Malerei

2. Dezember 2024 - 10:23

Anh Duong ist nicht nur eine Porträtistin der Reichen und Schönen (z.B. von Vincent Gallo, Susan Sarandon, Anjelica Huston), sie erforscht auch Fragen des Selbst und der Identität: Ihre Selbstbildnisse sind intim, auch in Hinblick auf ihren (nackten) Körper, weder eitel noch glamourös, eher realistisch und bekenntnishaft.

Das tägliche Malen an sich selbst ergibt ein visuelles Tagebuch: psychologisch intensiv und persönlich aufschlussreich.

 

“When I paint myself, I use a true mirror. So it’s a reflection of the reflection, so it’s actually the real me”  (Anh Duong zit. n. Galerie Gmurzynska)

„Wenn ich mich selbst male, benutze ich einen echten Spiegel. Es ist also eine Reflexion der Reflexion, also mein wahres Ich“ (übersetzt mit DeepL)

 

"A lot of unsafe places to be" von 2008 zeigt die Künstlerin mit einem Hund.

 

A lot of unsafe places to be , 2008 © Anh Duong

 

Vier Augen stehen im kompositorischen Zentrum und treffen den Blick des Betrachters. Mit großen, leeren Augen schauen Frau und Hund, wobei der Hund noch Traurigkeit und Schwermut in seinem Blick hat. Die Blicke beunruhigen und verwirren, verwickeln uns in ein voyeuristisches Spiel: Auch wir fühlen uns durchbohrt und entblößt, so nackt wie das Bild, das wir betrachten.

Duong beschreibt ihre Selbstporträts als biografisch und sehr persönlich:

 

"they’re a record, a narrative of a particular moment in my life, but the details of that narrative always remain hidden from the people who look at it". (zit n. GalleriesNow)

"sie sind eine Aufzeichnung, eine Erzählung eines bestimmten Moments in meinem Leben, aber die Details dieser Erzählung bleiben den Betrachtern immer verborgen". (übersetzt mit DeepL)

 

Bei diesem Doppelporträt gibt die Künstlerin allerdings die Erzählung, das Mysterium preis.

 

“This painting is about a relationship. How close can you be to someone else? How much distance do you need? I was very close to that dog—it was my ex husband’s—and I was trying to make a portrait of my relationship with him through the dog. It’s about our struggle to connect. I’m kind of a prude in life—I never did any naked shoots during my modeling career—but when I’m naked on the canvas I don’t feel like it’s me, so I’m not self conscious. Because I’m nude in the painting, suddenly it seems like the dog is also nude, although of course dogs always are. The painting creates nudity.“ (zit.n. Interview)

"In diesem Gemälde geht es um eine Beziehung. Wie nah kann man einem anderen Menschen sein? Wie viel Abstand braucht man? Ich stand diesem Hund sehr nahe - er gehörte meinem Ex-Mann - und ich habe versucht, durch den Hund ein Porträt meiner Beziehung zu ihm zu malen. Es geht um unseren Kampf um eine Beziehung. Ich bin im Leben ziemlich prüde - ich habe während meiner Modelkarriere nie nackt fotografiert - aber wenn ich nackt auf der Leinwand zu sehen bin, habe ich nicht das Gefühl, dass ich es bin, also bin ich mir meiner selbst nicht bewusst. Weil ich auf dem Bild nackt bin, scheint es plötzlich so, als sei der Hund auch nackt, obwohl Hunde das natürlich immer sind. Das Bild schafft Nacktheit." (übersetzt mit DeepL)

 

Die weißen Hautstellen, sonst vom Bikini bedeckt, und die eleganten Schuhe verstärken noch den Eindruck der Nacktheit. Sehr präzise ist die Beobachtung, dass sogar die Hündin nackt (und verletzlich) erscheint, da sie den Blick auf ihren Bauch und Becken freigibt. Die Beziehung der beiden erscheint innig und sich gegenseitig beschützend.

Anh Duong (*1960 in Bordeaux, Frankreich) ist die Tochter eines vietnamesischen Vaters und einer spanischen Mutter. Sie studierte Architektur an der École des Beaux-Arts in Paris und Tanz an der Franchetti Academy of Classical dance. 1988 zog sie von Paris nach New York, wo sie zu malen begann. Duongs reüssierte als Model, Schauspielerin und Muse. Sie inspirierte Künstler wie Julian Schnabel und arbeitete mit Designern wie Donna Karan und John Galliano zusammen. Bald stellte sie selbst aus und wurde zu ihrer eigenen Muse.

Anh Duong lebt derzeit zwischen New York und Paris.

Ausführliche Darstllungen ihres künstlerischen Werdegang finden Sie auf ihrer Homepage und der Homepage der Galerie Gmurzynska.

Quellen: Anh Duong, Galerie Gmurzynska, Interview, Galerie Sonnabend, GalleriesNow

Bild © Anh Duong

 

Malerei
12. November 2024 - 11:36

Die schwarzen Hunde, 2005 © Annedore Dietze

 

Kampfhunde stehen, laufen und springen uns aus ihren dunklen Hintergründen entgegen. Die Hunde, in höchster Anspannung und Verausgabung dargestellt, werden in Annedore Dietzes kraftvoller Malerei zu Motiven von Vitalität, zu Chiffren von Stärke und Gewalt. Die Arbeiten aus 2005 sind sehr klein (24,5 cm x 21 cm) und übermalte Radierungen (Radierung, Tusche, Acryl auf Papier).

 

Die schwarzen Hunde 2, 2005 © Annedore Dietze

Die schwarzen Hunde 3, 2005 © Annedore Dietze

Die schwarzen Hunde 4, 2005 © Annedore Dietze

Die schwarzen Hunde 5, 2005 © Annedore Dietze

Die schwarzen Hunde 6, 2005 © Annedore Dietze

 

Die expressive Malerin beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit der Körperlichkeit und allem Lebendigem in seiner Wildheit und Unberechenbarkeit, seinem Werden und Vergehen. Menschen zeigt sie von ihrer (selbst)zerstörerischen Seite: im Boxkampf, beim Sumoringen. Die Männer haben nackte Oberkörper und Tattoos. Dergestalt findet sich in ihrer Kunst ein existenzielles Konzept des Menschen und seines Körpers - rau und unmittelbar sowie gleichzeitig verletzlich und geheimnisvoll.

