal lebendige Materie, sein Wachstum, die Zeit, Fasern, Knoten und Wunden, die es in sich trägt, dem Menschen und Tieren als Material am ähnlichsten ist. (Mussner hier)

 

Meistens modelliert er zuerst kleine Modelle in Ton oder Wachs, bevor er mit der Gestaltung in Holz beginnt. Mit jeder Holzart kann er seinen Skulpturen unterschiedlichen Ausdruck verleihen. Das raue Pappelholz verwendet er, wenn er eine expressive materialbetonte Oberflächenbehandlung erreichen will, Lindenholz hingegen für glatte Haut. Natürlich ist der Schnauzer mit seinem rauen Haarkleid aus Pappelholz.

 

Abraxas, 2020, Pappelholz, Acryl © Hannes Mussner

 

Hannes Mussner (*1989 in Bozen/Italien) lebt und arbeitet zwischen Wolkenstein in Gröden/Italien (ITA) und Karlsruhe. In St. Ulrich in Gröden besuchte er einen Spezialisierungslehrgang für Holzbildhauer und sammelte Erfahrungen im Atelier des Künstlers Aron Demetz. Seit 2017 studiert er Freie Kunst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe in der Klasse von Stephan Balkenhol, dessen Meisterschüler er 2023 wird.

Quellen: Schabel Kultur-Blog, Galerie OH, Galerie Schmalfuss Berlin

alle Bilder © Hannes Mussner

 

Skulptur
5. Juni 2023 - 12:46

In der Gruppenausstellung "Cherries On Top" in der Galerie Judith Andreae in Bonn sind noch bis zum 1. Juli 2023 Werke junger Künstler und Künstlerinnen zu sehen, darunter auch Tobias Vetter. Von ihm möchte ich Ihnen ein Gemälde mit Hund zeigen, das ich auf seiner Homepage entdeckt habe.

 

Privileg, 2020 © Tobias Vetter

 

Während Tobias Vetter unterschiedlichste Materialien als Bildträger für seine mittel- bis großformatigen figürlichen Malereien verwendet, bleibt er in seiner Farbauswahl beständig: Sie reicht von Türkis-Grün über Indigo bis zu Rosé-Tönen. Beständig ist er auch in der Gesichtslosigkeit vieler Figuren. Die Köpfe sind nicht nur gesichtslos, sondern leer, der Hintergrund dringt in den Kopfraum vor.

Die anonymen Protogonisten seiner Öl- und Acrylbilder finden sich in unwirtlichen (triste Umgebung in kalten Farben) und unwirklichen Situationen wieder: Eine Frau scheint über einem Hund zu schweben. Der Dobermann ist der Einzige, dessen Kopf ausgearbeitet ist, der bodenständig, kraftvoll, verwurzelt wirkt. Unwillkürlich dachte ich sofort an die Bronzeplastik "Der Engel der Stadt" von Marino Marini, wenngleich dort ein Mann auf einem Pferd sitzt.

Eine zweite Figur, in eine Art Poncho gewandet, "beobachtet" dieses martialisch anmutende Setting. In welcher Beziehung stehen die Figuren zueinander? Ist deren einzige Gemeinsamkeit, dass sie Gegenwart und Leinwand teilen? Erzählt das Werk von emotionaler Distanziertheit oder sozialer Distanz der Protagonisten? Erzählt es von Vorrechten - schließlich heißt das Werk "Privileg" - und Diskriminierung?

Tobias Vetter verweigert sich einer Einordnung:

 

I want to capture the tensions which are created by contradiction . I want to visualize the tarnished core of our very existence. (zit. n. hier)

(Ich möchte die Spannungen einfangen, die durch Widersprüche entstehen. Ich möchte den trüben Kern unseres Daseins sichtbar machen).

 

Tobias Vetter (*1985 im Allgäu/D) studierte Illustration und Grafikdesign an der Hochschule für Bildende Künste und Kunsttherapie in Bochum und zog 2011 nach Berlin. Nachdem Vetter mit seinen monochromen Tattoo-Kunstwerken bekannt wurde, wechselte er 2019 zur Malerei und Bildhauerei. Er lebt und arbeitet in Berlin.

