Ausstellung

25. November 2024 - 11:21

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024 © Marlene Fröhlich

 

Sehen Sie oben ein historisches Foto eines homosexuellen Paares mit Kinderersatz? Mitnichten! Es handelt sich um ein KI-generiertes Bild, das die Fotografin und Künstlerin Marlene Fröhlich aufwendig analog ausgearbeitet hat.

 

Ausstellungsansicht, Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024, Foto Petra Hart

 

Ihre Absicht ist es, historische Leerstellen zu füllen. Trotz der unermüdlichen Arbeit von queeren und feministischen Historiker*innen, Archivar*innen und Aktivist*innen haben es nur wenige feministische und queere Bilder in das kollektive visuelle Gedächtnis geschafft. Es gibt also kaum historische Bilder z.B. homosexueller Paare. Marlene Fröhlich erfindet die fehlende diversere Vergangenheit mit Hilfe einer bildgebenden Künstlichen Intelligenz (KI): Eine Vergangenheit, die zwischenmenschliche Beziehungen zeigt, die nicht einer heteronormativen Vorstellung von Freundschaft und Liebe entsprechen; eine Vergangenheit voll von Menschen und Situationen, die unterdrückt und unsichtbar gemacht wurden – und es immer noch werden.

Präsentiert hat sie ihre Ergebnisse in der Ausstellung "In aller Freundschaft" im Dommuseum, das jährlich eine andere inhaltlich bestimmte Ausstellung bestückt. Die meisten Exponate sind zeitgenössisch, viele werden eigens für die Ausstellung angefertigt.

Marlene Fröhlich ordnet die vielen kleinen Schwarz-Weiß-Fotos ihrer partizipativen Installation an der Wand, sodass sie wirken als seien sie einem Familienalbum entnommen.

 

Ausstellungsdisplay, Studio Supplement, 2024, Foto Petra Hartl

 

Die Arbeit selbst ist einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen, da die Besucher*innen partizipieren können: In einem an der Wand montierten Briefkasten können Wünsche für Bilder von Freundschaft hinterlassen werden, die in der Geschichte und Gegenwart fehlen; ausgewählte Beispiele werden dann von der Künstlerin anstelle von anderen in die Installation integriert.

Wie wurde wohl der Wunsch zu diesem Foto formuliert? (Die Arbeit wurde mehr schlecht als recht von mir in der Ausstellung fotografiert).

 

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024,1, Foto Petra Hartl

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024,2, Foto Petra Hartl

 

Als "Studio Supplement" lädt die Künstlerin die Öffentlichkeit ein, Wünsche auch über Instagram einzuschicken. Anschließend konfrontiert Fröhlich die zutiefst voreingenommene und englischsprachige KI mit spezifischen Anfragen und übersetzt so die eingesendeten Texte in Bilder. "A cyanotype of an interracial couple of two trans masculine people kissing on a couch, 1940". "„A polaroid lesbian couple taking a self-portrait, 1970". Das Ziel ist es, eine möglichst genaue Darstellung dessen, was gewesen sein könnte, zu generieren. Dabei wählt Fröhlich für jede Zeitspanne unterschiedliche fotografische Methoden: von kleinen fotografischen Visitenkarten (Cartes de visite) zu großformatigen Polaroids.

"A tintype of a man in a ball gown, 1860", also ein Mann im Ballkleid, ist eine zu schwierige Aufgabe für die KI. Das erzeugte Bild zeigt einen Mann mit einem Ball in den Händen.

Die Künstlerin entwickelt jedes KI-generierte Foto als Unikat in verschiedenen Verfahren und Formaten auf abgelaufenen und auslaufenden Vintage-Materialien.

Marlene Fröhlich arbeitet selbstständig als Fotografin und studiert transdisziplinäre Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Ihre künstlerische Praxis umfasst eine Vielzahl von Materialien und Formaten, darunter Keramik, analoge Fotografie, KI und Konzeptkunst. Mit einem intersektional feministischen und queeren Blick erforscht Fröhlich, was hätte sein können, rückt das Unsichtbare in den Fokus und schafft spielerische, aber zugleich sensible Erzählungen.

Die Ausstellung "In aller Freundschaft" ist noch bis zum 24. August 2015 im  Dom Museum Wien zu sehen.

Quellen: Die Angewandte, Studio Supplement/Marlene Fröhlich, Text Alina Strmljan
 

Ausstellung, Fotografie
2. Oktober 2024 - 10:22

Louise Catherine Breslau, Selbstporträt, 1891 © Musée d’Art moderne et contemp
Louise Catherine Breslau, Selbstporträt, 1891
© Musée d’Art moderne et contemporain de Strasbourg

 

Eine wunderschöne junge Frau blickt uns mit entwaffnender, fast einschüchternder Direktheit an. Es handelt sich um die Künstlerin Louise Catherine Breslau, die zurzeit mit 25 anderen Frauen im Städel Museum im Rahmen der Ausstellung "Frauen - Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900" gezeigt wird.

 

"Die Ausstellung zeigt Künstlerinnen, die sich mit großer Eigenständigkeit und Professionalität in einem durch männliche "Künstlergenies" bestimmten Kulturbetrieb durchsetzten. Unter dem Blickwinkel der Netzwerke entsteht ein komplexes Bild der Ausbildungs- und Arbeitssituation von Künstlerinnen in der Moderne: vom Kampf der Wegbereiterinnen im Paris der 1880er-Jahre über die ersten Bildhauerinnen an der Kunstschule des Städel um 1900 bis hin zu einer jungen selbstbestimmten Generation von Künstlerinnen im Neuen Frankfurt der 1920er- und 1930er-Jahre." (zit.n.Städel Museum, Presseinformation)

 

Ich habe für den Blog exemplarisch Catherine Louise Breslau gewählt, da sich in ihren Gemälden immer wieder Hunde finden. Wenn sie Hunde malte, dann porträtierte sie diese wie Menschen und zeigte die emotionale und freundschaftliche Verbundenheit zu ihnen. Bei ihrem Selbstporträt lugt der kleine Hund aus dem eleganten Umhang hervor. Die Darstellung erzählt nicht nur vom Beschütztwerden, sondern zeigt auch das zarte Miteinander der beiden: Die Hand umschließt die Pfote.

"Mes Toutous" von 1881 ist eines der frühesten Pastelle der Künstlerin. Das Pastell erlaubt ein rasches Arbeiten und ermöglicht durch das Verwischen mehrerer Farbschichten eine malerische Wirkung.

 

Louise Catherine Breslau, Mes Toutous, 1881
Louise Catherine Breslau, Mes Toutous, 1881

 

Louise Catherine Breslau spezialisiert sich auf Porträts, die meisten dieser Auftragsarbeiten führt sie in Pastell aus. Sie reduziert bereits jetzt das Interieur auf das Wesentliche. Ab 1910/11 heben sich ihre angedeuteten skizzierten Porträts vor einem neutralen, bisweilen leicht schraffierten Hintergrund ab. Alles wird flüchtig und spontan erfasst, zumeist bleiben ganze Blattpartien offen, wodurch der Bildträger an der Gesamtwirkung teilhat.

