Wu, Chuan-Lun

1. April 2024 - 10:06

"Der Schäfer ist ein Belgier", sagte mein (halb)lustiger Mann, als ich ihm vom Entwurf zu meinem neuen Blogbeitrag erzählte. Tatsächlich geht es in ihm aber um den Deutschen Schäferhund! Es ist die einzige Rasse, der ich sehr vorsichtig begegne. Sowohl zwei meiner Hunde als auch ich wurden schon von Schäferhunden gebissen. Die Zeit war längst gekommen, mich mit dem "Schäfer" näher zu befassen.

Einer, der sich intensiv mit dem German Shepard Dog (GSD) beschäftigt hat, ist der taiwanesische Künstler Wu Chuan-Lun (*1985 in Tainan/Taiwan). Ich möchte ihn anhand einer Ausstellung vorstellen, die er 2019 im Taipei Fine Arts Museum gezeigt hat. Die Ausstellung "No Country for Canine" war ganz dem Deutschen Schäferhund gewidmet - einer Hunderasse, die in der taiwanesischen und deutschen Geschichte, den beiden geografischen Berührungspunkten des Künstlers, präsent ist.

Wu nutzt sein persönliches Interesse - die Hunde - als Ausgangspunkt, um das Thema durch Sammeln, Klassifizieren, Studieren und künstlerisches Schaffen zu ergründen. Für seine konzeptionelle und forschungsbasierte Installationen setzt er eine Vielzahl von Medien ein: seine keramische Hundesammlung, eine Reihe von Skulpturen, Zeichnungen, Videos, Fotografien und Dokumente, die auf komplexe Weise miteinander verbunden sind.

 

When Collecting Becomes Breeding-Taiwan, 2012-2019 © Wu Chuan-Lun

 

Der Prozess des Sammelns bildet die Grundlage, um die Bedeutung der Objekte zu erforschen, aus denen er allmählich den zugrundeliegenden historischen und sozialen Kontext entschlüsselt. Am Topos Schäferhund erschafft er einen weitläufigen Diskursraum über Disziplinierung und Dominanz durch den Menschen, die Konstruktion nationaler Identität sowie die Geschichte von Krieg und Kolonialisierung. Der Deutsche Schäferhund wurde sowohl zu einem Emblem des Nationalismus als auch - als Sparbüchse - zu einer beliebten Massenware.

"No Country for Canine", hat der Künstler vom Roman "No Country for Old Men" des amerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy abgeleitet. Der ursprüngliche Romantitel bedeutet sinngemäß, dass die USA kein Land zum Altwerden seien. Das Ersetzen durch "Canine" und die dadurch erfolgte Substitution des Themas hat die kollektive Erinnerung an die Spezies der Hunde wachgerufen.

"When Collecting Becomes Breeding" - Taiwan: Seit etwa 2012 hat Wu Keramikspardosen in der Form des Deutschen Schäferhundes gesammelt, die in Taiwan, in Yingge, hergestellt wurden. Die Zeit, in der ihre Produktion begann, ist unklar, möglicherweise in den 1960er Jahren oder in der frühen Phase des raschen Wirtschaftsaufschwungs Taiwans. Ziemlich sicher wurde die Produktion in den 1990er Jahren aufgrund der Verlagerung von Fabriken eingestellt. (Die Töpfer- und Keramikindustrie wurde von der industriellen Revolution stark beeinflusst. Die Nachfrage nach Gebrauchskeramik wurde dank der ausgereiften Formtechnik befriedigt, die die Massenproduktion von Keramik ermöglichte. Die dekorative Keramik war nicht länger ein Luxusgegenstand, der nur der Oberschicht vorbehalten war, sondern wurde zum alltäglichen Haushaltsgegenstand breiter Bevölkerungsschichten.)

Deutsche Schäferhunde kamen während der japanischen Kolonialherrschaft nach Taiwan und wurden hauptsächlich von den oberen Gesellschaftsschichten gehalten. Daher waren sie lange Zeit als Symbol für Autorität, Überlegenheit und Kostbarkeit mit der Elite verbunden. Mit den kitschigen Sparbüchsen ahmte das einfache Volk die Kultur der Oberschicht nach. Die Spardose in Form des Deutschen Schäferhundes wurde zu einem beliebten Preis beim traditionellen Ringwurfspiel.