 

Bild © Tobias Vetter

 

Ausstellung, Malerei
1. Juni 2023 - 11:11

Sollten Sie im Sommer London besuchen wollen, kann ich Ihnen folgende Ausstellung ans Herz legen: Großartige Hundeporträts - über die Jahrhunderte hinweg - sind noch bis zum 15. Oktober 2023 in der Londoner Wallace Collection zu sehen. Die mit Spannung erwartete Ausstellung war coronabedingt verschoben worden.

Anhand von sorgfältig ausgewählten Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen und sogar Tierpräparaten beleuchtet die Ausstellung "Portraits of Dogs: From Gainsborough to Hockney" die einzigartige Verbindung zwischen Menschen und ihren vierbeinigen Partnern.

Hunde sind nicht nur die besten Freunde des Menschen, sie gehören auch zu seinen besten Musen. Seit Jahrhunderten lassen sich Künstler und Künstlerinnen von ihren vierbeinigen Familienmitgliedern inspirieren. Sie fertigten  Porträts an, um Gefühle auszudrücken und Momente in Erinnerung zu behalten. Die Zeitlosigkeit dieser Zuneigung wird durch die große Auswahl an Werken in der Wallace Collection unterstrichen.

Hundeporträts entwickelten sich als künstlerische Gattung zeitgleich mit ihren menschlichen Gegenstücken - Hunde sind auf den frühesten Höhlenmalereien neben Menschen dargestellt - und erlebten ihre Blütezeit, insbesondere in Großbritannien ab dem 17. Jahrhundert. Mehr als jede andere Nationalität haben die Briten Hundeporträts in Auftrag gegeben und gesammelt.

Bei der Auswahl der Werke wurde bewusst darauf geachtet, dass kein Mensch zu sehen ist. Trotz dieser Abwesenheit verraten die in Auftrag gegebenen Porträts ebenso viel über die Besitzer wie über die Hunde selbst, denn die Persönlichkeit der Besitzer spiegelt sich im Charakter ihres geliebten Haustiers wider. Hinter jedem dargestellten Hund steckt eine menschliche Geschichte - manchmal oberflächlich, manchmal traurig.

 

Unknown artist, Roman, The Townley Greyhounds, 1st-2nd century CE © The Trustees
Unknown artist, Roman, The Townley Greyhounds, 1st-2nd century CE
© The Trustees of the British Museum

 

Das älteste Exponat der Ausstellung ist eine römische Marmorskulptur aus dem späten ersten Jahrhundert, die zwei Windhunde zeigt und eine Leihgabe des Britischen Museums ist. Die als "Townley Greyhounds" bekannte Skulptur zeigt die emotionale Verbindung zweier liebevoll umschlungener Hunde, was angesichts ihres frühen Datums vielleicht überrascht - und ist möglicherweise die früheste Darstellung des "Vertragus"-Hundes, einer keltischen Rasse, die als Vorläufer des Windhundes gilt und von den Römern sehr geschätzt wurde.

 

Leonardo da Vinci, Studies of a Dog's Paw (verso), National Galleries of Scotlan
Leonardo da Vinci, Studies of a Dog's Paw (verso), National Galleries of Scotland.
Purchased by Private Treaty Sale with the aid of the Art Fund 1991
© National Galleries of Scotland

 

Die um 1490-95 entstandene Metallstiftzeichnung von Leonardo da Vinci zeigt vermutlich die linke Vorderpfote eines Hirschhundes. Auf dieser wissenschaftlich-künstlerischen Zeichnung konzentriert sich Leonardo da Vinci auf die Anatomie der Hundepfote, die Gelenkigkeit der Sehnen, die Art und Weise wie die beiden scharfen Vorderkrallen eng beieinander liegen und die weichen, haarlosen, stoßdämpfenden Ballen darunter.