 

Louise Catherine Breslau, Portrait de Mademoiselle Adeline Poznanska enfant, 189
Louise Catherine Breslau, Portrait de Mademoiselle Adeline Poznanska enfant, 1891
© Musée d'Orsay

Louise Catherine Breslau, Porträt der Freunde, 1881 © Musée d'art et d'histoir
Louise Catherine Breslau, Porträt der Freunde, 1881
© Musée d'art et d'histoire, Ville de Genève, Foto Flora Bevilacqua

 

Für Louise Catherine Breslau wurde Paris zum Ausgangspunkt ihrer Karriere und zu einem wichtigen Zentrum ihres internationalen Netzwerks. Hier konnte sie sich zu einer erfolgreichen Künstlerin entwickeln. Die Pariser Ausbildungsstätten waren außerdem wichtige Begegnungsorte. Die Ausstellung im Städel Museum präsentiert ihr programmatisches "Porträt der Freunde", das ihre Pariser Wohn- und Frauengemeinschaft abbildet. Die junge Malerin zeigte das Werk 1881auf dem Pariser Salon und wurde schlagartig berühmt. (vgl. Städel Museum Presseinformation)

Wir sehen die die Künstlerin, wie sie die zwei Freundinnen und einen Hund in der gemeinsamen Atelierwohnung malt. Das Gemälde beschreibt die spezifische Situation für Frauen in der damaligen Zeit, in der es gesellschaftlich nicht akzeptiert war, als junge Frau allein zu wohnen. Das Gemälde entstand zudem in Paris, da in Deutschland Frauen der Zugang zu einer künstlerischen Ausbildung weitgehend verwehrt war.

Drei Frauen sitzen gedankenversunken an einem Tisch - eine Szene, die oft genutzt wurde, um die sozialen Verbindungen im späten 19. Jahrhundert darzustellen. Links sitzt Maria Feller, eine italienische Sängerin, in der Mitte die Winterthurer Malerin Sophie Schaeppi und an den rechten Bildrand geschoben die Künstlerin selbst in Rückenansicht, dazwischen ihr geliebter Hund.

Das Gemälde vereint alles, was ihr Frühwerk auszeichnet, sowohl farblich, formal, stilistisch als auch inhaltlich - und was sie konsequent fortführte. Es ist ein Gruppenporträt auf engem Raum, und doch sind es Einzelporträts, bei denen jede Person charakteristisch erfasst ist. Aber ihre geschickte und überlegte Komposition schafft eine formale, vor allem geistige Verbindung zwischen den Dargestellten, die in dem klugen Gefüge eng miteinander verbunden sind, ohne in direktem Kontakt zu stehen. Jede Person hält inne, um sich in Gedanken zu verlieren. Auch der Hund strahlt Ruhe aus und scheint in Gedanken versunken.

Diese Ruhe und In-sich-Gekehrtheit der Modelle zeichnet fast jedes Werk von Louise Catherine Breslau aus. Das Interesse der Künstlerin an der psychologischen Durchdringung ihrer Modelle bewirkte eine allmähliche Vernachlässigung in der Darstellung des Raums, der zunehmend formale Bedeutung erhielt und später oftmals gänzlich verschwand. (vgl. Anne-Catherine Krüger in: Berufswunsch Malerin! Elf Wegbereiterinnen der Schweizer Kunst aus hundert Jahren, FormatOst, 2020, S 51ff)
 

 

Louise Catherine Breslau, Zu Hause oder Intimität, 1885 © Musée des beaux-arts
Louise Catherine Breslau, Zu Hause oder Intimität, 1885
© Musée des beaux-arts de Rouen

 

Das Thema der geistigen Verbundenheit der Menschen und der tiefen Freundschaft bei gleichzeitiger Besinnung auf sich selbst ist auch in "Zuhause oder intimität" anzutreffen. Das Doppelporträt ihrer Mutter und ihrer Schwester Bernhardine gewährt einen Blick in das beseelte Leben der Dargestellten, die niemals in Aktion oder Bewegung sind, sondern auch dann innehalten, wenn sie zuvor einer Tätigkeit wie dem Sticken nachgegangen sind.

Sehr originell ist die Positionierung des Hundes, der am unteren Bildrand angeschnitten ist und fast wie ein Fremdkörper oder nachträglich dazugemalt wirkt.

 

Louise Catherine Breslau, La vie pensive, 1908 © Musée cantonal des Beaux-Arts
Louise Catherine Breslau, La vie pensive, 1908
© Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne

 

In "La vie pensive" stellt Louise Catherine Breslau eine Szene im Salon ihres Hauses in Neuilly-sur-Seine, einem Vorort von Paris, dar. Sie malt sich selbst, einen Brief in der Hand haltend, in sitzender Rückenansicht, nur ihr markantes Profil ist zu sehen. Im Vordergrund sitzt ihre Partnerin Madeleine Zillhardt, die ihr Muse, Modell, Vertraute und Förderin ist, und berührt gedankenverloren einen Barsoi. Ein Gefühl der Spannung und Verzagtheit geht von ihr aus, das wohl auch der sensible Hund wahrgenommen hat: Er legt tröstend und mitfühlend seinen Kopf in ihren Schoß und scheint selbst zu wissen, dass er zu seinem Menschen nicht durchdringen kann.

Das große Gemälde ist mit schnellen Pinselstrichen im Stil der impressionistischen Malerei eines Edgar Degas gemalt. Auf dem weißen Tischtuch in der Mitte des Gemäldes stehen eine Reihe von Elementen, die häufig in Stillleben zu finden sind, wobei sich opake und transparente Texturen abwechseln: ein Blumenstrauß, ein Obstkorb, eine Karaffe mit Glas und ein Porzellanteller. Ein Messer, das auf einen Pfirsich gerichtet ist, symbolisiert die fleischliche Leidenschaft der beiden Frauen füreinander.

Obwohl Louise Breslau in Paris eine führende Persönlichkeit der Schweizer Kunstszene war, musste sie sich die Anerkennung in ihrem Heimatland hart erarbeiten. Das Gemälde wurde erst an der neunten nationalen Kunstausstellung in Basel angenommen, nachdem sich die Künstlerin beim Bundesrat über die Frauenfeindlichkeit des Schweizerischen Maler- und Bildhauervereins beschwert hatte, der Ferdinand Hodler gefolgt war und für die Ablehnung von Frauen gestimmt hatte. (vgl. MCBA)

 

Louise Catherine Breslau, Jeune fille avec un Borzoi, 1912
Louise Catherine Breslau, Jeune fille avec un Borzoi, 1912

 

Wie nur wenigen Künstlerinnen ihrer Zeit war es Louise Catherine Breslau (*1856 in München/D, gest. 1927 in Neuilly-sur-Seine/F) aus eigener Kraft gelungen eine selbstständige Position als Frau und Künstlerin zu erarbeiten. Sie ließ sich in einem damals für Frauen üblichen Bereich ausbilden: dem Porträt. Um eine anspruchsvollere Ausbildung zu erhalten, zog sie 1876 nach Paris, um an der Académie Julian teilzunehmen. Dieses Atelier bot einen alternativen Unterricht zu dem der Ecole nationale des beaux-arts an, die Frauen noch verschlossen war.

Ohne sich einem Impressionismus oder Naturalismus radikal zuzuwenden, griff sie stilistische und thematische Merkmale ihrer künstlerischen Vorbilder auf und gelangte zu einer ihr eigenen Handschrift und Bildauffassung. In Paris wurde sie bald von der Kunstwelt geschätzt und geehrt. Bereits um 1900 war sie eine der gefragtesten Porträtistinnen.

Nach ihrem Tod geriet sie allerdings in Vergessenheit. Erst 1988 wurde Breslau mit einer Monografie und einem kritischen Werkverzeichnis Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung, welche die Aufmerksamkeit erneut auf die Künstlerin lenkte.

Eine ausführliche Biografie von Louise Catherine Breslau finden Sie im großartigen e-Kunstmagazin ARTinWORDS.

Die Ausstellung im Städel-Museum ist noch bis zum 27.10.2024 zu sehen.

 

Ausstellung, Malerei
15. Juli 2024 - 9:59

Dog Days Bite Back, 2023 © Oliver Ressler

 

Ein Aggression und Angst verkörpernder Hund steht vor einem brennenden Hintergrund. Wie kein anderes Bild kommentiert die Fotomontage mit dem Titel "Dog Days Bite Back" auf eindringliche und dramatische Weise die Klimakrise. Sie war ein Leitmotiv von Oliver Resslers Werkschau im Belvedere 21 im Rahmen der Klima Biennale Wien.