Von der Verarbeitung her nicht gerade exquisit, waren die "Sparschweine" wegen der Hundeform, der praktischen Möglichkeit, Geld zu sparen und als Dekoration beliebt. Neben dem Bett, auf dem Schreibtisch, im Schrank: Sie lächeln und begleiten Familien bis zum letzten Moment, wenn sie zerschlagen werden, um die Münzen aus ihren Bäuchen zu holen. Als Kindheitserinnerungen sind sie in mehreren taiwanesischen Generationen präsent.

Wie unsere lebenden vierbeinigen Freunde haben auch die Porzellanhunde ihre Eigenheiten. Sie nehmen zwar die gleiche, auf den Hinterbeinen sitzende Pose ein, aber einige sind schwarz, andere braun. Sie haben ausgefallene Schmuckhalsbänder oder rote Edelsteinaugen; einige sind groß und zottelig, andere klein und schlank.

 

When Collecting Becomes Breeding - Taiwan, 2019 © Wu Chuan-Lun

When Collecting Becomes Breeding-Taiwan, 2012-2019 © Wu Chuan-Lun

Domestication of Nations, 2019 © Wu Chuan-Lun

Domestication of Nations (Detail), 2019 © Wu Chuan-Lun

 

Die auf dem weißen Sockel arrangierten Schäferhundskulpturen bilden eine eigene Hundegesellschaft. Jeder für sich betrachtet, ist lediglich ein Objekt, eine Sparbüchse. In ihrer Gesamtheit betrachtet werden sie zu Trägern individueller und nationaler Geschichte.

"When Collecting Becomes Breeding" - Europe (2018-2019): Während eines Künstleraufenthalts in Berlin im Jahr 2017 erweiterte Wu seine Keramiksammlung um europäische Exemplare. Im Vergleich zu den Keramikhunden aus Taiwan nehmen die in Europa gefundenen Hunde meist eine liegende Position ein, eine Position, die in Taiwan nie verwendet wurde. Die Vorliebe für diese Haltung ist vielleicht auf die Absicht zurückzuführen, die Hunde als entspannt und unterwürfig darzustellen. Möglicherweise ist die Form der taiwanesischen Keramiken auch deswegen aufgerichtet, um den Platz im Brennofen optimal auszunutzen. Vielleicht sind es einfach unterschiedliche ästhetische Vorlieben.

 

When Collecting Becomes Breeding - Europe, 2019 © Wu Chuan-Lun

 

Wu recherchierte, führte Interviews, besuchte Züchter, um alles über die Geschichte des Deutschen Schäferhundes (Stammbäume, Zertifizierungen, seine Beziehung zur deutschen Bevölkerung und der Militärgeschichte des Landes) zu erfahren. Er ging der Frage nach, wie sich eine Hundeart zu einer Hunderasse entwickelt hat.

Ursprünglich war der deutsche Schäferhund ein einheimischer Hund, der auf dem Land beliebt war. 1899 verlieh ihm der Züchter Max von Stephanitz offiziell den Namen "Deutscher Schäferhund". Er legte den Zuchtstandard fest, um die Zucht und Ausbildung der Rasse zu kontrollieren und zu erleichtern und um die Erhaltung ihrer hervorragenden erblichen Eigenschaften zu gewährleisten. Später wurden die Schäferhunde bei Militär und Polizei eingesetzt. Seitdem sind sie eng mit der Militärgeschichte verbunden.

Während des Zweiten Weltkriegs, als sie beim Militär verschiedener Länder weit verbreitet waren, erreichte sie den Höhepunkt der Züchtung. (In Europa begann der Fanatismus für die Zucht von reinrassigen Hunden im 19. Jahrhundert, als die Hunde nicht mehr primär für die Arbeit, sondern zum Spielen und zur Gesellschaft gezüchtet wurden, sodass die Anforderungen an das Aussehen bei der Standardisierung der Rassen allmählich parallel zu denen an die Leistung liefen und diese sogar übertrafen.)