 

"Es ist immer die Natur, die mich begeistert und der Körper. Das Existenzielle. Nicht bestimmte Handlungen von Menschen, aber Körper die da sind. Einfache Kompositionen haben mich immer interessiert. In der Natur das Komplexe, das Rauschhafte. Das was ich möchte, ist eine Malerei zu erzeugen, die begeistert. Die Leute wollen meistens eine Geschichte, oftmals ist die Malerei an sich für viele unzugänglich. Aber das ist der Punkt an dem Malerei einsetzt." (Annelore Dietze in einem Interview mit Valeria Drotskaja)

 

In diesem Interview erzählt die Künstlerin, dass sie in ihrem Innersten daran interessiert ist, die substanzielle, brutale und auch zeitgemäße Malerei zum Vorschein zu bringen. Annedore Dietze erzählt also keine Geschichten, sie bleibt auf Distanz zu ihren Motiven, die nur Anlass für die Malerei an sich sind. Themen ihrer Gemälde sind die Volumen, Flächen, Linien und der Raum. In ihren Bildern sucht die Künstlerin nach halb abstrakten, halb gegenständlichen Lösungen für Volumen und Formen, die in ihrer Anordnung und räumlichen Erscheinung eine ganz eigene Sprache sprechen. (vgl. Interview)

Die Kunstwerke "sollen nicht mehr als den gezeigten Augenblick abbilden, doch sie erscheinen beseelt und sind damit nicht nur Körper, sondern auch Leiber im Sinne des philosophischen und anthropologischen Diskurses, der beiden Begriffen verschiedene Bedeutungsebenen zuordnet." (Susanne Greinke zit. n. hier)

 

Hund, 2001 © Annedore Dietze

 

Die Künstlerin abstrahiert und  verfremdet die figürliche Darstellung, sie zeigt nicht reine abstrakte Formen, sondern eine collagenartige Malerei mit Elementen, die man wiedererkennt, wie z.B. einem Tierkopf. "Eine reine chaotische Geste wäre mir zu wenig. In einem Bild will ich organisierte Hierarchien von Bildelementen verknüpfen. Es gibt eine übergeordnete Form, der sich die anderen Elemente unterordnen." (interview)

In der formalen Herangehensweise an ihre Gemälde liegt auch die Bedeutung der Zeichnung begründet, die mit Handwerk zu tun hat. Als Studien für ihre Bilder zeichnet sie wieder und wieder Videostills vor dem Fernseher, um sich in der Figuration sicher zu werden. Diese Sicherheit macht sie unabhängig von technischen Hilfsmitteln wie dem Beamer, der heutzutage oft benützt wird. Wenn Bilder mit Beamer hergestellt werden, bleibt eine oberflächliche, dünne Ausstrahlung von dem Bild selbst. Dietzes zeichnerisches Abarbeiten an der Figur, ihr solides Handwerk, wird auch in Ihrer Malerei als ganz eigene Qualität sichtbar.

Zusätzlich zum Können und der Beherrschung der Materie tritt die Idee: Das Leben, das auf einen einströmt, sowie die Ängste und die Verzweiflung der Menschen. Der Wille zur Kreativität. (vgl. interview)

 

Hund A. 2, 2011 © Annedore Dietze

o.T. (Hund), 2014 © Annedore Dietze

 

"Das Ideal ist natürlich das Wie malen und das Was malen miteinander zu verbinden." (Interview) Die Verbindung von Inhalt und Form erfolgt durch die Verdichtung, die aus dem Chaos erwächst. Die Verdichtung erfolgt über die immer wiederkehrende Korrektur. Der Blick hinter das Offensichtliche eröffnet bei Annedore Dietze Abgründe - das Unkontrollierte und Unkontrollierbare scheint durch, Libido und Emotion, rohe Energie brechen sich Bahn und eröffnen, was sonst lieber versteckt oder verdrängt wird.

 

Race, 2019 © Annedore Dietze

The Great Dictator and his dogs, 2023 © Annedore Dietze

The mourning of the dogs, 2023 © Annedore Dietze

Madhouse, 2024 © Annedore Dietze

As you like it, 2024 © Annedore Dietze

 

Erst nachdem ich diesen Beitrag geschrieben hatte, erhielt ich das antiquarische Buch "Corpus", das zwei Jahrzehnte bildnerischer Erforschung versammelt. (Kerber Verlag)

 

Cover Corpus

 

Schauen Sie nur, was Hedy in der Publikation entdeckt hat!

 

Hedy entdeckt die Huskys in Annedore Ditzes Katalog
 

 

Annedore Dietze (*1972 in Bischofswerda bei Dresden/ehem. DDR) studierte in den 1990er Jahren Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. 1999 absolvierte sie in London am Chelsea College of Art & Design ihren Master of Arts. Sie  hat zahlreiche Preise und Stipendien erhalten, die sie unter anderem nach Italien führten. 2012 bis 2019 reiste sie mehrfach für längere Zeit ins Ausland, darunter auch nach China, in die USA, Ägypten, Kambodscha und Mexiko. Annedore Dietze lebt und arbeitet in Berlin.

alle Bilder © Annedore Dietze

 

Buch, Collage, Malerei, Zeichnung
2. Oktober 2024 - 10:22

Louise Catherine Breslau, Selbstporträt, 1891 © Musée d’Art moderne et contemp
Louise Catherine Breslau, Selbstporträt, 1891
© Musée d’Art moderne et contemporain de Strasbourg

 

Eine wunderschöne junge Frau blickt uns mit entwaffnender, fast einschüchternder Direktheit an. Es handelt sich um die Künstlerin Louise Catherine Breslau, die zurzeit mit 25 anderen Frauen im Städel Museum im Rahmen der Ausstellung "Frauen - Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900" gezeigt wird.