Der Titel des Fotos sowie der Ausstellung bezieht sich auf eine Aussage des UNO-Generalsekretärs António Guterres zum Sommer 2023 als heißestem seit Messbeginn:

 

"The dog days of summer are not just barking, they are biting."

 

In Filmen, Installationen, Arbeiten im Außenraum und dem Medium Ausstellung thematisiert Oliver Ressler seit etwa drei Jahrzehnten dringliche Aspekte von Ökonomie, Demokratie, Migration, Klimakrise, Widerstandsformen und gesellschaftlichen Alternativen, um strukturelle Ursachen, aber auch Widerstandsformen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Seiner künstlerisch-aktivistischen Praxis liegt die Überzeugung zugrunde, dass gesellschaftliche Verhältnisse nicht gegeben, sondern vielmehr veränderbar sind. Gesellschaftliche Alternativen denkbar zu machen, ist dabei ein zentrales Motiv.

In seinen kämpferischen, engagierten dokumentarischen Arbeiten bezieht er als dezidiert positionierter Beobachter Stellung. Gleichzeitig reflektiert er dabei seine Rolle eines involvierten Teilnehmers und künstlerischen Forschers.

Oliver Resslers (*1970) Arbeiten wurden bereits in Tausenden Veranstaltungen sozialer und aktivistischer Bewegungen, Kunstinstitutionen und Filmfestivals gezeigt.

Bild © Oliver Ressler

 

Ausstellung, Fotografie
5. Juli 2024 - 20:15

Irina Bartels, Julia Belot, Eberhard Bitter, Piot Brehmer, Hagga Bühler, Julija Burdack, Ankalina Dahlem, Claudia Dermutz, Anja Flügel, Sieglinde Gros, Claudia Grünig, Prof. Ottmar Hörl, Susana Infurna Buscarino, Ewald Janz, Heike Jeschonnek, Andrea Legde, Petra Meyer, Sibylle Möndel, Kerstin Römhild, Welf Schiefer, Dorothea Schüle, Antje Vega, Elke Vogelsang, Elizabeth Weckes, Viola Welker, Sandra Wörner, Dagmar Wolf-Heger, Ulrike Zimmermann:

Das ist die umfangreiche Liste der ausstellenden deutschen und osteuropäischen Künstler und Künstlerinnen beim Kunstsommer Burg Wertheim, organisiert vom Galeristen Axel Schöber und unterstützt durch die Stadt Wertheim. Vom 7. Juli bis zum 18. August 2024 widmet sich das Neue Archiv ganz dem Hund: "DOGS – zwischen Instinkt und Zuneigung" beleuchtet die Bandbreite, die im Titel angesprochen wird, anhand von Druckgrafik, Fotografie, Malerei, Objekt, Skulptur und Zeichnung.

Um Ihnen einen kleinen Vorgeschmack zu geben, habe ich mir vier Künstlerinnen ausgesucht, die ich kurz vorstelle:

Sibylle Möndel (*1959 in Stuttgart/D) verbindet die Technik des Siebdrucks mit gestischer Malerei in stiller zurückhaltender Farbigkeit. Dazu bearbeitet die Künstlerin Fotografien oder Fotofragmente auf dem Computer, die dann in der Technik des Siebdrucks auf die Leinwand gedruckt werden. Aus dem einfachen flachen Druck eines Schäferhundes erzeugt Sibylle Möndel mit wenigen groben informellen horizontalen und vertikalen Pinselstrichen eine mehrschichtige Landschaft mit Tiefe. Der Hund scheint etwas zu betrachten, was für uns im Verborgenen liegt: Rätselhaftigkeit entsteht.

 

o.T., Siebdruck, Ölfarbe auf Leinwand © Sibylle Möndel

 

Julia Belot möchte nur das Gute und Schöne malen und das Liebenswerte ergründen. Alles Negative bleibt im Verborgenen. Ihrer Absicht wird sie durchaus gerecht. Um das Positive noch mehr hervorzuheben, setzt sie eine über die Natur hinaus gehende, in ihrer Intensität gesteigerte Farbigkeit ein. "Traumland" heißt eine ihrer Serien, und im Traumland ist es so schön und friedlich, wie es nur die kindliche Fantasie imaginieren kann und Mensch und Tier märchenhaft nebeneinander existieren.

 

Iza und zwei Wölfe, 2015 © Julia Belot

 

Elizabeth Weckes (*1968 in Willich/D) steuert Foxy bei! Er ist Teil einer Serie, die angeleinte Hunde beim Gassigehen zeigen. Unwichtiges wie Frauchen und Herrchen sind im Bild angeschnitten und bloß als ausschreitendes Beinpaar präsent.

 

Foxy, Red Handbag, 2024  © Elizabeth Weckes

 

Vielleicht sehen Sie im Neuen Archiv erstmals eine Hunderudel-Skulptur von Sieglinde Gros (*1963 in Darmstadt/D), deren Werk bisher auf die menschliche Figur und Figurengruppen ausgerichtet war. Die Bildhauerin arbeitet mit Kettensäge und Stemmeisen, lässt die Arbeitspuren und den Holzblock als Ausgangsmaterial sichtbar. Wie lust- und energievoll die Befreiung der "Meute" aus dem Holz vor sich geht! Diese Hunde zögern nicht!

 

Meute, 2024 © Sieglinde Gros

 

Die Vernissage findet am 7. Juli 2024 um 11:30 Uhr mit einer Einführung des Kurators Axel Schöber statt. Im Rahmenprogramm wird er selbst über Kunst und Künstliche Intelligenz referieren, Ottmar Hörl spricht über den Kunstmarkt, Dagmar Wolf-Heger über Wölfe im Schutzraum. Am letzten Tag der Ausstellung können die Besucher und Besucherinnen eine Künstlerin beim Schaffensprozess beobachten: Sandra Wörner wird vor dem Publikum zeichnen.

Die Öffnungszeiten und Termine des Rahmenprogramms können Sie hier nachlesen.

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur
11. März 2024 - 10:34

I believe I can fly, I believe I can touch the sky, tralalalalaaalal

 

A Dog's Dream, 2023 © Seth Becker

 

Tiere und Menschen, Landschaften und Interieurs bilden das Universum des New Yorker Malers Seth Becker. Er verfremdet vorhandene Bilder, schafft Bilder, die nur seiner Fantasie entsprungen sind oder malt Bilder, deren Grenze zwischen dem Realen und dem Imaginären fließend und durchlässig ist. Er malt Geschichten, indem er Fakten, Erinnerungen, Stimmungen und subjektive Wahrnehmung miteinander verwebt. In uns wecken seine Gemälde die Freude an der Begegnung mit dem Fremden, dem Alten und dem Unerklärlichen. Wie immer beschränkt sich meine Auswahl auf das Hundemotiv - Menschen, Hühner, Hasen, Frösche, Tiger, Pferde bleiben außen vor.

 

Tossed dog, 2022 © Seth Becker

Tightrope Walker, 2022 © Seth Becker

 

Seth Becker malt Gemälde von Hunden und Kojoten, die sich in schwierigen Situationen befinden, in denen sie gegen die Natur (Schwerkraft) antreten und Heldentum beweisen. Wenn Becker einen Hund malt, der auf einem Drahtseil klettert, wirkt das ein wenig seltsam. Wieso erscheint es uns dennoch nicht völlig unmöglich? Er hat zwei Drahtseile zur Verfügung und tastet sich sicher vor, balanciert sein Gleichgewicht aus. Hunde sind geschickt, das wissen wir. Vielleicht wartet ein Leckerli am Ende des Hochseilaktes. Aufgrund der einfachen Integrität des Bildes (ruhige, "ehrliche" Umgebung) und des Hundes (dem Mut, etwas zu tun, auch wenn es schwerfällt) setzen wir unseren Unglauben außer Kraft.