 

Unknown artist, Dog lying on a ledge, 1650-80 © Ashmolean Museum
Unknown artist, Dog lying on a ledge, 1650-80 © Ashmolean Museum

 

Der Hund auf einem Felsvorsprung ist eine wunderbar einfühlsame Hommage an den einfachen Straßenhund - im Gegensatz zur üblichen Darstellung von Jagdhunden oder höfischen Schoßhündchen. Sein äußerst realistisches Aussehen und die emotionale Intensität der dunklen Atmosphäre, die ihn umgibt, lassen vermuten, dass der Künstler durch stundenlanges genaues Betrachten eine enge Verbindung zu dem Hund entwickelte. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dieses Gemälde Zurbarán und später Velázquez zugeschrieben. Der Künstler könnte ein Genueser gewesen sein, und es wird eine Zuschreibung an Giovanni Agostino Cassana (geb. nach 1659-1720) vorgeschlagen.

 

Jean-Jacques Bachelier, Dog of the Havana Breed, 1768, oil on canvas, French Sch
Jean-Jacques Bachelier, Dog of the Havana Breed, 1768, oil on canvas, French School,
© The Bowes Museum, Barnard Castle

 

Hundeporträts können auch eine sehr persönliche Hommage an geliebte Haustiere sein. Zwerghunde, Miniaturrassen, die nur wegen ihrer Gesellschaft geschätzt wurden, sind häufig auf diese Weise dargestellt worden, insbesondere im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Jean-Jacques Bachelier malte einen verwöhnten Havaneser auf seinen Hinterbeinen stehend, der eine hübsche rosa Schleife trägt. Anscheinend hat er beim Versuch einen Schlapfen in seine samtene luxuriöse Hundebehausung zu tragen, ein kleines Durcheinander angestellt. Niemand wird ihm böse sein! Man ist versucht, sich einen solchen Hund bei Madame de Pompadour oder Marie-Antoinette vorzustellen.

 

Thomas Gainsborough, Tristram and Fox, c.1775–85 © Tate Images
Thomas ç Tristram and Fox, c.1775–85 © Tate Images

 

Thomas Gainsborough, einer der großen britischen Maler der 18. Jahrhunderts, besaß eine große Liebe und enge Beziehung zu Hunden und stellte sie in zahlreichen Porträts und Landschaftsbildern dar. Auch seine eigenen Haustiere, der Spaniel Tristram und der Collie Fox, durften für ihn Porträt sitzen. Doch ob Tristam und Fox, die er um 1775 auf der Leinwand verewigte, wirklich so lange stillsitzen konnten? Vermutlich malte er sie eher aus dem Gedächtnis heraus. Dass das Gemälde über dem Kamin im Haus des Künstlers hing, lässt vermuten, dass er die Hunde als Familienmitglieder betrachtete. Gelegentlich gab sich der Künstler als Fox aus, wenn er seiner Frau nach ihren Meinungsverschiedenheiten Entschuldigungsbriefe schrieb, die er an Tristram adressierte.

 

James Ward, Fanny, A Favourite Dog, 1822. By courtesy of the Trustees of Sir Joh
James Ward, Fanny, A Favourite Dog, 1822.
By courtesy of the Trustees of Sir John Soane’s Museum, London

 

Fanny, der kleinen Manchesterterrier des Architekten John Sloane, sitzt inmitten einer klassizistischen Fantasielandschaft. Sloane hatte sich nach dem Verlust seiner Frau mit dem Hund angefreundet und gab dieses Gemälde bei James Ward in Auftrag, nachdem auch Fanny verstorben war.

 

Edwin Landseer, Doubtful Crumbs, 1858-1859 © The Trustees of The Wallace Collect
Edwin Landseer, Doubtful Crumbs, 1858-1859 © The Trustees of The Wallace Collection

 

Edwin Landseer war ein Meister der Tiermalerei und ist vor allem für seine Fähigkeit bekannt, Hundeporträts mit Bedeutung und Moral zu versehen, wie es im 19. Jahrhundert üblich war. In "Doubtful Crumbs" spielt er auf den armen Lazarus aus dem Lukas-Gleichnis an. Es zeigt einen hungrigen Straßenterrier, der sich nach einem Bissen der Mahlzeit eines Bernhardiners sehnt, der nach dem Essen eingedöst ist. Diese Symbolik ist den viktorianischen Reformern nicht entgangen, die sich der sozialen Ungleichheit sehr bewusst waren und das Wohlergehen der verarmten städtischen Arbeiter verbessern wollten.