 

"Die Ausstellung zeigt Künstlerinnen, die sich mit großer Eigenständigkeit und Professionalität in einem durch männliche "Künstlergenies" bestimmten Kulturbetrieb durchsetzten. Unter dem Blickwinkel der Netzwerke entsteht ein komplexes Bild der Ausbildungs- und Arbeitssituation von Künstlerinnen in der Moderne: vom Kampf der Wegbereiterinnen im Paris der 1880er-Jahre über die ersten Bildhauerinnen an der Kunstschule des Städel um 1900 bis hin zu einer jungen selbstbestimmten Generation von Künstlerinnen im Neuen Frankfurt der 1920er- und 1930er-Jahre." (zit.n.Städel Museum, Presseinformation)

 

Ich habe für den Blog exemplarisch Catherine Louise Breslau gewählt, da sich in ihren Gemälden immer wieder Hunde finden. Wenn sie Hunde malte, dann porträtierte sie diese wie Menschen und zeigte die emotionale und freundschaftliche Verbundenheit zu ihnen. Bei ihrem Selbstporträt lugt der kleine Hund aus dem eleganten Umhang hervor. Die Darstellung erzählt nicht nur vom Beschütztwerden, sondern zeigt auch das zarte Miteinander der beiden: Die Hand umschließt die Pfote.

"Mes Toutous" von 1881 ist eines der frühesten Pastelle der Künstlerin. Das Pastell erlaubt ein rasches Arbeiten und ermöglicht durch das Verwischen mehrerer Farbschichten eine malerische Wirkung.

 

Louise Catherine Breslau, Mes Toutous, 1881
Louise Catherine Breslau, Mes Toutous, 1881

 

Louise Catherine Breslau spezialisiert sich auf Porträts, die meisten dieser Auftragsarbeiten führt sie in Pastell aus. Sie reduziert bereits jetzt das Interieur auf das Wesentliche. Ab 1910/11 heben sich ihre angedeuteten skizzierten Porträts vor einem neutralen, bisweilen leicht schraffierten Hintergrund ab. Alles wird flüchtig und spontan erfasst, zumeist bleiben ganze Blattpartien offen, wodurch der Bildträger an der Gesamtwirkung teilhat.

 

Louise Catherine Breslau, Portrait de Mademoiselle Adeline Poznanska enfant, 189
Louise Catherine Breslau, Portrait de Mademoiselle Adeline Poznanska enfant, 1891
© Musée d'Orsay

Louise Catherine Breslau, Porträt der Freunde, 1881 © Musée d'art et d'histoir
Louise Catherine Breslau, Porträt der Freunde, 1881
© Musée d'art et d'histoire, Ville de Genève, Foto Flora Bevilacqua

 

Für Louise Catherine Breslau wurde Paris zum Ausgangspunkt ihrer Karriere und zu einem wichtigen Zentrum ihres internationalen Netzwerks. Hier konnte sie sich zu einer erfolgreichen Künstlerin entwickeln. Die Pariser Ausbildungsstätten waren außerdem wichtige Begegnungsorte. Die Ausstellung im Städel Museum präsentiert ihr programmatisches "Porträt der Freunde", das ihre Pariser Wohn- und Frauengemeinschaft abbildet. Die junge Malerin zeigte das Werk 1881auf dem Pariser Salon und wurde schlagartig berühmt. (vgl. Städel Museum Presseinformation)

Wir sehen die die Künstlerin, wie sie die zwei Freundinnen und einen Hund in der gemeinsamen Atelierwohnung malt. Das Gemälde beschreibt die spezifische Situation für Frauen in der damaligen Zeit, in der es gesellschaftlich nicht akzeptiert war, als junge Frau allein zu wohnen. Das Gemälde entstand zudem in Paris, da in Deutschland Frauen der Zugang zu einer künstlerischen Ausbildung weitgehend verwehrt war.

Drei Frauen sitzen gedankenversunken an einem Tisch - eine Szene, die oft genutzt wurde, um die sozialen Verbindungen im späten 19. Jahrhundert darzustellen. Links sitzt Maria Feller, eine italienische Sängerin, in der Mitte die Winterthurer Malerin Sophie Schaeppi und an den rechten Bildrand geschoben die Künstlerin selbst in Rückenansicht, dazwischen ihr geliebter Hund.

Das Gemälde vereint alles, was ihr Frühwerk auszeichnet, sowohl farblich, formal, stilistisch als auch inhaltlich - und was sie konsequent fortführte. Es ist ein Gruppenporträt auf engem Raum, und doch sind es Einzelporträts, bei denen jede Person charakteristisch erfasst ist. Aber ihre geschickte und überlegte Komposition schafft eine formale, vor allem geistige Verbindung zwischen den Dargestellten, die in dem klugen Gefüge eng miteinander verbunden sind, ohne in direktem Kontakt zu stehen. Jede Person hält inne, um sich in Gedanken zu verlieren. Auch der Hund strahlt Ruhe aus und scheint in Gedanken versunken.

Diese Ruhe und In-sich-Gekehrtheit der Modelle zeichnet fast jedes Werk von Louise Catherine Breslau aus. Das Interesse der Künstlerin an der psychologischen Durchdringung ihrer Modelle bewirkte eine allmähliche Vernachlässigung in der Darstellung des Raums, der zunehmend formale Bedeutung erhielt und später oftmals gänzlich verschwand. (vgl. Anne-Catherine Krüger in: Berufswunsch Malerin! Elf Wegbereiterinnen der Schweizer Kunst aus hundert Jahren, FormatOst, 2020, S 51ff)
 

 

Louise Catherine Breslau, Zu Hause oder Intimität, 1885 © Musée des beaux-arts
Louise Catherine Breslau, Zu Hause oder Intimität, 1885
© Musée des beaux-arts de Rouen

 

Das Thema der geistigen Verbundenheit der Menschen und der tiefen Freundschaft bei gleichzeitiger Besinnung auf sich selbst ist auch in "Zuhause oder intimität" anzutreffen. Das Doppelporträt ihrer Mutter und ihrer Schwester Bernhardine gewährt einen Blick in das beseelte Leben der Dargestellten, die niemals in Aktion oder Bewegung sind, sondern auch dann innehalten, wenn sie zuvor einer Tätigkeit wie dem Sticken nachgegangen sind.

Sehr originell ist die Positionierung des Hundes, der am unteren Bildrand angeschnitten ist und fast wie ein Fremdkörper oder nachträglich dazugemalt wirkt.