Der kleine Held unten klettert wohl auch gegen seine Natur an. Vielleicht hat er ein Eichkätzchen auf den Telefonmasten huschen gesehen - und plötzlich wird er sich der Höhe und seines Mutes bewusst!

 

A Dog Climbing A Telephone Pole Over The Hudson, 2023 © Seth Becker

A dog listening to a canary sing , 2022 © Seth Becker

 

Auch geheimnisvollen Elemente der Sprache und des Klangs tanzen in Beckers Gemälden umher. Wie sie an den verwortakelten (für Nicht-Wiener: krakeligen, aus der Form geratenen) Noten erkennen können, singt der Kanarienvogel aus voller Brust und jault der Hund aus voller Kehle - Baying The Blues!

 

Baying The Blues, 2023 © Seth Becker

A dog reading poems at a picnic table, 2023  © Seth Becker

 

In ihrer Bereitschaft, der Phantasie freien Lauf zu lassen, sind Beckers Werke ein leises Plädoyer für das Wunder und das Staunen. Hunde fliegen nicht nur wie Superhundehelden durch die Lüfte, sie lesen auch Bücher, ja Gedichte! Auf einem Picknicktisch! (Seth Becker arbeitet tagsüber als Bibliothekar. In den Abendstunden und bis in die Nacht hinein malt er in einem Atelier, das er auf dem Dachboden seines Hauses hat).

 

A blind dog hears a wasp nest, 2022 © Seth Becker

Coyote stalking a turkey, 2022 © Seth Becker

 

Becker sammelt alte Bilder, Fotos und Postkarten aus der Zeit vor 1940, vor allem von so genannten "Real Photo Postcards", die Schnappschüsse auf Postkartenpapier reproduzieren. Dabei ist er auf der Suche nach dem seltsamen Bild, das in seine Malerei einfließen und die Basis für seine Komposition bilden kann.

Oft arbeitet er auf älteren Gemälden, verwendet farbige Untergründe und setzt sein Ausgangsmaterial in einer rätselhaften, vielschichtigen Weise zusammen. Vergangenheit und Gegenwart, Fakten und Fiktion gehen derart eine Verbindung ein. Jedes dieser kleinen gegenständlichen Ölgemälde besticht durch Sensibilität, Eleganz und formale Sicherheit.

Einige Gemälde sind dick mit Impasto, andere mit einem Spachtel gemalt, und wieder andere weisen eine Textur auf, die von der Verwendung eines lockeren Pinselstrichs, einer intensiven Pinselführung herrührt. Man spürt in seinem Werk die unendlichen Möglichkeiten, die dem Schwung eines Pinsels entspringen und die Vielfalt seines (neo)expressionistischen Darstellungspotenzials.

Abstrahieren sie Kojoten und Truthahn - und sie sehen ein informelles Bild, ein Bild des abstrakten Expressionismus (noch deutlicher beim Hintergrund der "Two Black Dogs" weiter unten).

Unten sind wir eher beim späten Monet in dessen japanischen Garten! Niemals verlässt Seth Becker das figurative Paradigma zugunsten einer gänzlichen Abstraktion.

 

A Dog on the Frozen Bank of Lake Erie, 2023 © Seth Becker

Sleeping dog with blood trail, 2022 © Seth Becker

 

Beckers Gemälde sind hochgradig durchdachte Farb- und Farbtonkompositionen. Schauen Sie nur beim schlafenden Hund wie der Schnee zart rosa, violett und rotbraun schimmert. Oder die monochrome aufgetragene Farbe beim Hund im seichten Wasser, hier scheint der Künstler das Impasto sogar mit einer Spachtel oder einem Messer erzeugt zu haben.

 

Dog wading in shallow water, 2022 © Seth Becker

Hunter In The Fog, 2022 © Seth Becker

 

Kein Nebel versteckt die Schmach des Hundes, er hat die Ente nicht gefunden! Sieht er nicht aus, als ließe er schuldbewusst den Kopf und Ohren hängen? Gebückt, gedrückt, von Melancholie durchdrungen?

 

Hound with parting clouds, 2022 © Seth Becker

 

Die Wolken verziehen sich, der Schrecken bleibt!

 

Harlequin, 2022 © Seth Becker

Two black dogs (Zeke and Molly), 2021 © Seth Becker

 

Seth Beckers kleine Gemälde basieren nicht nur auf Fotos und Reproduktionen, sondern auch auf direkter Beobachtung seiner Wohnumgebung (Wappinger's Falls, einer Stadt im Bundesstaat New York) und Autobiografischem (Spaziergänge mit seinem Hund).

Noch vor einigen Jahren war sein angeleinter Hund Toby ein wiederkehrendes Motiv des Künstlers. Obwohl sich seine Malerei im Laufe der Jahre verändert hat - er wurde literarischer, erzählerischer, sanfter - blieb sein Bewusstsein für die Materialität der Farbe und ihre unterschiedlichen Reaktionen auf den Bildträger konstant. Besonders bei diesen "alten" Bildern seines Hundes sind großflächige, aufgeraute Untermalungen zu sehen.

 

Two Dogs walking, 2019 © Seth Becker

Lavender shadows, 2021 © Seth Becker

Toby barking at his shadow, 2020 © Seth Becker

Walking the dog in the suburbs, 2021 © Seth Becker

 

Man kann immer wieder Verbindungen zwischen seinen Werken bezüglich Stil, kunstgeschichtlicher Inspiration und Thema finden, Seth Becker möchte sie vor allem als autonome Bilder verstanden wissen:

 

“I love the idea of people seeing my paintings in a book, I want people to see each work one at a time and to be in the world that exists in each one.” (zit. n. artnet)

 

Und schließt man das Buch, bilden die vielen Welten doch wieder einen Becker'schen Kosmos!

 

Portrait of Seth Becker. Courtesy the artist and Venus Over Manhattan, New York

 

Seth Becker (*1987 in Queens/New York/USA) lebt und arbeitet in Wappingers Falls, NY. Er erwarb seinen BA am Marymount Manhattan College, seinen MFA an der New York Studio School of Drawing, Painting and Sculpture und seinen MLS am Queens College, CUNY, Flushing, NY.

Sollten Sie sich vor dem 9. März 2024 zufällig in New York aufhalten, können Sie Seth Beckers Einzelausstellung "A Boy‘s Head" in der Galerie Venus Over Manhattan besuchen. Ich jedenfalls, würde mir das nicht entgehen lassen!

Quellen: Instagram, Two Coats Of Paint, Artnet, Venus Over Manhattan, Pamela Salesbury Gallery

alle Bilder © Seth Becker

 

Ausstellung, Malerei
2. Februar 2024 - 15:47

Cleaner, 2020 © Lin May Saeed

 

An Traurigkeit nicht zu überbieten ist diese dystopische Skulptur. "Cleaner/Reiniger" hat Lin May Saeed ihr Werk genannt. Es zeigt eine menschliche sitzende Figur mit Maske und Schutzanzug, die ein kleines Pferd streichelt, ihm den Rücken massiert. Unbeholfen, mit schützenden Fäustlingen geht der zärtliche Vorgang vonstatten. Das Pferdchen, ob tot oder lebendig, fühlt keine Körperwärme des Berührenden.

Obwohl weit entfernt von einer naturalistischen Darstellung macht die Skulptur ob ihrer Zärtlichkeit fassungslos. Zeigt sie die tödliche Hoffnungslosigkeit für die Tiere oder gibt sie Hoffnung auf ein geändertes verbindendes Tier-Mensch-Verhältnis?