 

Edwin Landseer, Hector, Nero and Dash with the Parrot Lory, 1838 Royal Collectio
Edwin Landseer, Hector, Nero and Dash with the Parrot Lory, 1838
Royal Collection Trust © His Majesty King Charles III, 2022

 

In der Ausstellung wird die Liebe der Briten zu Hunden bis zu Königin Victoria zurückverfolgt, die ihre Spaniels so sehr liebte, dass sie als Amateurin selbst Bleistift- und Aquarellskizzen anfertigte und regelmäßig Gemälde von ihnen und den Hunden ihrer engsten Freunde in Auftrag gab.

 

Edwin Landseer, Old Shepherds Chief Mourner, 1837
Edwin Landseer, Old Shepherds Chief Mourner, 1837

 

Die enge Bindung, die wir im Leben zu Hunden aufbauen, führt dazu, dass wir nach ihrem Tod oft überwältigende Gefühle des Verlusts empfinden. Landseer, überträgt den menschlichen Trauerprozess geschickt auf einen Collie, der zeigt, dass auch Hunde über den menschlichen Verlust trauern und über den Tod hinaus loyal sind. In der zutiefst bewegenden Szene in klarer und ausdrucksstarker Bildsprache ruht der Hund mit seinem schweren Kopf auf dem Sarg seines Herrn, so als ob er über das Leben allein nachdenken würde. Von menschlichen Trauernden verlassen, bleibt der Hund ein treuer Begleiter.

 

Rosa Bonheur, Brizo, A Shepherd's Dog, 1864 © The Trustees of The Wallace Collec
Rosa Bonheur, Brizo, A Shepherd's Dog, 1864 © The Trustees of The Wallace Collection

 

Obwohl sie vor allem für ihre Pferdebilder bekannt war, liebte Rosa Bonheur alle Arten von Tieren, einschließlich der Hunde. Es wird vermutet, dass Brizo, ein Otterhund, ihr eigener Hund war. Der Hinweis auf einen Schäferhund im Titel stammt aus dem ersten Katalog der Gemälde der Wallace Collection, der im Jahr 1900 veröffentlicht wurde.

Rosa Bonheur hat Brizos individuellen Charakter wiedergegeben: Mit sorgfältigen Details, sanfter Lichtsetzung und wachen Augen, die hinter dem zerzausten Haar hervorlugen, erschuf sie ein lebensnahes Porträt dieser aufgeweckten und zielstrebigen Hundepersönlichkeit. Brizo ist der Name einer antiken griechischen Göttin, die von den Frauen auf Delos als Beschützerin der Seeleute und Fischer verehrt wurde.

Die grobe Qualität und die schiefe Anordnung des Wortes "Brizo" über dem Hund spiegeln nicht die sorgfältige Arbeit wider, die Bonheur in ihre Gemälde gesteckt hat. Der Name "Brizo" wurde vermutlich dem Gemälde hinzugefügt, nachdem es Bonheurs Hände verlassen hatte.

 

David Hockney, Dog Painting 41, 1995 © David Hockney. Photo Credit Richard Schmi
David Hockney, Dog Painting 41, 1995 © David Hockney.
Photo Credit Richard Schmidt Collection The David Hockney Foundation

 

Mehrere Gemälde zeigen David Hockneys Dackel Stanley und Boodgie, die er 1987 adoptierte. Sie sind ein rührendes und eindrucksvolles Zeugnis für die Rolle, die die Hunde in seinem Leben spielten: 1995 präsentierte er eine Serie von fünfundvierzig Ölgemälden seiner pelzigen Gefährten! Indem Hockney die beiden Hunde schlafend oder auf ihrem farbenfrohen Kissen sitzend darstellt, schafft er ein starkes Gefühl von Intimität und Unmittelbarkeit. Obwohl der Dackel ruhig sitzt, habe ich doch den Eindruck, er horcht gespannt und schielt wachsam herüber, bereit für ein neues Abenteuer!