 

Louise Catherine Breslau, La vie pensive, 1908 © Musée cantonal des Beaux-Arts
Louise Catherine Breslau, La vie pensive, 1908
© Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne

 

In "La vie pensive" stellt Louise Catherine Breslau eine Szene im Salon ihres Hauses in Neuilly-sur-Seine, einem Vorort von Paris, dar. Sie malt sich selbst, einen Brief in der Hand haltend, in sitzender Rückenansicht, nur ihr markantes Profil ist zu sehen. Im Vordergrund sitzt ihre Partnerin Madeleine Zillhardt, die ihr Muse, Modell, Vertraute und Förderin ist, und berührt gedankenverloren einen Barsoi. Ein Gefühl der Spannung und Verzagtheit geht von ihr aus, das wohl auch der sensible Hund wahrgenommen hat: Er legt tröstend und mitfühlend seinen Kopf in ihren Schoß und scheint selbst zu wissen, dass er zu seinem Menschen nicht durchdringen kann.

Das große Gemälde ist mit schnellen Pinselstrichen im Stil der impressionistischen Malerei eines Edgar Degas gemalt. Auf dem weißen Tischtuch in der Mitte des Gemäldes stehen eine Reihe von Elementen, die häufig in Stillleben zu finden sind, wobei sich opake und transparente Texturen abwechseln: ein Blumenstrauß, ein Obstkorb, eine Karaffe mit Glas und ein Porzellanteller. Ein Messer, das auf einen Pfirsich gerichtet ist, symbolisiert die fleischliche Leidenschaft der beiden Frauen füreinander.

Obwohl Louise Breslau in Paris eine führende Persönlichkeit der Schweizer Kunstszene war, musste sie sich die Anerkennung in ihrem Heimatland hart erarbeiten. Das Gemälde wurde erst an der neunten nationalen Kunstausstellung in Basel angenommen, nachdem sich die Künstlerin beim Bundesrat über die Frauenfeindlichkeit des Schweizerischen Maler- und Bildhauervereins beschwert hatte, der Ferdinand Hodler gefolgt war und für die Ablehnung von Frauen gestimmt hatte. (vgl. MCBA)

 

Louise Catherine Breslau, Jeune fille avec un Borzoi, 1912
Louise Catherine Breslau, Jeune fille avec un Borzoi, 1912

 

Wie nur wenigen Künstlerinnen ihrer Zeit war es Louise Catherine Breslau (*1856 in München/D, gest. 1927 in Neuilly-sur-Seine/F) aus eigener Kraft gelungen eine selbstständige Position als Frau und Künstlerin zu erarbeiten. Sie ließ sich in einem damals für Frauen üblichen Bereich ausbilden: dem Porträt. Um eine anspruchsvollere Ausbildung zu erhalten, zog sie 1876 nach Paris, um an der Académie Julian teilzunehmen. Dieses Atelier bot einen alternativen Unterricht zu dem der Ecole nationale des beaux-arts an, die Frauen noch verschlossen war.

Ohne sich einem Impressionismus oder Naturalismus radikal zuzuwenden, griff sie stilistische und thematische Merkmale ihrer künstlerischen Vorbilder auf und gelangte zu einer ihr eigenen Handschrift und Bildauffassung. In Paris wurde sie bald von der Kunstwelt geschätzt und geehrt. Bereits um 1900 war sie eine der gefragtesten Porträtistinnen.

Nach ihrem Tod geriet sie allerdings in Vergessenheit. Erst 1988 wurde Breslau mit einer Monografie und einem kritischen Werkverzeichnis Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung, welche die Aufmerksamkeit erneut auf die Künstlerin lenkte.

Eine ausführliche Biografie von Louise Catherine Breslau finden Sie im großartigen e-Kunstmagazin ARTinWORDS.

Die Ausstellung im Städel-Museum ist noch bis zum 27.10.2024 zu sehen.

 

Ausstellung, Malerei
23. September 2024 - 10:22

Drachenjagd, 2023 © Susannah Martin

 

Susannah Martins großformatige, figurative, ja hyperrealistisch anmutende Ölgemälde zeigen uns das klassische Sujet des Akts in der Natur zeitgenössisch interpretiert und handwerklich brillant. In zahlreichen Interviews (gut dokumentiert auf ihrer Homepage) und in ihrem künstlerischem Statement erklärt die Künstlerin, wieso es ihr tiefer Wunsch ist, "die menschlichste, aber gleichzeitig am stärksten eingeschränkte Kunstform, die es gibt, den Akt, in die Gegenwart zu holen". (vgl. hier)

Sie möchte den Akt, wie wir ihn aus der gesamten Kunstgeschichte kennen und der in erster Linie ein Produkt des männlichen Blicks mit seinen ästhetischen Kriterien ist, durch eine andere nicht sexuell orientierte Perspektive ersetzen.

Doch gelingt ihr das mit ihren Frauenkörpern, die wenig divers sind und wie Hochglanzmodelle wirken? Die makellosen Körper scheinen eher wie eine Verkörperung des heutigen Schönheits- und Jugendwahns zu sein, dem sich viele Frauen unterwerfen (vgl. heliumcowboy). Allerdings sind sie in ihrem Tun unabhängig, befreit und genießen ihr Leben in der Welt (vgl. dazed digital). Sichtbar wir das durch ihre Aktivität und dass sie bewegt den Raum einnehmen. Kunstgeschichtlich war der weibliche Akt immer mit Passivität und Erotik verbunden (im Gegensatz zur autonomen männlichen Nacktheit). Paradebeispiel dafür ist Giorgiones "Schlafende Venus" (um 1510), die die künstlerischen Konzeptionen bis heute beeinflusst. Sie ist vollkommen in die Natur integriert und ruht in stiller Passivität.

 

The Retrievers, 2023 © Susannah Martin

Paramnesia, 2021 © Susannah Martin

 

Weiters möchte sie mit ihren aktualisierten Aktbildern die heutige Situation der Entfremdung des Menschen von der Natur ansprechen, der in ihren Gemälden nicht wie ein integraler Bestandteil der Natur erscheint, sondern seltsam surreal und fremd, laut und schrill.