 

Milo, 2023, Installationsansicht Georg Kolbe Museum @ Lin May Saeed, Foto Enric

 

Der trauernde Hund "Milo" mit gesenktem Kopf und gebückter Haltung aus weiß bemalter Bronze bildet die bewegende Begrüßungsskulptur zu Lin May Saeeds erster musealen Einzelausstellung in Deutschland, die noch bis zum 25. Februar 2024 im Georg-Kolbe-Museum zu sehen ist. Ihm zur Seite gestellt sind Arbeiten der Bildhauerin Renée Sintenis, womit ein interessanter Dialog entsteht. Die deutsch-irakische Künstlerin selbst ist nur wenige Tage vor der Eröffnung im Alter von 50 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors verstorben. Schon der Ausstellungstitel "Im Paradies fällt der Schnee langsam“ verweist auf das sensible, melancholische und poetische Werk der Künstlerin, in dem Tiere ihre Würde wiedererlangen. Dementsprechend haben sich die Styroportiere in der zentralen Halle aus ihren Käfigen befreit.

 

Installationsansicht Georg Kolbe Museum © Lin May Saeed

 

Auch das "Pangolin" steht auf seiner Transportkiste, die ihm nun als Sockel dient. Es gehört zu den meist geschmuggelten Tieren und ist vom Aussterben bedroht. Anders als Marmor oder Bronze wird die Skulptur aus biologisch nicht abbaubarem Styropor seine lebenden Artgenossen überdauern. Sie steht zugleich als Mahnung für die Auswirkungen auf die Umwelt im Zeitalter des Anthropozäns.

 

Pangolin, 2020 © Lin May Saeed, Foto The Clark Art Institute

 

Viele Arbeiten wirken leicht und unbeschwert. Leicht sind sie tatsächlich, da fast alle Skulpturen aus Styroporresten gefertigt sind, die die Künstlerin auf Baustellen und Müll fand oder aus Restbeständen erhielt. Die Leichtigkeit des Materials machte es ihr möglich, in einem lebensgroßen Maßstab zu arbeiten, damit die Betrachtenden auf Augenhöhe mit einer tierischen - oder menschlichen - Figur sind. Die Leichtigkeit des Materials gab ihr aber auch Unabhängigkeit und Selbstermächtigung in der Männerdomäne der Bildhauerei, da es auch ohne starke physische Kraft einfach zu bearbeiten ist.

 

Sie arbeitet so lange mit dem Material, bis es antwortet, bis sich der Arbeitsprozess verselbständigt.

 

"Most animals have fur, feathers, scales or an exoskeleton, and depicting that sculpturally is a challenge. Every living thing moves almost constantly, and motion blur and vividness go together. Likewise, there is a blurriness when working with Styrofoam because of the materiality. Styrofoam is, first of all, block material and on closer inspection it has a smallest visible unit, namely small spheres. The fact that the naked eye can see the smallest unit I feel has a poetic quality. I like to imagine that they are atoms. I look for the productive interplay of these two blurs, the granularity of the material and the living things that emerge from it. And perhaps most crucially: I understand my works not as objects, but as subjects." (zit.n.The New Institute)

„Die meisten Tiere haben ein Fell, Federn, Schuppen oder ein Exoskelett, und das bildhauerisch darzustellen, ist eine Herausforderung. Jedes Lebewesen bewegt sich fast ständig, und Bewegungsunschärfe und Lebendigkeit gehen Hand in Hand. Auch bei der Arbeit mit Styropor gibt es aufgrund der Materialität eine Unschärfe. Styropor ist in erster Linie ein Blockmaterial und hat bei näherer Betrachtung eine kleinste sichtbare Einheit, nämlich kleine Kugeln. Die Tatsache, dass das bloße Auge die kleinste Einheit sehen kann, hat für mich eine poetische Qualität. Ich stelle mir gerne vor, dass es Atome sind. Ich suche nach dem produktiven Zusammenspiel dieser beiden Unschärfen, der Körnigkeit des Materials und den daraus entstehenden Lebewesen. Und vielleicht das Entscheidende: Ich verstehe meine Arbeiten nicht als Objekte, sondern als Subjekte.“ (übersetzt mit DeepL)

 

In den Werken von Lin May Saeed geht es um die Beziehung zwischen Mensch und Tier, um Tierrechte, Artensterben, Massentierhaltung. Doch anstatt nur das Leiden und den Tod der Tiere darzustellen, schuf die Künstlerin "Werke der Hoffnung". Es sind Werke, mit Gesten der Versöhnung. In einem Interview sagte sie dazu:

 

“What would be the alternative to peaceful images? I rarely reproduce the real, structural form of violence in which animals live and die behind closed doors. But I have respect for the artists who do. I would describe the kinder part of my artistic practice as works of hope. I have been working on the series The Liberation of Animals from their Cages since 2006.”

„Was wäre die Alternative zu friedlichen Bildern? Ich gebe selten die reale, strukturelle Form der Gewalt wieder, in der Tiere hinter verschlossenen Türen leben und sterben. Aber ich habe Respekt vor den Künstlern, die das tun. Den freundlicheren Teil meiner künstlerischen Praxis würde ich als Werke der Hoffnung bezeichnen. Seit 2006 arbeite ich an der Serie Die Befreiung der Tiere aus ihren Käfigen." (übersetzt mit DeepL)

 

Liberation of Animals from their Cages IV, 2008 © Lin May Saeed

 

Seit 2006 arbeitete Lin May Saeed an der Serie "The Liberation of Animals from their Cages”. Diese von hinten beleuchtete Arbeit thematisiert die Mitte der 1970er Jahre entstandene Tierbefreiungsbewegung. Sie basiert auf Vorzeichnungen, die auf Papier übertragen und dann ausgeschnitten und mit farbigem Transparentpapier ergänzt wurden.

 

St.Jerome and the Lion, 2016 © Lin May Saeed

 

Liberation of Animals from the Cages XVIII, Olifant Gate, 2016 © Lin May Saeed

Liberation of Animals from their Cages XX, 2017 © Lin May Saeed

Liberation of Animals from their Cages XXI, 2018 © Lin May Saeed

 

Die Stahltüren sind ebenfalls Teil von Lin May Seeds Befreiungsserie "Liberation of Animals from their Cages". Während der heilige Hieronymus den Dorn aus der Pfote des Löwen entfernt und Tierbefreier die Ketten (der Käfige) durchschneiden, hat der Hummer das Werkzeug, um sich selbst zu befreien, indem er das Metallgitter mit seinen Scheren aufschneidet.

Die harmonischen und zurückhaltenden Reliefs spielen in Lin May Saeeds Werk eine wichtige Rolle. Diese Zwischenform aus Skulptur und Malerei, Fläche und Raum zieht sich durch ihr gesamtes Werk.

 

Liberation of Animals from the Cages III, 2008 © Lin May Saeed

Liberation of Animals from the Cages VI, Asylum, 2009 © Lin May Saaed

 

Das Relief "Mureen/Lion School" ist in vier Ebenen unterteilt: Die oberste zeigt eine Löwin, die mit der Löwin auf der darunterliegenden Ebene mit dem poetischen Satz "Im Paradies fallen die Schneeflocken langsam" auf Arabisch ins Gespräch kommt und Inspiration für den Titel der Ausstellung im Georg Kolbe Museum war. Die Künstlerin verwendet immer wieder arabische Schrift in ihren Werken als Verweis auf die Familie ihres Vaters, der aus dem Irak stammte.

 

Mureen/Lion School, 2016 © Lin May Saeed

Teneen Albaher Relief, 2018 © Lin My Saeed, Foto Wolfgang Günzel

 

Lin May Saeed glaubte nicht, dass Kunst in einem moralischen und sozialen Vakuum funktioniert, sondern dass Kunst immer einen Raum der Bedeutung eröffnet. Von Anfang an hatten sie Gespräche mit Tierbefreiungsaktivisten, das Studium der Tierrechtsliteratur und aktuelle Debatten zum ausbeuterischen Tier-Mensch-Verhältnis beeinflusst. Ihre Sicht auf dieses Thema bestimmte ihre grundsätzlich konzeptionelle künstlerische Praxis. In dieser Hinsicht kamen Kunst und Politik in Ihrer Arbeit zusammen.

