Berta, Filippo

30. Mai 2022 - 10:56

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta untersucht Menschen und Tiere in ihren Bewegungen und Handlungen. Seine Werke und sein künstlerischer Prozess heben die sozialen Spannungen, Widersprüche und Dualismen hervor, die durch die Beziehungen zwischen Individuen und ihren jeweiligen Gesellschaften entstehen. Er befragt die oft konfliktreichen und problematischen Grenzen, die diesen dialektischen Zustand definieren. Die Protagonisten machen sich in der Masse - in der Gruppenperformance - zum Träger von Bedeutungen und Unterschieden.

Seine Werke sind hauptsächlich kollektive Performances, die Filippo Berta in einem einzigen ikonografischen Bild oder in einem kurzen essenziellen Video zusammenfasst.

Eines dieser Videos ist "Homo Homini Lupus" von 2011. Obwohl über zehn Jahre alt, hat es nichts von seiner Bedeutung oder Aktualität eingebüßt.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Nach einem zweieinhalb Jahre langen Vorbereitungs- und Auseinandersetzungsprozess mit den Themen Heimat und Nation hat Berta 2011 "Homo Homini Lupus" gedreht. In dieser Videoperformance sind nicht Menschen, sondern Wölfe die Protagonisten, da der Künstler eine Ähnlichkeit zwischen dem Wolf und dem Menschen sieht; auch der Wolf muss in einer Gesellschaft mit klar definierten Regeln leben - mit Ausnahme des "einsamen Wolfs", der diese Regeln verwirft, aber als Ausnahme die Regel bestätigt. Außerdem wollte Berta, dass die Handlung instinktiv und nicht gespielt sein sollte.

Innerhalb des Rudels, einer Metapher für die menschliche Gesellschaft, wetteifern die Mitglieder eifrig um eine Fahne. Das Umland ist eine trostlose Einöde, ein verwüstetes Land, das zunächst als Territorium und dann als Nation gesehen wird.

Drei Wölfe kämpfen aggressiv um die Macht. An ihrer Beute - einer italienische Flagge - reißen sie so wild, als wäre sie die einzige Quelle des Überlebens. Das Wolfsrudel ist eine kleine homogene Gemeinschaft, in der nicht die Solidarität, sondern das Recht des Stärkeren zählt, in der man sich behaupten, für sich und sein Territorium streiten muss, wenn man nicht untergehen will. Dazu der Künstler:

 

Questo video mostra una collettività omogenea che nasconde in sé diverse identità le quali, eccitate da un istinto violento di sopravvivenza, strappano e accumulano le risorse altrui, per poi imporre il proprio potere. La bandiera — contesa e non gratuitamente violentata — nel video esprime un doppio significato, perché nella storia dell’uomo ha sempre definito un territorio entro cui avviene questa lotta fratricida e simboleggia l’imposizione del proprio potere sugli altri. Qualsiasi bandiera riassume nei suoi colori queste caratteristiche. (Filippo Berta zit. n. Flash Art)

 

Dieses Video zeigt ein homogenes Kollektiv, das in sich verschiedene Identitäten verbirgt, die, erregt von einem gewalttätigen Überlebensinstinkt, die Ressourcen der anderen zerreißen und anhäufen, um dann ihre eigene Macht durchzusetzen. Die Flagge - umstritten und nicht grundlos vergewaltigt - hat in dem Video eine doppelte Bedeutung, denn sie hat in der Geschichte der Menschheit immer ein Territorium definiert, in dem dieser Bruderkampf stattfindet, und sie symbolisiert die Auferlegung der eigenen Macht auf andere. Jede Flagge fasst diese Eigenschaften in ihren Farben zusammen. (übersetzt mit DeepL.com)

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta und das Museion, das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen, wurden 2017 für die Videopräsentation von "Homo Homini Lupus" im Rahmen der Ausstellung "Hämatli & Patriae" und der darin zu sehenden Zerstörung der italienischen Fahne von rechtspopulistische Seite - von den Fratelli d’Italia - scharf kritisiert. Die Ausstellung thematisierte Begriffe wie Heimat, Ortszugehörigkeit und Vaterland im Lichte der aktuellen Fluchtbewegungen in Europa. Filippo Berta räumte ein, dass die Verwendung der gewalttätig zerrissenen italienischen Flagge eine Verachtung der nationalen Identität impliziert.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Bertos Arbeit bzw. der Werktitel "Homo Homini Lupus" bezieht sich auf Thomas Hobbes staatstheoretische Schrift "Leviathan" aus dem Jahre 1651.

In "Leviathan"  legt der englische Philosoph den Grundstein für seine Theorie des Naturzustands, in dem die Menschheit ohne Gesetz und ohne Staat lebt. Im Naturzustand wird der Mensch als frei von Einschränkungen der historischen Moral, der Tradition, des Staates oder etwa der Kirche vorgestellt. Aus Hobbes’ Menschenbild ergibt sich, dass in einem solchen Naturzustand Gewalt, Anarchie und Gesetzlosigkeit, ein ständiger Zustand des Krieges (bellum omnium contra omnes) herrschen, in dem "der Mensch dem Menschen ein Wolf ist" (homo homini lupus).

Filippo Berta greift das Hobbes'sche Thema auf. Um die Bestialität (ferinitas) des Menschen zu visualisieren, bedient sich der Künstler des Wolfsrudels, das um die italienische Fahne kämpft.

In der Hobbes'schen Welt besteht der einzige Ausweg aus diesem ständigen Kriegszustand in der Schaffung eines Staates, der in der Lage ist, die Vielzahl der Einzelwillen auf einen einzigen Willen zu reduzieren und Recht und Gesetz durchzusetzen und in dem es rational ist, ihnen gemäß zu handeln. Erst dadurch, dass mehrere Menschen beschließen, gemeinsam einen politischen Körper zu bilden, kann der Naturzustand überwunden und der Übergang zum Staat geleistet werden.

Diese Lösung wird von Berta durch das emblematische Symbol der Flagge in Frage gestellt, die in dieser allegorischen Inszenierung, die den Naturzustand über den Rechtsstaat stellt, immer präsent ist.

Die Aktion hat kein logisches Ende und verbirgt in sich den menschlichen Dualismus, der durch die Logik des "Rechtsstaats" und die Irrationalität des "Naturzustands" repräsentiert wird.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta (*1977 in Treviglio/Italien) hat einen Abschluss in Theorie und Praxis der zeitgenössischen künstlerischen Sprachen der Akademie der Schönen Künste in Bergamo. Er ist Professor an der Stiftung für Fotografie in Modena, Italien. Er lebt und arbeitet in Bergamo und wird von der Prometeo Gallery vertreten.

 

 

Quellen: Flash Art, Dalloul Art Foundation, Prometeo Gallery, Il Giornale

Video und Video Stills © Filippo Berta

 

Performance, Video