 

"Bei der Arbeit an meinen ersten Bildern des Aktes in der Landschaft habe ich sehr schnell festgestellt, wie merkwürdig der gegenwärtige Mensch in der freien Natur wirkt. Er schien einfach nicht mehr hineinzupassen, und so wurde dieser Aspekt langsam zu meinem Thema: Die Natur als Un-Heim (Anti-Home) des Menschen." (Susannah Martin zit.n.Felix Brosius in Art.Salon)

 

Der entblößte Mensch ohne jegliche sozialen Indikatoren (Kleidung, Besitz ...) passt nicht mehr in die Landschaft, weil sich in seinem Verhältnis zur Natur die antagonistische Kluft zwischen natürlichem und naturverbundenem Zustand und dem Menschen als Konsumenten oder kulturellem Wesen spiegelt. Den psychischen Kampf gegen diese kulturellen Abhängigkeiten möchte die Künstlerin in ihren Gemälden erforschen. (vgl. Jonathan LeVine Projects)

 

Float, 2018 © Susannah Martin

 

Obwohl es immer wieder Anspielungen an die Kunstgeschichte gibt, sucht man das romantische Verschmelzen von Mensch und Natur in ihren Darstellungen ebenso vergebens wie barocke Liebeleien in einer idealisierten, paradiesischen Landschaft. Susannah Martins Landschaften bestehen meist aus gleichförmigen Bergpanoramen hinter klaren Seen, sie sind lediglich Kulissen für die Menschen und Tiere in Bewegung - Mitte der 80er Jahre arbeitete die Künstlerin tatsächlich als Kulissenmalerin.

 

Bavaria, 2016 © Susannah Martin

The Day I Quit, 2014 © Susannah Martin

Hero's journey, 2012 © Susannah Martin

 

So viel sie über ihre Menschendarstellungen spricht, so wenig erfahren wir über die Bedeutung der Tiere, der Hunde.

 

"The people in my paintings are certainly distant relatives of the salon. Rather, they indulge in the midst of our contemporary culture: We have the impression that they rather block and disturb the view of the landscape than they peacefully coexist with nature as they did then in the forest of Fountainebleau. As I try to maintain a romantic landscape, they fall into this landscape as individuals who have to cope with the ever-increasing virtual reality. They bring their dogs with them, the best friends of man and their only remaining connection to nature.” (zit.n. NJP)

„Die Menschen auf meinen Bildern sind sicherlich entfernte Verwandte des Salons. Vielmehr schwelgen sie mitten in unserer zeitgenössischen Kultur: Man hat den Eindruck, dass sie eher den Blick auf die Landschaft versperren und stören, als dass sie friedlich mit der Natur koexistieren wie damals im Wald von Fountainebleau. Während ich versuche, eine romantische Landschaft zu erhalten, fallen sie als Individuen in diese Landschaft hinein, die mit der immer größer werdenden virtuellen Realität zurechtkommen müssen. Sie bringen ihre Hunde mit, die besten Freunde des Menschen und ihre einzige verbliebene Verbindung zur Natur.“ (übersetzt mit DeepL)

Mit "Salon" meint die Künstlerin den "Salon de Paris", der ebenso wie die "Académie francaise" gegründet wurde, um als eine Art Ästhetik-Polizei französisches Kulturgut zu beobachten, zu fördern, zu kritisieren und zu beschützen. Die Realisten forderten in der Mitte des 19. Jahrhunderts deren Vorherrschaft heraus. (vgl. künstlerisches Statement)

 

Die Hunde verbinden also den Menschen mit der Natur! Kommen wir über ihre Arbeitsweise der Bedeutung der Hunde noch näher?

Nachdem Susannah Martin eine klare oder auch nur grobe Vorstellung davon hat, was sie vermitteln möchte, fotografiert sie befreundete Modelle, die ihre Ideen aufgreifen und auf sehr individuelle und persönliche Weise mit ihrer Umgebung interagieren.

Bei jedem Fotoshooting macht sie Tausende von Fotos, Dann arbeitet sie eine Komposition in Form einer Collage aus und beginnt auf die grundierte Leinwand zu zeichnen.  Oft greift Martin dabei nur einzelnen Elemente aus einem Bild heraus, kombiniert diese mit dem Setting eines anderen Fotos, fügt weitere Bildelemente hinzu und erarbeitet so ihre Bildwelten, die dichter und voluminöser ausfallen, als es ein reales Motiv je sein könnte.

Die Kompositionen sind bei Martin stets von beeindruckender Opulenz, mit einer ins Surreale gehenden Verdichtung, die Mitbringsel der Menschen aus der Zivilisation (Gummitiere, Plastikballons in Drachenform...) meist hyperrealistisch herausgearbeitet. Erst nachdem sie die Zeichnung mit Acrylfarbe gesichert hat, beginnt sie mit der Ölmalerei. Das geht über viele Schichten und Wochen, bevor sie das Niveau erreicht, mit dem sie zufrieden ist.

 

Salon Dogs Meet the Death Worm, 2015 © Susannah Martin

 

Die Hunde sind oft angeschnitten, springen ins Bild hinein oder aus dem Bild heraus. Damit lässt die Künstlerin die fotografische Perspektive durchscheinen, sie weist eigens darauf hin, dass sie die Welt durch die Kameralinse betrachtet. Dennoch erscheinen sie nicht fremd oder gar artifiziell, denn unser Bildverständnis ist bereits vorausgeilt und hat sich nach Jahren der digitalen Retusche längst erweitert. Das Spektrum dessen, was wir als Abbild der Realität zu akzeptieren bereit sind, hat sich deutlich verschoben, und so zeigen auch Martins Arbeiten ganz bewusst einen erweiterten Realismus, mit dem sie dem empfundenen Charakter einer Situation näherkommt, als es eine reine Darstellung des Gesehenen ermöglichte.

 

My black dog, 2014 © Susannah Martin

Discipline, 2014 © Susannah Martin

 

Susannah Martin (*1964 in NewYork/USA) studierte an der New York University, Hauptfach Malerei, bei John Kacere, Sherrie Levine, Louise Lawler und Peter Campus und erhielt ihren Bachelor of Science 1986. Nach ihrem Abschluss machte sie sich mit Wandmalerei selbständig und arbeitete als Bühnenbildnerin und Kulissenmalerin.

1991 zog sie nach Berlin und schließlich nach Frankfurt am Main, wo sie heute lebt und arbeitet. Ab 2004 widmete sie sich als freischaffende Künstlerin und Porträtmalerin wieder ihrem Hauptthema, dem Menschen in seinem sozialen Umfeld, danach dem Akt in der Landschaft. Durch wichtige Ausstellungen in den USA und Deutschland wuchs das Interesse öffentlicher Institutionen und privater Sammler an ihrem Schaffen stetig. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in American Art Collector, Juxtapoz, High Fructose und der Huffington Post veröffentlicht.

alle Bilder © Susannah Martin

 

Malerei
16. September 2024 - 9:50

Labradore soweit das Auge reicht: blonde, braune, schwarze. Sie sind das jüngste Motiv des thematisch und hinsichtlich der Medien vielfältig arbeitenden Künstlers Sean Landers.