 

When Collecting Becomes Breeding - Europe, 2019 © Wu Chuan-Lun

When Collecting Becomes Breeding - Europe, 2019 © Wu Chuan-Lun

When Collecting Becomes Breeding - Europe, 2019 © Wu Chuan-Lun

 

In seiner Arbeit zeigt Wu, wie das Deutsche Reich die Zucht reinrassiger Schäferhunde zur Schaffung einer nationalen Identität (er war Symbol für Loyalität, Tapferkeit und Gehorsam) nutzte und wie das japanische Kolonialregime das Deutsche Reich kopierte und Schäferhunde z.B. als Militärhunde nach Taiwan brachte.

Als die Situation des Krieges für Japan angespannt wurde, wurden schließlich alle Deutschen Schäferhunde eingezogen, was vielen japanischen Hundehaltern in Taiwan schier das Herz brach. Die Kriegshunde wurden nach Kriegende weder zu Kriegsgefangenen, noch kehrten sie zu ihren Familien zurück. Aufgrund der Ressourcenknappheit auf dem Schlachtfeld wurden sie höchstwahrscheinlich getötet, um Pelzprodukte herzustellen, nachdem sie ihren Zweck als Militärhunde erfüllt hatten - unabhängig davon, wie loyal, mutig oder freundlich sie zu den Menschen gewesen waren.

Die Arbeit "Formation Deformation Dogformation" besteht aus vier Elementen:

den gerahmten Porträtfotos von taiwanesischen Sparbüchsen, den Porzellanhunden des deutschen und ostdeutschen Porzellanherstellers Katzhütte von 1958-1990 (nach der Wiedervereinigung von BRD und DDR schloss das Unternehmen alle Produktionslinien), den Zeichnungen von Hunden, deren Körperformen den Hindernisübungen in Agility-Wettbewerben entsprechen und den vier Skulpturen von Schäferhunden, die die Merkmale von vier Agility-Trainingsaktivitäten (Hoop, A-Frame, Wall Climbing und Weave Poles) buchstäblich verkörpern.

Die Fähigkeiten und Qualitäten der Hunde werden in ästhetischen Formen in weißem Porzellan oder auf Papier gebannt und zeigen dadurch die Unterwerfung des Hundekörpers durch den Menschen.

 

Formation Deformation Dogformation (Detail), 2018-2019 © Wu Chuan-Lun

Formation Deformation Dogformation (Detail), 2018-2019 © Wu Chuan-Lun

Formation Deformation Dogformation (Detail), 2018-2019 © Wu Chuan-Lun

Formation Deformation Dogformation (Detail), 2018-2019 © Wu Chuan-Lun

Formation Deformation Dogformation (Detail), 2018-2019 © Wu Chuan-Lun

Formation Deformation Dogformation (Detail), 2018-2019 © Wu Chuan-Lun

Portrait, 2017-18 © Wu Chuan-Lun

 

Die große weiße Schäferhund-Skulptur mit dem Titel "Allach Nr. 76" war eine von 143, die laut den Aufzeichnungen von den Allach-Werken hergestellt wurden. Solches Allacher Porzellan wurde in erster Linie für hohe NS-Funktionäre oder als Geschenke für Ehrengäste hergestellt, daneben gab es auch eine begrenzte Menge für den externen Verkauf. Nach dem Sieg über die Nazis wurden die noch verfügbaren Skulpturen und die Originalform vernichtet.

Die Porzellan Manufaktur Allach (1936-1945) wurde von Reichsführer-SS Heinrich Himmler beauftragt, langbeinige, elegant anmutende Porzellanskulpturen des Deutschen Schäferhundes (einschließlich weißer und farbiger Ausgabe) herzustellen, die die arische Ästhetik veranschaulichen sollten. Im Jahr 1939 übernahm die SS den Betrieb durch Enteignung. Die Manufaktur wurde dem zur Allgemeinen SS gehörenden Hauptamt Verwaltung und Wirtschaft unterstellt. Mit ihrem klassischen und eleganten Geschmack und ihrer technischen Überlegenheit repräsentierte sie das ästhetische Niveau und den Nationalstolz des Reiches.

