Susannah Martins großformatige, figurative, ja hyperrealistisch anmutende Ölgemälde zeigen uns das klassische Sujet des Akts in der Natur zeitgenössisch interpretiert und handwerklich brillant. In zahlreichen Interviews (gut dokumentiert auf ihrer Homepage) und in ihrem künstlerischem Statement erklärt die Künstlerin, wieso es ihr tiefer Wunsch ist, "die menschlichste, aber gleichzeitig am stärksten eingeschränkte Kunstform, die es gibt, den Akt, in die Gegenwart zu holen". (vgl. hier)
Sie möchte den Akt, wie wir ihn aus der gesamten Kunstgeschichte kennen und der in erster Linie ein Produkt des männlichen Blicks mit seinen ästhetischen Kriterien ist, durch eine andere nicht sexuell orientierte Perspektive ersetzen.
Doch gelingt ihr das mit ihren Frauenkörpern, die wenig divers sind und wie Hochglanzmodelle wirken? Die makellosen Körper scheinen eher wie eine Verkörperung des heutigen Schönheits- und Jugendwahns zu sein, dem sich viele Frauen unterwerfen (vgl. heliumcowboy). Allerdings sind sie in ihrem Tun unabhängig, befreit und genießen ihr Leben in der Welt (vgl. dazed digital). Sichtbar wir das durch ihre Aktivität und dass sie bewegt den Raum einnehmen. Kunstgeschichtlich war der weibliche Akt immer mit Passivität und Erotik verbunden (im Gegensatz zur autonomen männlichen Nacktheit). Paradebeispiel dafür ist Giorgiones "Schlafende Venus" (um 1510), die die künstlerischen Konzeptionen bis heute beeinflusst. Sie ist vollkommen in die Natur integriert und ruht in stiller Passivität.
Weiters möchte sie mit ihren aktualisierten Aktbildern die heutige Situation der Entfremdung des Menschen von der Natur ansprechen, der in ihren Gemälden nicht wie ein integraler Bestandteil der Natur erscheint, sondern seltsam surreal und fremd, laut und schrill.
"Bei der Arbeit an meinen ersten Bildern des Aktes in der Landschaft habe ich sehr schnell festgestellt, wie merkwürdig der gegenwärtige Mensch in der freien Natur wirkt. Er schien einfach nicht mehr hineinzupassen, und so wurde dieser Aspekt langsam zu meinem Thema: Die Natur als Un-Heim (Anti-Home) des Menschen." (Susannah Martin zit.n.Felix Brosius in Art.Salon)
Der entblößte Mensch ohne jegliche sozialen Indikatoren (Kleidung, Besitz ...) passt nicht mehr in die Landschaft, weil sich in seinem Verhältnis zur Natur die antagonistische Kluft zwischen natürlichem und naturverbundenem Zustand und dem Menschen als Konsumenten oder kulturellem Wesen spiegelt. Den psychischen Kampf gegen diese kulturellen Abhängigkeiten möchte die Künstlerin in ihren Gemälden erforschen. (vgl. Jonathan LeVine Projects)
Obwohl es immer wieder Anspielungen an die Kunstgeschichte gibt, sucht man das romantische Verschmelzen von Mensch und Natur in ihren Darstellungen ebenso vergebens wie barocke Liebeleien in einer idealisierten, paradiesischen Landschaft. Susannah Martins Landschaften bestehen meist aus gleichförmigen Bergpanoramen hinter klaren Seen, sie sind lediglich Kulissen für die Menschen und Tiere in Bewegung - Mitte der 80er Jahre arbeitete die Künstlerin tatsächlich als Kulissenmalerin.
So viel sie über ihre Menschendarstellungen spricht, so wenig erfahren wir über die Bedeutung der Tiere, der Hunde.