Doch im Gegensatz zu ihrem politischen Aktivismus, dessen Botschaft sie laut vorbrachte, verwendete Saeed in ihrer Kunst eine scheinbar naive, den Tieren entsprechende unschuldige Sprache, um Empathie zu wecken.

In einem Interview mit Arterritory sprach sie ausführlich darüber, dass ihre Fokussierung auf Tiere wahrscheinlich einer der Faktoren war, die sie lange daran gehindert hatten, ernst genommen zu werden. Sie reflektierte darüber, wieso die Einfühlung in Tiere in der Kunst selten ist, wieso sie mit ihrer friedlichen Kunst deeskalierend wirken will und wieso Tierrechtskunst kein weibliches, sondern ein politisches Thema ist.

 

Lyn May Saeed, Foto von arterritory

 

Lin May Saeed (*1973 in Würzburg/D, †2023 in Berlin/D) studierte von 1995-2001 an der Kunstakademie Düsseldorf unter anderem bei Tony Cragg. Trotz einiger Stipendien wurde ihr Werk erst in den letzten Jahren - im Rahmen des Diskurses über den Klimawandel - vom Kunstbetrieb vermehrt beachtet. Sie war ihrer Zeit voraus.

Quellen: Arterritory (Interview), Art Of Change (Interview), The New Institute (Interview), Galerie Nicoloas Krupp (Bildmaterial), Galerie Jacky Strenz, Galerie Chris Sharp, The Clark, Contemporary Art Library (Ausstellungsübersicht), Berlin Art Week

alle Bilder © Lin May Saeed

27. November 2023 - 9:45

Das Werk der amerikanischen Künstlerin Sabrina Bockler, die ich im letzten Blogbeitrag vorgestellt habe, ist unter anderem von den Künstlern der Neuen Sachlichkeit wie Franz Sedlacek beeinflusst. Ich habe mich sehr gewundert, dass sie diesen österreichischen Künstler der Zwischenkriegszeit kennt, da er nach dem 2. Weltkrieg vorerst in Vergessenheit geriet und nicht einmal in Österreich besonders bekannt ist. Da ich seit Jahren einen unfertigen Blogbeitrag über Franz Sedlacek in meiner "Warteschleife" habe, sah ich das als eine gute Gelegenheit ihn fertigzustellen.

Der Maler und Grafiker Franz Sedlacek zählt zu den wichtigsten österreichischen Künstlern der Zwischenkriegszeit. Sein einzelgängerisches Werk steht einerseits der Neuen Sachlichkeit nahe, andererseits sind seine grotesk-phantastischen Gemälde von der Kunst der Romantik und der niederländischen Malerei inspiriert.

Vielleicht wurde Sabrina Bockler von diesen Gemälden inspiriert!
 

Franz Sedlacek, Stillleben mit Echse

Franz Sedlacek, Blumenstück, 1933

 

Doch nun zu Sedlacek und seinen Hunden. Er hat sie klein und unauffällig in seine surrealen Landschafts- und Stadtansichten eingeführt. 2014 wurde das Werk des 1945 an der Ostfront verschollenen und 1965 für tot erklärten Franz Sedlacek  in einer Retrospektive im Wien Museum gezeigt. Ich habe die damaligen Rezensionen nachgelesen, um etwas über seine Hundedarstellungen zu finden, doch deren Anwesenheit in den Gemälden wird nirgends erwähnt. Für mich ein Zeichen dafür, wie beiläufig und selbstverständlich Sedlacek dieses Motiv in sein Werk integriert hat.

 

Franz Sedlacek, Gewitterlandschaft, 1936, Nordico-Museum der Stadt Linz

 

Er malt zeitlose, triste Phantasie- und Winterlandschaften, die latent unheimliche Stimmungen vermitteln. Dabei unterstreichen seine penible Malweise mit altmeisterlichem Farbauftrag und seine geometrische Konstruiertheit der Komposition das Geheimnisvolle und Unheimliche der Darstellung. Fenster sind eingeschlagen, im Vordergrund liegt surreal anmutendes metallisches Industriegerümpel. Ein Radfahrer strampelt gegen den Sturm an, auch der Hund sucht das Weite.

 

Franz Sedlacek, Der flüchtende Dieb, 1937

 

Ein Dieb flüchtet in eine düster-pathetische Landschaft, Hausfrau wie Hund nehmen die Verfolgung auf, wild gestikulierend und bellend. Die Figuren scheinen der Karikatur und Groteske entsprungen.

 

Franz Sedlacek, Winterlandschaft, 1931, Wien Museum

 

Obligat ist mystisches Licht, hier bedrohlich dunkel gegen den in Weiß getauchten Schnee gesetzt.

 

Franz Sedlacek, Winterlandschaft, 1931, Wien Museum

 

Das ist kein kleinstädtisches Idyll, vielmehr hängt eine düstere Gewitterstimmung über der vorweihnachtlichen Alltagsszene. Hier herrscht eine klirrende Kälte, die nicht nur durch die Eiskristalle auf den Bäumen hervorgerufen wird. Unzweifelhaft ist hier Sedlacek von der flämisch-holländischen Kunstgeschichte beeinflusst. Erinnert sie der kleine Eislaufplatz im Hintergrund nicht auch an Bruegels Winterlandschaft? Der Hund kehrt allerdings nicht von erfolgloser Jagd heim, sondern trottet neugierig neben seinem Herrchen.

 

Franz Sedlacek, Winterlandschft, 1925, Österreichische Nationalbibliothek

 

Noch düsterer und fast bedrohlich ist die Stimmung in dieser Kleinstadt. Der Hell-Dunkel-Kontrast verläuft haar- und überscharf entlang der beschneiten Flächen, trägt dazu bei, das Unwirkliche dieser Stadtansicht zu betonen. So werden auch der Maroniverkäufer und der Mann mit Hut zu unheimlichen Figuren. Die heitere Stimmung der roten Zipfelmützen unterliegt der aufgeheizten Stimmung der rotgesichtigen Männer. Der Hund schaut oder bellt in die Gasse. Haben sie bemerkt, was im Zentrum des Bildes ist? Ein rotes Plakat mit Hund. Was für ein schöner Einfall!

 

Franz Sedlacek, Industrielandschaft, 1934

 

Eine Industrielandschaft mit Versatzstücken moderner Technik (Schifffahrt) wird mit einer hell erleuchteten Kirche, die auf dem Berg fernab der modernen Zivilisation thront, konfrontiert. Mittendrin ein Mensch mit - Hund!

 

Franz Sedlacek, Übungswiese, 1926, Lentos Kunstmuseum, Linz

 

Auf den Bergkuppen tummeln sich unzählige Schifahrer in grotesken Verrenkungen, sie wirken kontrastreich und ornamental auf ihrer zugeschneiten "Übungswiese" vor dem düsteren Himmel. Auch hier ist ein Hund mit dabei: Aufgeregt bellend kommentiert er das würdelose Schauspiel, das groteske Treiben der Menschen. Dieses Bild ist übriges nur 26,5 x 23,3 cm groß.

 

Franz Sedlacek, Abendlied, 1938

 

In den Innenräumen spielen sich oft kleine, absurde Szenen mit rätselhafter Handlung ab. Der Posaunist scheint beim Fenster in eine weit in die Tiefe führende Landschaft aus Blau- und Brauntönen hinauszuschweben. Gibt es einen Zusammenhang mit den Posaunenengeln der christlichen Ikonographie? im Neuen Testament wird die Stimme Gottes als ein Posaunenton beschrieben.

Nur der Hund bleibt in dieser bizarren Bildwelt auf dem Boden (der Tatsachen). Hunde scheinen das Beständige zu sein, der Anker, der uns eben nicht abheben und in der Weite verlorengehen lässt. Sie stehen für das Bodenständige, Verlässliche, das den Menschen begleitet.