 

Black Lab, 2022 © Sean Landers

 

Er zeigt uns die Hunde als klassische Büstenporträts: Es sind (tierische) Individuen, die wie in Bildnissen der Renaissance präsentiert werden, die den Geist des Humanismus widerspiegelten und den Menschen in den Mittelpunkt der Welt stellten. Viel hat sich seither in unserer Beziehung zum (Haus-)Tier verändert, seine Position in unserem Leben und der Kunst wurde zentraler. Doch sind die Gemälde mehr als Gesellschaftshundeporträts für eine Mittelschicht? (vgl. Border Crossings 162, S 188).

Zweifellos sind die Mimik und der Blick der Hunde anthropomorph: traurig, verloren, sehnsüchtig und wissend blicken sie in die Ferne.

Sean Landers Labrador ist mehr als ein Hund: Er ist in seiner verheerenden Bandbreite an Emotionen ein alter "Seebär", ja, wie Benjamin Klein meint, eine Allegorie "für Amerika selbst und die besten Aspekte seiner alten und ernsthaften Kultur (..), die vom Chaos (symbolisiert durch das Meer) bedroht" wird. (vgl. Border Crossings 162, S 189)

 

Chocolate Lab 2022 © Sean Landers

Red Lab 2023 © Sean Landers

Silver Lab 2023 © Sean Landers

White Lab 2023 © Sean Landers

Yellow Lab 2022 © Sean Landers

 

Dog 2021 © Sean Landers
I used to be a bad boy .... kurz zusammengefasst Sean Landers künstlerischer Schaffensprozess

 

Eine weitere Serie im allegorischen Realismus zeigt Hunde, die in kleinen Holzbooten auf dem Meer sitzen und stehen, umgeben vom gewaltigen Ozean.

Der Künstler griff in seiner langen Karriere  immer wieder auf verschiedene Maltraditionen der europäischen Kunstgeschichte zurück. Er wurde  von William Hogarth, Nicolas Poussin, Théodore Géricault und Édouard Manet beeinflusst, aber auch von René Magrittes "Vache"-Periode. Seine maritimen Gemälde jedoch versprühen den Geist von Winslow Homer. Landers zitiert dabei nicht subtil, sondern in einer offenen und eindeutigen Weise. Schauen Sie auf den "Yellow Dog" (2022) und dann auf Winslow Homers "The Fog Warning" von 1885: Hier wird nichts versteckt oder verborgen!

Homers Seemann erkennt die schrecklichen Vorzeichen am Horizont und die Gefahr heraufdräuen. Auch unser Hund treibt allein in Zeit und Raum, jenseits aller Hoffnung.

In einem Gespräch mit Johanna Fateman beschreibt Landers, dass er ein echtes Gefühl der Verzweiflung darstellen wollte, denn kein Hund sollte allein sein: "Alone, that’s the feeling. There’s a real sense of desolation here because a dog isn’t supposed to be alone." Gleichzeitig steht der hilflose Hund für den Künstler und sein Werk. Ob der "Hund" am Ende gerettet wird oder verloren geht, wissen wir nicht.

 

Yellow Dog 2022 © Sean Landers

Winslow Homer, The Fog Warning, 1885

Fog Dog 2022 © Sean Landers

Night Dog 2022 © Sean Landers

Sunset Dog 2022 © Sean Landers

White Dog at Sunset 2023 © Sean Landers

White Fog Dog 2022 © Sean Landers

Yellow Dog at Dawn 2023 © Sean Landers

 

Seit mehr als einem Jahrzehnt malt er mit Tartan bekleidete Tiere in ländlicher Umgebung. (Ein Tartan ist ein Webmuster für Stoffe, das repräsentativ für die Zugehörigkeit zu einem schottischen Clan genutzt wird.) Landers skurrile Idee geht auf seine Auseinandersetzung mit Magritte zurück. Das Tartan-Element kommt schon in dessen späten "Vache"-Bildern vor, in denen er sich zugunsten von Derbheit und Anzüglichkeit von der surrealistischen Genauigkeit befreit. Der Tartan wurde deshalb für Sean Landers zum Symbol für künstlerische Freiheit und Wachstum. (vgl. Ben Brown Fine Arts)

 

René Magritte, Cripple, 1948
René Magritte, Cripple, 1948

 

Der Tartan  bekleidet die Tiere nicht nur, er hüllt sie schützend ein. Vielleicht dient er auch dazu, sein künstlerisches Schaffen zu beschützen, das ihn im Idealfall lange überleben wird - ein Gedanke, den Sean Landers auch in dieser Werkgruppe erforscht.

Diese ikonischen, akribisch gestalteten, metaphorisch kodierten Gemälde verkörpern Landers' Einfallsreichtum, seine Werke gleichzeitig mit Humor, Selbstoffenbarung, Künstlichkeit, Ernsthaftigkeit und existenzieller Reflexion zu durchdringen.

 

El Lobo 2015 © Sean Landers

Proximate Strangers (Coyote and Crow) 2014 © Sean Landers

What You Are 2013 © Sean Landers

Wolf Pup, 2015 © Sean Landers

 

In der unteren Serie von Bildern, die in Bäume geschnitzte Texte darstellen, ist Sean Landers zu seinen selbstironischen Wurzeln zurückgekehrt. Sein ganzes Werk ist gekennzeichnet von einem Wechsel von figurativen Bildern und reinen Textbildern, manchmal vermischen sich diese Bereiche auch, wenn Sean Landers glaubt, mehr von seiner Seele in das Bild stecken zu müssen. In einem Interview mit Paul Laster erzählt er, dass die Schnitzereien in den Bäumen tatsächlich von einer Lichtung mit stark geschnitzten Bäumen inspiriert sei, die er in der Nähe des Prado-Museums in Madrid entdeckte.