"The people in my paintings are certainly distant relatives of the salon. Rather, they indulge in the midst of our contemporary culture: We have the impression that they rather block and disturb the view of the landscape than they peacefully coexist with nature as they did then in the forest of Fountainebleau. As I try to maintain a romantic landscape, they fall into this landscape as individuals who have to cope with the ever-increasing virtual reality. They bring their dogs with them, the best friends of man and their only remaining connection to nature.” (zit.n. NJP)
„Die Menschen auf meinen Bildern sind sicherlich entfernte Verwandte des Salons. Vielmehr schwelgen sie mitten in unserer zeitgenössischen Kultur: Man hat den Eindruck, dass sie eher den Blick auf die Landschaft versperren und stören, als dass sie friedlich mit der Natur koexistieren wie damals im Wald von Fountainebleau. Während ich versuche, eine romantische Landschaft zu erhalten, fallen sie als Individuen in diese Landschaft hinein, die mit der immer größer werdenden virtuellen Realität zurechtkommen müssen. Sie bringen ihre Hunde mit, die besten Freunde des Menschen und ihre einzige verbliebene Verbindung zur Natur.“ (übersetzt mit DeepL)
Mit "Salon" meint die Künstlerin den "Salon de Paris", der ebenso wie die "Académie francaise" gegründet wurde, um als eine Art Ästhetik-Polizei französisches Kulturgut zu beobachten, zu fördern, zu kritisieren und zu beschützen. Die Realisten forderten in der Mitte des 19. Jahrhunderts deren Vorherrschaft heraus. (vgl. künstlerisches Statement)
Die Hunde verbinden also den Menschen mit der Natur! Kommen wir über ihre Arbeitsweise der Bedeutung der Hunde noch näher?
Nachdem Susannah Martin eine klare oder auch nur grobe Vorstellung davon hat, was sie vermitteln möchte, fotografiert sie befreundete Modelle, die ihre Ideen aufgreifen und auf sehr individuelle und persönliche Weise mit ihrer Umgebung interagieren.
Bei jedem Fotoshooting macht sie Tausende von Fotos, Dann arbeitet sie eine Komposition in Form einer Collage aus und beginnt auf die grundierte Leinwand zu zeichnen. Oft greift Martin dabei nur einzelnen Elemente aus einem Bild heraus, kombiniert diese mit dem Setting eines anderen Fotos, fügt weitere Bildelemente hinzu und erarbeitet so ihre Bildwelten, die dichter und voluminöser ausfallen, als es ein reales Motiv je sein könnte.
Die Kompositionen sind bei Martin stets von beeindruckender Opulenz, mit einer ins Surreale gehenden Verdichtung, die Mitbringsel der Menschen aus der Zivilisation (Gummitiere, Plastikballons in Drachenform...) meist hyperrealistisch herausgearbeitet. Erst nachdem sie die Zeichnung mit Acrylfarbe gesichert hat, beginnt sie mit der Ölmalerei. Das geht über viele Schichten und Wochen, bevor sie das Niveau erreicht, mit dem sie zufrieden ist.
Die Hunde sind oft angeschnitten, springen ins Bild hinein oder aus dem Bild heraus. Damit lässt die Künstlerin die fotografische Perspektive durchscheinen, sie weist eigens darauf hin, dass sie die Welt durch die Kameralinse betrachtet. Dennoch erscheinen sie nicht fremd oder gar artifiziell, denn unser Bildverständnis ist bereits vorausgeilt und hat sich nach Jahren der digitalen Retusche längst erweitert. Das Spektrum dessen, was wir als Abbild der Realität zu akzeptieren bereit sind, hat sich deutlich verschoben, und so zeigen auch Martins Arbeiten ganz bewusst einen erweiterten Realismus, mit dem sie dem empfundenen Charakter einer Situation näherkommt, als es eine reine Darstellung des Gesehenen ermöglichte.
Susannah Martin (*1964 in NewYork/USA) studierte an der New York University, Hauptfach Malerei, bei John Kacere, Sherrie Levine, Louise Lawler und Peter Campus und erhielt ihren Bachelor of Science 1986. Nach ihrem Abschluss machte sie sich mit Wandmalerei selbständig und arbeitete als Bühnenbildnerin und Kulissenmalerin.
1991 zog sie nach Berlin und schließlich nach Frankfurt am Main, wo sie heute lebt und arbeitet. Ab 2004 widmete sie sich als freischaffende Künstlerin und Porträtmalerin wieder ihrem Hauptthema, dem Menschen in seinem sozialen Umfeld, danach dem Akt in der Landschaft. Durch wichtige Ausstellungen in den USA und Deutschland wuchs das Interesse öffentlicher Institutionen und privater Sammler an ihrem Schaffen stetig. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in American Art Collector, Juxtapoz, High Fructose und der Huffington Post veröffentlicht.
alle Bilder © Susannah Martin