Die Fotos dieses Blogbeitrags stammen vom amerikanischen Fotografen John Divola, dessen künstlerische Praxis mit den Randzonen von Los Angeles und der kalifornische Wüste verwoben ist. In seiner Serie "Dogs Chasing My Car in the Desert“ (1996-2001) beobachtet Divola den verzweifelten und vergeblichen Versuch von Hunden, Jagd auf sein vorbeifahrendes Auto zu machen. Auf den Fotos sehen wir weder das Auto noch den Fahrer. Beide bleiben unsichtbar, sind aber implizit als Auslöser für das Verhalten der Hunde vorhanden. Die Fotos fangen Staub, Hitze, das frenetische Bellen der Hunde ein, zeigen ein energievolles Duell zwischen Hund, Mensch und Maschine.
Schon beim ersten Betrachen haben mich die Fotos melancholisch gestimmt. Kraftvolle Hunde laufen wild und nahezu zwanghaft etwas nach, das sie nicht einholen können. Das Unterfangen ist hoffnungslos, der Kampf nicht zu gewinnen. Doch die Aufnahmen erzählen nicht nur von Aggression und Angriff, sondern auch von Verlorenheit und Sehnsucht.
Sobald ein Hund anfing, Divolas Pickup zu jagen, fotografierte er mit einer 35mm-Kamera und High-Speed-Film aus dem Fenster. Dabei verschoss er bis zu einer ganzen Filmrolle.
Mit diesem direkten Zugang, mit der Aufnahme von bloß einem Hund und wenig mehr als einer staubigen Wüstenkulisse und einigen verschwommenen Sträuchern, gelingt es Divola, ein großes schwarz-weißes Drama zu entfalten. Dramatisch nicht nur im formalen Sinn, was die Darstellung von Bewegung, Geschwindigkeit und Kontrasten angeht, sondern auch im existenziellen Sinn des Ausdrucks eines Kampfes Natur gegen Zivilisation. John Divola beschreibt es in seinem Book Preface (unbedingt lesen) folgendermaßen:
It could be viewed as a visceral and kinetic dance. Here we have two vectors and velocities, that of a dog and that of a car and, seeing that a camera will never capture reality and that a dog will never catch a car, evidence of devotion to a hopeless enterprise.
Die Fotos erzählen nichts vom Leben der Hunde, nichts davon, weshalb sie die Autos verfolgen. Sie frieren vielmehr den eindringlichen Moment des Nachlaufens ein, in dem es eine Dualität zwischen einem Gefühl der Abwesenheit und Anwesenheit gibt. Wahrscheinlich sind die Hunde halb wild, halb domestiziert, dem Menschen zugehörig, aber nicht behütet. Schutzlosigkeit, ein Mangel an Geborgenheit und eine reizarme Umgebung bringen sie dazu, den Autos nachzuhetzen. Das Verhalten der Hunde zeugt von fehlenden früheren Stimuli und zugleich von verzehrender Reaktion auf die Präsenz des Autos.
Ein schwarzer Hund rennt, die Vorder- und Hinterbeine ausgestreckt, die Ohren angelegt, in einer schattenhaften Unschärfe über den Vordergrund. Spuren von Gras erzeugen horizontale Linien auf seinem kraftvollen Körper, erzeugen ein Gefühl der Geschwindigkeit und Unvermeidlichkeit. Eine weite aschweiße Wüste erstreckt sich in die Ferne und endet an einem bergigen Horizont.
In vielen Fotografien erscheint der Hund groß und bedrohlich. Doch die Sicht, die uns Divola von der "Bestie" anbietet, lässt etwas von der wahren untergeordneten Position des Tieres in der Schlacht zwischen dem Wilden und dem vorsätzlich Zivilisierten/Domestizierten anklingen.
Sehr einfühlsam beschreibt Christopher Knight auf Divolas Homepage die Aufnahme des schwarzen Hundes, der vor dem schrägen Horizont Richtung Kamera springt. Seine Zähne sind entblößt und seine Augen brennen. Er rennt gegen das Herausrutschen aus dem Blick und Vergessenwerden an:
But his demeanor is not so simple. Part fury, part delirium, with a mix of sheer bewilderment thrown in for good measure, it's as if the dog has marshaled every ounce of muscle to keep from sliding out of the frame and into oblivion. Once registered, that look will break your heart.
Die Hunde sind unterschiedlich weit entfernt, von Sträuchern verborgen, unscharf, sie blicken in das Objektiv: Doch trotz der scheinbaren Einfachheit der Fotografien spüren wir ihre konzeptionelle Tiefe, ihre Pracht und ihr kompositorisches Gewicht.
Die "Run Sequences" lassen sofort an Eadweard Muybridges wissenschaftliche Fotografien der Fortbewegung von Tieren aus dem 19. Jahrhundert denken, allerdings fehlt bei John Divola die nüchterne Fassade der Ordnung.
Ich versuche immer so viel wie möglich über die Arbeiten zu lesen, die ich Ihnen vorstelle und natürlich lässt John Divolas Fotoserie ganz unterschiedliche Interpretationen zu. Was ich allerdings überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist, dass in manchen Besprechungen die Hunde als "funny" beschrieben werden (da sie die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens nicht begreifen). Sehr schön allerdings der Blogtext des Fotografen und Schriftstellers John Sevigny, der mir als Quelle und Anregung diente.
John Divola (geb. 1949) wuchs im San Fernando Valley auf, er studierte an der California State University, Northridge und an der University of California, Los Angeles. Er wurde von Minimalismus und Konzeptkunst bzw. deren fotografischer Dokumentation beeinflusst.
I came to the conclusion that [photography] was the primary arena of contemporary art, and that all painting and sculpture and performance was, from a practical point of view, made to be photographed, to be re-contextualized, and talked or written about.
Ab den 1970er Jahren entwickelt Divola seine eigene Kombination aus Performance, Skulptur und Installation, mit der Fotografie als konzeptionellem Kern. (vgl. hier)
alle Fotos © John Divola