Die Ausstellung wird von einem 155-seitigen, reich illustrierten Katalog begleitet: Faithful and Fearless: Portraits of Dogs, ISBN 978-1913875015

Quellen: The Wallace Collection, artuk

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur, Zeichnung
16. Mai 2023 - 10:26

Wolf, 2016 © Irmela Maier

 

Mir ist die Auseinandersetzung mit dem lebenden Modell wichtig. Immer wieder, wenn ich ein Tier, einen Menschen zeichne, beobachte, gibt es einen Augenblick, der bleibt und wichtig ist. Wenn ich Glück habe, kann ich etwas davon festhalten (Irmela Maier zit. n. Dr. Sabine Heilig hier).

 

Diese Auseinandersetzung mit den Tieren findet in Tiergärten statt. Irmela Maier beobachtet deren Verhalten, Eigenarten, Blicke und Gebärden, studiert die Physiognomie und Anatomie, hält die Eindrücke ihrer Anschauung in Zeichnungen und Fotografien fest.

Affen, Elefanten, Wölfe sind ihre bevorzugten Modelle, weil sie mit dem Menschen in ihrem Sozialverhalten vergleichbar sind. Ihre Betrachtungen ergänzt sie um das Wissen aus Büchern und Abhandlungen. Sie will mehr über das Wesen der Tierarten erfahren, denen sie sich künstlerisch nähert und nicht auf die Auseinandersetzung mit deren Äußerlichkeit beschränkt bleiben.

Erst dann wendet sie sich dem plastischen Schaffen zu. Die kleineren Figuren führt die Künstlerin ganz in Ton aus. Für die annähernd lebensgroßen Darstellungen sind Kopf, Hände und Füße in Ton modelliert. Ihr Körper entsteht mit Maschendraht um ein Gerüst, gefüllt mit Fundstücken und Abfall (Kronkorken, Medikamentenbehälter, Kupferdrähte, Kunststoffe), die ihr als Recyclingmaterialien dienen. Der Körper ist z.B. umhüllt von einem Fell aus Drahtspänen.

 

Wolf, 2016 © Irmela Maier

 

Während die Künstlerin in der Modellierung von Gesicht, Händen und Füßen ganz in der Tradition des Porträts und des physiognomischen Ausdrucks arbeitet, sind in den Formen und Materialien des Körpers Anklänge an arte povera und trash art als künstlerischem Kontext zu erkennen. Ein Verweis auf die Vermüllung der Welt, die auch das Leben der Tiere beeinflusst?

 

Ausstellung Wald.Wolf.Wildnis © Irmela Maier, Foto Irmela Maier

Ausstellungsansicht Hin und weg - Vier aus Ettlingen, Foto Tillema Kees

Ausstellungsansicht Wald.Wolf.Wildnis, Neue Galerei im Haus Beda, Foto UB-S

 

Der Wolf zog die Künstlerin schon zu Beginn ihrer Tätigkeit als bildnerisches Motiv an. Ihm werden in unserer Gesellschaft ambivalente Gefühle entgegengebracht. Irmela Maier stellt ihn als emotionales, kommunikatives und soziales Wesen dar und stellt ihn auf fahrbare Unterbauten, um zu zeigen, dass er von uns Menschen je nach Bedarf hin- und hergeschoben wird.

 

Ausstellungsansicht Hin und weg - Vier aus Ettlingen, Foto Tillema Kees

Ausstellungsansicht Hin und weg - Vier aus Ettlingen, Foto Tillema Kees

Ausstellungsansicht Hin und weg - Vier aus Ettlingen, Foto Tillema Kees

 

In der Installation "Spur" begleiten wir einen Wolf, dessen Spur aus Spiegelscherben gelegt ist. Je nach der eingenommenen Perspektive sehen wir in der einen oder anderen Scherbe einen kleinen Ausschnitt seines Spiegelbildes oder des Ausstellungsraums. Wir gehen ein Stück mit in der Spur auf die Pirsch nach dem, was der Wolf eigentlich ist oder sein könnte, was sich immer nur in fragmentarischen Reflexionen, in der Geschichte, in Naturbeobachtungen, in Mythen, Märchen und Legenden als gelegte Spuren mit der Zeit findet (vgl. Eröffnungsvortrag Werner Meyer).