Aufgrund der raschen Expansion des Unternehmens übersiedelte die Produktion von Allach bei München auf das Gelände des SS-Übungs- und Ausbildungslagers beim Konzentrationslager Dachau. Die Herstellung von Allacher Porzellan war nun eine der Arbeitsaufgaben von etwa 50 KZ-Häftlingen, Opfer der Gewaltherrschaft, im Konzentrationslager Dachau.

Die Besessenheit der Nazis von weißem Porzellan (gefertigt aus deutscher Erde) hängt mit ihrem Stolz auf die weiße Rasse zusammen. Der weiße Schäferhund war allerdings aufgrund seiner hohen Sichtbarkeit auf dem Schlachtfeld und aus Angst vor Albinismus ausgenommen.

Vielleicht fragen Sie sich, wie der Künstler zur weißen Schäferhund-Skulptur Nr.76 gekommen ist. Wu hat sie auf seiner Europareise bei einem Münchner Antiquitätenhändler entdeckt. Nach mehreren Besuchen hatte er mit dem Inhaber einen akzeptablen Preis ausgehandelt und die Skulptur verließ nach 35 Jahren das Geschäft, um seinem neuen Herrchen nach Taiwan zu folgen.

 

 

Whitest White, 2019 © Wu Chuan-Lun

Whitest White, 2019 © Wu Chuan-Lun

Purebreds (Four Shepherd Dogs), 2017 © Wu Chuan-Lun

 

Für "Purebreds - GSD, (DDR)GSD, VEO, WSSD" (2017), das sich mit Rasse und Nation auseinandersetzt, schuf der Künstler Bleistiftzeichnungen von vier Schäferhundrassen.

Obwohl sie alle vom Deutschen Schäferhund abstammen, wurden sie aus politischen und militärischen Gründen als unterschiedliche Rassen eingestuft. Der DDR-Schäferhund wurde aufgrund der Teilung während des Kalten Krieges gezüchtet. Der Osteuropäische Schäferhund entstand in Weißrussland durch die Vermischung lokaler Hunderassen mit Wölfen. Der Schäferhund mit weißem Fell wurde nach 1933 von den Nazis fälschlicherweise für einen Träger von Albino-Genen gehalten und aufgrund der eugenischen Ideologie aus der Zucht genommen, wurde aber später in den USA und der Schweiz wieder standardisiert und trägt daher den Namen Weißer Schweizer Schäferhund.

Obwohl Wus Arbeit sehr theoretisch und faktensbasiert ist, sprechen diese Zeichnungen von Zärtlichkeit und inniger Verbundenheit zu den Hunden. Vielleicht musste er viele theoretische Kilometer zurücklegen und viel historischen, politischen und sozialen Kontext zur Mensch-Schäferhund-Beziehung herausarbeiten, um seine künstlerische Beschäftigung mit den Hunden zu rechtfertigen und seine Zuneigung zu ihnen vor uns zu verbergen. Umsonst! Schauen Sie sich nur den Schäferwelpen an!

 

Pure Breed, 2017 © Wu Chuan-Lun

Pure Breed, 2017 © Wu Chuan-Lun

 

Ich habe während meiner Recherchen viel über den Deutschen Schäferhund erfahren. Obwohl die Rasse in ihren ersten Jahrzehnten mit dem deutschen Nationalismus verstrickt war, ist der Deutsche Schäferhund ironischerweise zu einem der beliebtesten Hunde weltweit und zum allerbesten Freund des Menschen - unabhängig von Geschlecht, ethnischer oder sozialer Zugehörigkeit - geworden.

Viele Bezüge, die Wu Chuan-Lun hergestellt hat - z.B. zwischen Porzellanproduktion und Hundezucht - habe ich ausgelassen, um den Blogbeitrag noch bewältigen zu können. Aber auf Wus Homepage finden sich einige ausführliche Besprechungen und weiterführende Überlegungen zu diesem Werk.

Quellen: No Man‘s Land, Taipei Fine Arts Museum, Allacher Porzellan

alle Bilder © Wu Chuan-Lun