Franz Sedlacek (*1891 in Breslau/P) wuchs in Linz auf, wo er von einem deutschnationalen und antisemitischen Umfeld maßgeblich geprägt wurde. Hochdekoriert mit nationalen und internationalen Auszeichnungen, ging Sedlacek dennoch einem bürgerlichen Beruf nach: Er war Chemiker. Im Alter von 20 Jahren begann er mit dem Studium in Wien, zehn Jahre später wurde er Kustos für Chemie am Technischen Museum, 1937 stellvertretender Direktor. Er konnte seiner Leidenschaft, der Kunst, nur in seiner Freizeit nachgehen. Er zog bereits 1939 in den Krieg und gilt bis heute als vermisst, seine Spuren verlieren sich 1945 an der Ostfront im zentralpolnischen Thorn.

Quellen: Art In Words, Wien Museum

 

Ausstellung, Malerei
20. November 2023 - 10:59

Self Portrait with Louise © Sabrina Bockler

 

Sehen Sie die kleine geschälte Orange? Ein Vanitas-Motiv, wie es auch in den niederländischen Stillleben des Goldenen Zeitalters vorkommt. Dieses kleine Detail zeigt wohin die künstlerische Reise geht! Die amerikanische Malerin Sabrina Bockler ersetzt in ihren aktuellen Arbeiten die menschliche Figur durch Blumen, Lebensmittel und Rassehunde.

Zurzeit sind ihre sorgfältig ausgearbeiteten stilisierten Gemälde mit illustrativem Charakter von der Stilllebenmalerei inspiriert. Sie bezieht sich auf KünstlerInnen des 17. Jahrhunderts wie Balthasar van der Ast und Rachel Ruysch und ist von Malern der Neuen Sachlichkeit wie Franz Sedlacek, Christian Schad und der Fotografin Aenne Biermann beeinflusst. Dabei liegt ihr Interesse in der Spannung zwischen dem Traditionellen, den traditionellen Tropen, und dem Unheimlichen, Surrealen. Dieser Ansatz fordert die Betrachtenden dazu auf über die traditionelle Ästhetik hinauszudenken und sich in dem Chaos innerhalb eines dekorativen Stilllebens zu verlieren. Bockler erschafft demzufolge dekadente Szenen des Überflusses, die zum genauen Hinsehen einladen. Doch es ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick erscheint!

Während die niederländischen Stillleben des Goldenen Zeitalters lediglich reiche und aufwändige Tischdekorationen zeigen, die mit einer Fülle von Gegenständen wie Blumen, teuren Gläsern, Silberbesteck, tropischen Früchten, Muscheln und sogar lebenden Tieren wie Affen oder Papageien ausstaffiert waren, stört Bockler die Opulenz. Ihre Haustiere treiben Unfug und zerstören die Dekorationen: die Krustentiertürme, die perfekt geschnittene Melone und die Blumensträuße, die aus ihren Vasen fallen.

 

A La Carte, 2023 © Sabrina Bockler

 

In "A la Carte" erzählt die Künstlerin von Sinnlichkeit, Begehren, Weiblichkeit und Fruchtbarkeit, dargestellt durch aphrodisierende Lebensmittel wie Granatäpfel, Feigen, Trauben und Austern. Der Hummer, rot und auffällig, war das Symbol der Surrealisten für Erotik und sexuelle Ausschweifung. Er liegt neben dem Pfau, dessen leuchtende Farben und komplizierte Muster mit Stolz, Luxus und Raffinesse in Verbindung gebracht werden und der seinerseits zu dem Hund schaut, dessen Körper bescheiden ins Bild ragt.

 

Venus and Mars, 2021 © Sabrina Bockler

Decadence and Disaster, 2023 © Sabrina Bockler

 

Titelgemäß geht es in "Decadence and Disaster" schon wilder zu! Zwei kleine Papillons mit langem, seidigem Haar haben den eleganten Tisch bereits erobert und Unheil angerichtet. Die Erdbeerschale wurde umgestoßen, Blumen aus dem Bouquet gerissen, ein Cremetortenstück zerquetscht. Während einer noch im Obstkorb herumstochert, hat der andere bereits einen Fisch im Maul.

 

Table Manners, 2022 © Sabrina Bockler

 

An Tischmanieren mangelt es in "Table Manners" nicht nur, die ganze Tischlandschaft ist vielmehr aus den Fugen geraten: Kräftige Kiefer packen den Schinken, die Krabbe wird heruntergerissen!

 

Old Fruit, 2022 © Sabrina Bockler

Garland Of Flowers With Greyhounds, 2023 © Sabrina Bockler

The Voyeur, 2021 © Sabrina Bockler

 

"Garland Of Flowers With Greyhounds" und "The Voyeur" sind nicht nur Hommagen an die Rokokokünstlerin Rachel Ruysch, deren Werke für ihre exquisite Schönheit und Präzision bekannt waren, sondern es zeigt auch Bocklers humoristischen Sinn: Sie baut Rassehunde in die Mitte des Blütenkranzes.

 

Intrusive Thoughts, 2023 © Sabrina Bockler

 

Ein Papillon in "Intrusive Thoughts" sieht uns teilnahmslos an, während er auf eine Blumenvase uriniert. Die Komposition ist in einer häuslichen Umgebung angesiedelt. Das Markieren kann als ein dreister und rücksichtsloser Akt der Behauptung von Privilegien gelesen werden.

 

Eclipse, 2023 © Sabrina Bockler

Borzois In Moonlight, 2023 © Sabrina Bockler

Hounds, 2023 © Sabrina Bockler

 

Auch die "Hounds" - königliche Windhunde - sind von häuslicher, privilegierter Opulenz umgeben. Ihr Prunk, ihre Eleganz und Anmut haben beinahe etwas Unnatürliches an sich. Gezüchtet um bestimmte ästhetische Standards zu erfüllen, wirken sie wie Dekorationsobjekte für die Wohnung.

Bocklers detailreiche Acrylbilder bestechen durch versierte Eleganz und Stilsicherheit. Sie imitiert, übertreibt, überspitzt, karikiert die traditionelle Stilllebenmalerei,  wodurch ihre Arrangements und Kompositionen etwas Beunruhigendes, Groteskes erhalten.

 

ein Hund der Künstlerin © Sabrina Bockler

 

Sabrina Bockler lebt mit ihrem Partner Kevin und ihren Hunden Louise und Rae. Oft verbringen sie Zeit mit ihr im Atelier.

Noch bis zum 2. Dezember 2023 stellt die Künstlerin in der Galerie Duran/Mashaal in Montreal aus.

Sabrina Bockler (1987) ist eine amerikanische Künstlerin, die in Brooklyn, New York, lebt und arbeitet. Im Jahr 2011 erwarb Bockler einen Bachelor-Abschluss in Fine Arts an der Parsons New School of Design.

Quellen: Galerie Duran/Mashaal, Galerie Beers London, Galerie Hashimoto Contemporary, Colossal, Art of Choice

alle Bilder © Sabrina Bockler

 

Ausstellung, Malerei
28. Juni 2023 - 13:40

Dolce, 2023. © Irena Posner

 

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich dem skulpturalen Werk der britischen Künstlerin Irena Posner, die noch bis zum 29. Juli 2023 in der Wiener Galerie Kandlhofer ausstellt, zu nähern: eine formale und eine inhaltliche.

Formal interessant ist, dass Posner ihre Skulpturen aus Marmor - genauer Carraramarmor - herstellt. Also aus dem Material, aus dem Michelangelo seinen heroischen "David" gehauen hat. "Carrara-Marmor ist ja kein Stein mehr, das ist geradezu ein Edelstein. Ein Edelstein honoris causa", wie Claudia Aigner in der Wiener Zeitung schreibt.

Die Geschichte der Malerei ist immer auch die Geschichte dessen, was als darstellungswürdig erachtet wurde. Irena Posner stellt die Frage der Darstellungswürdigkeit im Bereich der Marmorskulptur, wenn sie kopulierende Hunde in Stein bannt.