 

Ausstellungsansicht Wald.Wolf.Wildnis, Kunststation Kleinsassen, 2022

 

Die tierliche Schönheit und die Ästhetik des Ausdrucks bleiben immer wichtiger Teil von Irmela Maiers Gesamtaussage, wenngleich in jeder Figur durchaus Melancholie und Schmerz über ein verloren gegangenes Paradies mitschwingen (vgl. Dr. Sabine Heilig hier).

Irmela Maiers genaue Beobachtung impliziert eine Empathie und offene Hinwendung zum tierischen Individuum sowie ein aufmerksames, liebevolles und staunendes Nachdenken über das andere, fremde und doch verwandte Dasein und Körperbewusstsein. (vgl .Dr. Kirsten Claudia Voigt hier)

Irmela Maier (*1956 in Bad Waldsee/D) studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Es folgten Studienaufenthalte an der Académie des Beaux-Arts in Paris und dem Central Saint Martins College of Art and Design in London. Seit 1988 ist sie Mitglied der Ateliergemeinschaft Wilhelmshöhe Ettlingen.

Bis zum 18. Juni 2023 ist ihre Arbeit im Museum Abtei Liesborn im Zuge der Ausstellung Wald.Wolf.Wildnis zu sehen.

Quellen: Kunstverein Wilhelmshöhe, Eröffnungsvortrag Kunstverein Wilhelmshöhe, Galerie in der Lände - Vier aus Ettlingen

alle Bilder © Irmela Maier

 

Ausstellung, Installation, Skulptur
4. Mai 2023 - 11:47

Ein Gesicht? Eine Landschaft? Beides!

 

Höhlenbrüter, 2016 © Elmar Lause

 

Was so spielerisch und einfach daherkommt, ist schwierigste Collagenarbeit. Aus Unmengen von Ausgangsmaterial muss das formal und inhaltlich Passende erspürt werden. Elmar Lause ist ein Virtuose im Erspüren und Verändern des Bekannten. Das Vertraute und Selbstverständliche verfremdet er durch seine innovativen Zusammensetzungen.

Statt Neues zu kreieren, zeigt er auf spielerische und elegante Weise, dass zahlreiche weitere Möglichkeiten im bereits Existierenden zu finden und vielfache alternative Geschichten in scheinbar Bekanntem verborgen sind. Gesichter kollidieren mit Landschaften und entfalten sich zu neuen Persönlichkeiten mit ambivalenter Physiognomie.

 

Fennek, 2014 © Elmar Lause

 

Elmar Lause ist Sammler und Künstler. Objekte, Plastikteile, Aufkleber, Fotos, Magazinausschnitte und andere Kleinigkeiten und Abfälle des Alltags archiviert er in Alben, Schachteln und Vitrinen. Auf sie greift er für seine skurrilen Werke - Collagen, Übermalungen, Malereien und Skulpturen - zurück, entlockt ihnen Überraschendes und Unerwartetes.

 

Ausstellungsplakat, 2014 © Elmar Lause

 

Elmar Lause (*1973 in Bochum/D) studierte Malerei und Design an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), wo er 2004 mit dem Diplom als Kommunikationsdesigner abschloss. In den vergangenen Jahren waren seine Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen, u.a. in der Affenfaust Galerie in Hamburg, von der das Ausstellungsplakat stammt. Er lebt und arbeitet in Hamburg.
 

alle Bilder © Elmar Lause

 

Collage
27. April 2023 - 11:26

Ohne Titel, Video Still, 2019 © Jonas Brinker

 

Das ist nicht nur eine Wölfin, sondern auch eine Schauspielerin, "ein Profi", wie Jonas Brinker hier sagt. Einer von sieben Profis, die bei einem Tiertrainer in Hannover leben, der ihnen das Befolgen einfacher Kommandos beigebracht hat. Sie können auf Befehle hin posieren, laufen, sich hinlegen, zusammenkauern oder für einen Moment stillstehen. Ihr Können wenden die Wölfe bei Film- und Fernsehproduktionen an. Bei den vielen Mystery-, Fantasy- und Landkrimistoffen, die heute modern sind, sind sie sicher viel beschäftigt. "Unsere" Wölfin war sogar "Tatort"-Star.