 

“However, the trees in my paintings are Aspens, which are linked underground by their roots, which I find to be a wonderful metaphor for an artist’s body of work.“

Allerdings sind die Bäume in meinen Gemälden Espen, die durch ihre Wurzeln unterirdisch verbunden sind, was ich für eine wunderbare Metapher für das Gesamtwerk eines Künstlers halte. (übersetzt mit DeepL)

 

Glimpse of Life, 2024 © Sean Landers

Notes To Self 2023 © Sean Landers

Yours Truly 2023 © Sean Landers.jpeg

 

Sean Landers (*1962 in Palmer/Massachusetts/USA) erwarb 1984 einen BFA am Philadelphia College of Art und 1986 einen MFA an der Yale University School of Art. Obwohl er heute als Maler bekannt ist, studierte er in den 1980er Jahren Bildhauerei am Philadelphia College of Art und später in Yale, wo Vito Acconci sein Lehrer war. Seit den 1980er Jahren - einem Jahrzehnt, das für Konzeptkunst und Minimalismus stand - beschäftigt er sich in New York mit der anachronistischen Malerei und Schreibprojekten. Neben seinen textbasierten Kompositionen schafft er Cartoons, Skulpturen, Videos und figurative Gemälde von Tieren und Menschen, die extreme Stilwechsel aufweisen.

Sein gesamtes Werk geht der Frage nach, was es heißt, ein zeitgenössischer Künstler zu sein, und was es bedeutet, etwas zu schaffen, das über die Lebenszeit des Künstlers hinaus Bestand hat. In diesem Sinne kann seine Karriere als eine langanhaltende Erkundung derselben Frage betrachtet werden, wodurch sein Werk zu einem dynamischen Ganzen wird.

Er lebt und arbeitet in New York.

alle Bilder © Sean Landers

 

Malerei
12. Juli 2024 - 9:09

Old Dog, 2019 © Franca Franz

 

Wer einen alten Hund hat, erkennt die Qualität dieses Bildes! Auf den ersten Blick spürt man die Stimmung des Hundes, seinen "mood": Er scheint zu überlegen und zu keinem Ergebnis zu kommen. Wo bin ich, was mach ich hier? Wer will etwas von mir?

Und hier kommen die zwei kleinen blauen Hügel am unteren Bildrand ins Spiel. Was sollen sie? Es sind die Knie der Künstlerin Franca Franz, mit denen sie uns ihre Perspektive zeigen möchte, den Blick, von dem aus sie den Hund skizziert oder fotografiert hat.

Das und andere Bilder begleiten (nicht illustrieren) die Gedichte von Michael Hüttenberger in der Ausstellungsbroschüre "Die Schafe sind gezählt". Leider liegt mir der Band nicht vor. Ich wurde von Sofie Morin darauf aufmerksam gemacht. Danke, liebe Sofie, für das Teilen des wunderbaren Gemäldes!

 

Ausstellungsbroschüre

 

Zurück zum Bild: Ob sich die kleine Szene außen oder innen abspielt, ist erst auf den zweiten Blick zu klären. Der Hund scheint draußen auf einer festen Decke zu liegen, die säulenartigen Bäume begrenzen einen Nachthimmel mit funkelnden Sternen, der Horizont halbiert Vorder- und Hintergrund. Der "old dog" strahlt aus innen heraus, nichts Rationales oder Naturwissenschaftliches bedingt oder rechtfertigt sein Leuchten.

Franca Franz wurde 1986 in Darmstadt geboren. Sie studierte Malerei an der Royal Academy of Fine Arts Antwerpen bei Bruno Van Dyck und Malerei/Druckgrafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Professor Annette Schröter. Franca Franz lebt und arbeitet in Leipzig.

Michael Hüttenberger, geboren 1955 in Offenbach, studierte Germanistik, Politik, Pädagogik und Soziologie in Frankfurt, promovierte zum Dr. phil. und war bis 2008 Schulleiter in Darmstadt. Seitdem arbeitet er als freier Autor und Journalist in Darmstadt und Stedesdorf/Ostfriesland, seit 2020 in Michelstadt.

Quelle: Echo

Bild © Franca Franz

 

Buch, Malerei
5. Juli 2024 - 20:15

Irina Bartels, Julia Belot, Eberhard Bitter, Piot Brehmer, Hagga Bühler, Julija Burdack, Ankalina Dahlem, Claudia Dermutz, Anja Flügel, Sieglinde Gros, Claudia Grünig, Prof. Ottmar Hörl, Susana Infurna Buscarino, Ewald Janz, Heike Jeschonnek, Andrea Legde, Petra Meyer, Sibylle Möndel, Kerstin Römhild, Welf Schiefer, Dorothea Schüle, Antje Vega, Elke Vogelsang, Elizabeth Weckes, Viola Welker, Sandra Wörner, Dagmar Wolf-Heger, Ulrike Zimmermann:

Das ist die umfangreiche Liste der ausstellenden deutschen und osteuropäischen Künstler und Künstlerinnen beim Kunstsommer Burg Wertheim, organisiert vom Galeristen Axel Schöber und unterstützt durch die Stadt Wertheim. Vom 7. Juli bis zum 18. August 2024 widmet sich das Neue Archiv ganz dem Hund: "DOGS – zwischen Instinkt und Zuneigung" beleuchtet die Bandbreite, die im Titel angesprochen wird, anhand von Druckgrafik, Fotografie, Malerei, Objekt, Skulptur und Zeichnung.

Um Ihnen einen kleinen Vorgeschmack zu geben, habe ich mir vier Künstlerinnen ausgesucht, die ich kurz vorstelle:

Sibylle Möndel (*1959 in Stuttgart/D) verbindet die Technik des Siebdrucks mit gestischer Malerei in stiller zurückhaltender Farbigkeit. Dazu bearbeitet die Künstlerin Fotografien oder Fotofragmente auf dem Computer, die dann in der Technik des Siebdrucks auf die Leinwand gedruckt werden. Aus dem einfachen flachen Druck eines Schäferhundes erzeugt Sibylle Möndel mit wenigen groben informellen horizontalen und vertikalen Pinselstrichen eine mehrschichtige Landschaft mit Tiefe. Der Hund scheint etwas zu betrachten, was für uns im Verborgenen liegt: Rätselhaftigkeit entsteht.