Dieses Werk, "Dolce" betitelt, ist eine Anspielung auf Berninis Vergewaltigungsdarstellung "Raub der Proserpina". Die Berninis Skulptur innewohnende Gewalt und Brutalität wird durch den Marmor zusätzlich ästhetisiert. Indem Irena Posner eine kurze Hundepaarung in dauerhaften Stein festhält, rekontextualisiert sie den Marmor und nutzt das Material als Testfeld für die impliziten Vorurteile, die der Marmor als Material der Verehrung und Unterwerfung mit sich bringt.

 

There are strong opinions about what can and can’t be represented in marble. That frustration or perception that the material is used ‘improperly’ is kind of the sweet spot for me. It complicates our perception of what we thought was an innocuous piece of stone.  Suddenly we are asking questions about value and what is worthy of being re-presented in marble. (Posner  zit. n.  Galerie Kandlhofer)

Es gibt starke Meinungen darüber, was in Marmor dargestellt werden kann und was nicht. Diese Frustration oder der Eindruck, dass das Material „unangemessen“ verwendet wird, ist für mich der springende Punkt. Es verkompliziert unsere Wahrnehmung von etwas, von dem wir dachten, es sei ein harmloses Stück Stein. Plötzlich stellen wir Fragen über den Wert und darüber, was es wert ist, in Marmor dargestellt zu werden. (übersetzt mit DeepL)

 

Dolce, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

Dolce, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

Dolce, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

 

Ein Rückblick auf die Darstellung von Haustieren in der Marmorskulptur zeigt, dass es eine lange Tradition von Tierdarstellungen am Fuße von Königsgräbern gab. Das Hundemotiv war typisch für weiblichen Grabschmuck (Löwen für Männer) als Symbol der Hingabe und Treue. Letztlich stellen die Werke von Irena Posner sowohl die Erwartungen an Marmor als auch die Idealisierung und Memorialisierung von Tieren in Frage. (vgl. Galerie Kandlhofer)

Inhaltlich geht es bei ihren Werken für "Best in Show" um durch Tierdiskurse dargestellte Machtstrukturen, selektive Zucht und Fetisch. Grundsätzlich bewegen sich die Arbeiten Irena Posners im Bereich der Allegorie, des Spiels und des Humors.

Der direkt auf den Marmor geschweißte Stahlmaulkorb, die abgeschnittenen spitzen Ohren und der kupierte Schwanz des Dobermanns in ihrer Skulptur "No tongue can tell, no tail can wag" sind Gestaltungsmerkmale und Signifikanten des kuratierten Stammbaums. Abgerichtet und mit Maulkorb versehen, verschafft sich der Hund einen Status unter anderen Tieren. Posner bezieht sich auf Donna Haraways "When Species Meet", in dem Hundetrainingsregime die ständige Zügelung der Begierden eines Hundes beinhalten, bis die "Tugend" der Selbstbeherrschung gefestigt ist - eine eindeutig menschliche Tugend, die wir unseren Haustieren einimpfen.

 

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

No tongue can tell, no tail can wag, 2023 © Irena Posner, Foto Petra Hartl

 

Donna Haraways Texte tauchen bei der Rezeption zeitgenössischer Kunst immer wieder auf. 2021 wurde sie vom Kunstmagazin Monopol zur einflussreichsten Person der Kunstwelt gewählt. Grund genug endlich das Merve-Bändchen "Manifest für Gefährten" herzunehmen, das ihren Text von 2003 übersetzt und sich selbstverständlich in der Bibliothek meines Mannes befindet.

 

Am Beispiel der Beziehung zu ihrem Hund Cayenne untersucht die Autorin in „Das Manifest für Gefährten“ das Verhältnis von Mensch und Tier. Dort verwebt sie ebenso klug wie ungewöhnlich persönliche Erfahrungen mit wissenschaftlicher Analyse und kritischer Reflexion. Auf evolutionsbiologischer, geschichtlicher und persönlicher Ebene beschreibt Haraway die Entwicklung der „Gefährt*innen-Spezies“ nicht als einen einseitig vom Menschen dominierten, domestizierenden Prozess, sondern als wechselseitiges, gemeinsames Lernen und Werden von Mensch und Tier. Sie analysiert die historischen und politischen Dimensionen des Machtverhältnisses (beispielsweise den Einsatz von Hunden in Vollzugsanstalten und zur Grenzsicherung) und plädiert für einen liebe- und verantwortungsvollen Umgang mit der „signifikanten Andersartigkeit". (zit. n. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen)

 

Irena Posner hat einen Master in Bildhauerei vom Royal College of Art. Sie wurde 2023 mit dem Harlow Sculpture Town Artist in Residence ausgezeichnet und erhielt 2021 den Gilbert Bayes Sculpture Award. Sie war in der engeren Auswahl für den Kenneth Armitage Award 2022 und hat Aufenthalte in Carrara/Italien und Weymouth/England, absolviert. Sie arbeitet in Carrara und London.

 

Irena Posner bei der Arbeit
Irena Posner bei der Marmorbearbeitung, Foto RCA

 

Quellen: Galerie Kandlhofer, RCA, Wiener Zeitung

 

Ausstellung, Skulptur
5. Juni 2023 - 12:46

In der Gruppenausstellung "Cherries On Top" in der Galerie Judith Andreae in Bonn sind noch bis zum 1. Juli 2023 Werke junger Künstler und Künstlerinnen zu sehen, darunter auch Tobias Vetter. Von ihm möchte ich Ihnen ein Gemälde mit Hund zeigen, das ich auf seiner Homepage entdeckt habe.

 

Privileg, 2020 © Tobias Vetter

 

Während Tobias Vetter unterschiedlichste Materialien als Bildträger für seine mittel- bis großformatigen figürlichen Malereien verwendet, bleibt er in seiner Farbauswahl beständig: Sie reicht von Türkis-Grün über Indigo bis zu Rosé-Tönen. Beständig ist er auch in der Gesichtslosigkeit vieler Figuren. Die Köpfe sind nicht nur gesichtslos, sondern leer, der Hintergrund dringt in den Kopfraum vor.

Die anonymen Protogonisten seiner Öl- und Acrylbilder finden sich in unwirtlichen (triste Umgebung in kalten Farben) und unwirklichen Situationen wieder: Eine Frau scheint über einem Hund zu schweben. Der Dobermann ist der Einzige, dessen Kopf ausgearbeitet ist, der bodenständig, kraftvoll, verwurzelt wirkt. Unwillkürlich dachte ich sofort an die Bronzeplastik "Der Engel der Stadt" von Marino Marini, wenngleich dort ein Mann auf einem Pferd sitzt.

Eine zweite Figur, in eine Art Poncho gewandet, "beobachtet" dieses martialisch anmutende Setting. In welcher Beziehung stehen die Figuren zueinander? Ist deren einzige Gemeinsamkeit, dass sie Gegenwart und Leinwand teilen? Erzählt das Werk von emotionaler Distanziertheit oder sozialer Distanz der Protagonisten? Erzählt es von Vorrechten - schließlich heißt das Werk "Privileg" - und Diskriminierung?

Tobias Vetter verweigert sich einer Einordnung:

 

I want to capture the tensions which are created by contradiction . I want to visualize the tarnished core of our very existence. (zit. n. hier)

(Ich möchte die Spannungen einfangen, die durch Widersprüche entstehen. Ich möchte den trüben Kern unseres Daseins sichtbar machen).

 

Tobias Vetter (*1985 im Allgäu/D) studierte Illustration und Grafikdesign an der Hochschule für Bildende Künste und Kunsttherapie in Bochum und zog 2011 nach Berlin. Nachdem Vetter mit seinen monochromen Tattoo-Kunstwerken bekannt wurde, wechselte er 2019 zur Malerei und Bildhauerei. Er lebt und arbeitet in Berlin.

 

Bild © Tobias Vetter

 

Ausstellung, Malerei