 

Ohne Titel, Video Still, 2019 © Jonas Brinker

 

Sie ist aber auch Protagonistin und Performerin in Kunst-Zusammenhängen, z.B. in Jonas Brinkers Video "Standing Still". Das dressierte Tier befindet sich lediglich mit einem Papiermaché-Stein für viereinhalb Minuten im künstlichen Setting eines Filmstudios. Das Requisit nimmt einen zentralen Platz im Repertoire der einstudierten Bewegungsabläufe ein. Die Wölfin stellt sich dabei mit den Vorderpfoten auf den Stein, hebt den Kopf und heult. (Der eindrückliche Klang hallte 2019 bei der Ausstellung durch den gesamten Frankfurter Kunstverein.)

Diese beliebte Pose wird häufig in der Werbung, in Medienberichten und Zeitungsartikeln genutzt. Und eben diese Tatsache ist Ausgangspunkt für Brinkers künstlerische Recherche. Ihm war aufgefallen, dass sich die medial verbreiteten Darstellungen des Wolfs stark ähneln und den immer gleichen kompositorischen Prinzipien folgen. Dadurch beeinflussen sie die Art und Weise, wie wir die Tiere sehen und bewerten.

 

Standing Still, 2019, Ausstellungsansicht 1, FKV © Jonas Brinker, Foto Norbert M

Ausstellungsansicht Berlin Masters Foundation, 2021, Foto Marcelina Wellmer

 

Insbesondere in den vergangenen Jahren wurde die Rückkehr des Wolfes in deutschen Wäldern mit Angstszenarien verbunden, die immer wieder bestimmte Metaphern und Topoi aufrufen. Der Wolf steht für viele als Sinnbild für eine bedrohliche, wilde, jedoch auch kluge und freie Kreatur. Diese Stereotypen werden dem Tier vor allem durch eine bestimmte Bildsprache zugeschrieben, die den Wolf in Dokumentationen oder Spielfilmen als eben diese Metapher rahmen.

Pointiert zeigt Jonas Brinker in "Standing Still" das Zusammentreffen von Natürlichem und Künstlichem und führt uns vor Augen, wie die moderne Bilderproduktion unsere Wahrnehmung beeinflusst.

 

Standing Still, 2019, Ausstellungsansicht 2, FKV © Jonas Brinker, Foto Norbert M

 

Seine Videoarbeit baut auf diesen Konnotationen auf und zeigt selbst den Moment, in dem das Tier zum Bild wird. Vor einem Greenscreen drehte der Wolf seine Runden und stellt sich immer wieder auf einen künstlichen Stein, um in die Ferne zu blicken.

Das Tier wurde dressiert, sich in konditionierten Bewegungsabläufen nach dem Befehl des Menschen zu verhalten. Doch wie verhält es sich in einer offenen Versuchsanordnung, wenn es nicht mit einer Handlungsanweisung zur Aktion angehalten wird? Fehlen ihr die Kommandos in dieser unnatürlichen Umgebung?

Bei Brinker verfolgt die Kamera das Verhalten der Wölfin, die die meiste Zeit hilflos und unruhig hin- und herläuft. Ihr Verhalten schwankt zwischen ihrer natürlichen und einer antrainierten, inszenierten Verhaltensweise, zwischen Wildnis und Zivilisation.

Unten sehen sie drei Fotos, die ich auf Jonas Brinkers Instagram-Seite gefunden habe. Es sind Installationsansichten von "Standing Still" während  der Ausstellung  "Framing Movements", 2021 in Tel Aviv.

 

Standing Still, Installationsansicht Framing Movements, 2021, Tel Aviv

Standing Still, Installationsansicht Framing Movements, 2021, Tel Aviv

 

Ein Stein. Ein Wolf! Nichts wie weg!

 

Standing Still, Installationsansicht Framing Movements, 2021, Tel Aviv

 

2022 zeigte Jonas Brinker seine Arbeit "Interval" bei der Ausstellung "The Tide Is High" im Kunsthaus Wiesbaden. Die Ausstellung zeigte Projekte von 16 Künstlerinnen und Künstlern, die ein einjähriges Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung absolviert hatten.

Als er im Zuge dieses Stipendiums zu den Überresten einer unvollendeten Ferienanlage im Sinai zurückkehrte, fand er denselben streunenden Hund, den er zwei Jahre zuvor während eines Austauschprogramms gefilmt hatte. Er filmte ihn erneut, immer noch in der verlassenen Landschaft mit ihren Bauruinen umherirrend, gefangen in einer scheinbar ewigen Zeit. Er zeigt, wie die Aufhebung der Zeitlichkeit nur die anthropozentrische Perspektive beeinflusst und das Subjekt dezentriert, was zu einem weiteren Scheitern der menschlichen Geschichte führt.

 

This reveals how the suspension of temporality only affects anthropocentric perspective and de-centres the subject, leading human history to a further failure. (Silvio Saraceno hier)

 

Und Livne Weitzmann zu Brinkers Werk:

 

Jonas Brinker nutzt Film und Fotografie als Werkzeuge der Beobachtung und Kontemplation.In seiner Kinematografie geht es Brinker darum, anthropozentrische Zeitlichkeiten und Perspektiven zu dezentrieren und die komplexen Verhältnisse und Wechselwirkungen verschiedener Umwelten zu skizzieren und neu zu kontextualisieren.

 

Interval, 2022, Ausstellungsansicht Kunsthaus Wiesbaden, Foto Jens Gerber

Standbild aus Interval, 2022 © Jonas Brinker

Standbild aus Interval, 2022 © Jonas Brinker

Interval, 2022, Austellungsansicht Die Möglichkeit einer Insel

Interval, 2022, Austellungsansicht Die Möglichkeit einer Insel

 

Es geht also um das Zeit- und Ortsempfinden unterschiedlicher Spezies, um die Sicht der Tiere im anthropologisch konditionierten Raum. Was bedeuten zwei Lebensjahre für den Menschen, was sind zwei Jahre für den Hund? Obwohl der Mensch viel älter wird, erlebt er in zwei Jahren mehr, auch an örtlicher Veränderung: Der Künstler kommt von Berlin nach Tel Aviv und zurück.

 

Stray, Ausstellungsansicht Wilhelmshaven, 2023

 

Jonas Brinker (*1989, Bochum/D) studierte von 2015 bis 2018 an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste - Städelschule in Frankfurt am Main bei Prof. Douglas Gordon und Prof. Willem de Rooij und schloss sein Studium als Meisterschüler ab. 2015 graduierte er mit einem Bachelor in Fine Art an der Slade School of Fine Arts in London, GB. Gaststudien führten ihn zudem zur Bezalel Academy nach Tel Aviv und an die Universität der Künste, Berlin. Brinker konnte bereits an Gruppenausstellungen in Frankfurt am Main, San Diego, Amsterdam, London, Maastricht und Paris teilnehmen. Er lebt und arbeitet in Berlin, Deutschland.

Quellen: artmagazine, Berlin Masters, Die Möglichkeit einer Insel, FeuilletonFrankfurt, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Kunstverein

alle Bilder © Jonas Brinker

Diesen und die nächsten Beiträge über Wölfe widme ich dem netten Währinger, mit dem ich mich kürzlich über Wölfe, jagende Afghanen, kroatische Mischlinge und "französische Bracken" unterhalten habe, sowie über die Liebe zu einem Hund, die lange über dessen Tod hinaus währt!

 

Installation, Video