 

o.T., Siebdruck, Ölfarbe auf Leinwand © Sibylle Möndel

 

Julia Belot möchte nur das Gute und Schöne malen und das Liebenswerte ergründen. Alles Negative bleibt im Verborgenen. Ihrer Absicht wird sie durchaus gerecht. Um das Positive noch mehr hervorzuheben, setzt sie eine über die Natur hinaus gehende, in ihrer Intensität gesteigerte Farbigkeit ein. "Traumland" heißt eine ihrer Serien, und im Traumland ist es so schön und friedlich, wie es nur die kindliche Fantasie imaginieren kann und Mensch und Tier märchenhaft nebeneinander existieren.

 

Iza und zwei Wölfe, 2015 © Julia Belot

 

Elizabeth Weckes (*1968 in Willich/D) steuert Foxy bei! Er ist Teil einer Serie, die angeleinte Hunde beim Gassigehen zeigen. Unwichtiges wie Frauchen und Herrchen sind im Bild angeschnitten und bloß als ausschreitendes Beinpaar präsent.

 

Foxy, Red Handbag, 2024  © Elizabeth Weckes

 

Vielleicht sehen Sie im Neuen Archiv erstmals eine Hunderudel-Skulptur von Sieglinde Gros (*1963 in Darmstadt/D), deren Werk bisher auf die menschliche Figur und Figurengruppen ausgerichtet war. Die Bildhauerin arbeitet mit Kettensäge und Stemmeisen, lässt die Arbeitspuren und den Holzblock als Ausgangsmaterial sichtbar. Wie lust- und energievoll die Befreiung der "Meute" aus dem Holz vor sich geht! Diese Hunde zögern nicht!

 

Meute, 2024 © Sieglinde Gros

 

Die Vernissage findet am 7. Juli 2024 um 11:30 Uhr mit einer Einführung des Kurators Axel Schöber statt. Im Rahmenprogramm wird er selbst über Kunst und Künstliche Intelligenz referieren, Ottmar Hörl spricht über den Kunstmarkt, Dagmar Wolf-Heger über Wölfe im Schutzraum. Am letzten Tag der Ausstellung können die Besucher und Besucherinnen eine Künstlerin beim Schaffensprozess beobachten: Sandra Wörner wird vor dem Publikum zeichnen.

Die Öffnungszeiten und Termine des Rahmenprogramms können Sie hier nachlesen.

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur
10. Juni 2024 - 9:33

Was haben die Bilder der amerikanischen Künstlerin Sophie Larrimore gemeinsam? Richtig! Einen oder mehrere Pudel! Dabei ist sie keine Hundeliebhaberin. Sie malt Pudel, da sie an ihnen Form, Textur und Farbe erforschen kann. (vgl. It's Nice That)

 

August, 2017 © Sophie Larrimore

 

Ihre Entwicklung zur eigenen Bildsprache nahm fast fünfzehn Jahre in Anspruch, in denen die Perfektionistin die Gewohnheit, Bilder zu imitieren, ablegte. Vorher malte sie Hundeporträts unterschiedlichster Rassen und schaute sehr viele Vorlagen und Referenzen an, die sie einengten. Heute malt sie stilisierte, erfundene Pudel:

 

"Poodles are naturally anthropomorphic and that slightly human, slightly alien quality I find really beautiful." (zit n. Four&Sons)

"Pudel sind von Natur aus anthropomorph, und diese leicht menschliche, leicht außerirdische Qualität finde ich wirklich schön." (übersetzt mit DeepL)

 

In ihren Statements zeigt sich Larrimores Interesse an den formalen Aspekten der Malerei: Ihr Werk ist nicht inhaltlich bestimmt, sondern formal, es geht ihr in erster Linie um die Komposition.

 

"Much of my interest is in the shapes created, the color relationships, the surface, the edges, the tension between flat and illusionistic space." (zit. n. New American Paintings)

"Ein Großteil meines Interesses gilt den geschaffenen Formen, den Farbbeziehungen, der Oberfläche, den Rändern, der Spannung zwischen flachem und illusionistischem Raum." (übersetzt mit DeepL)

 

Der Pudel ist demzufolge wie eine Blaupause, eine basale Idee, auf der sie ihr Können kühn und fantasievoll entfalten kann.

 

Puddle, 2017 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimores seltsamen und spielerischen Gemälde scheinen keinen Freiraum zu besitzen, alles ist ins Bild hineingepresst, hineingezwängt. Von den Rändern her kommen Finger, Hände, Arme, Brüste, Zehen und Füße ins Bild.

Die Künstlerin konzentriert sich in ihrer Bildsprache auf einen faszinierenden Wechsel zwischen Figuration und Abstraktion, die Komposition wechselt zwischen Aufriss und Grundriss, d.h. manches ist von vorne zu sehen, auf anderes sieht man von oben herab. Die Hundekörper laden den Betrachter dazu ein, immer wieder hinzuschauen und sich zu fragen, was die Pudel eigentlich tun und wie ihre Körper überhaupt funktionieren.

"White Rope" (unten) zeigt die wohlgeformte Gestalt eines vorwitzigen Hundes, der mit dem Hintern nach oben auf einem roten Handtuch am Pool posiert. Sein Körper erscheint eigentümlich verdreht. Die Hände schieben sich zwischen mehrere Bildebenen.

 

White Rope, 2017 © Sophie Larrimore

Untitled, 2017 © Sophie Larrimore

 

Immer wieder wird ihr Werk als fauvistisch beschrieben, da die Fauvisten die Farbe nutzten, um die Malerei über das traditionelle Modell der Lokalfarbe hinaus voranzutreiben. Richtigerweise sieht sich Sophie Larrimore mit den Fauvisten nur insofern verwandt, als auch sie die Farbe als Ausdrucksfarbe verwendet, um einen tieferen emotionalen Zustand zu suggerieren.

 

"The challenge now is working with a lot of colour without making it arbitrary. I see my work in dialog with those painters in that I too am concerned with making a painting in which colour and form are just as important as subject."
(zit.n. Four&Sons)

"Die Herausforderung besteht nun darin, mit viel Farbe zu arbeiten, ohne sie willkürlich einzusetzen. Ich sehe meine Arbeit im Dialog mit diesen Malern, denn auch mir geht es darum, ein Gemälde zu schaffen, in dem Farbe und Form ebenso wichtig sind wie das Thema." (übersetzt mit DeepL)

 

Ich finde den Vergleich mit den Fauvisten (den "Wilden") weit hergeholt. Lediglich die Lokalfarbe durch  Ausdrucksfarbe zu ersetzen, die Farbe von der Natur befreien, quasi farbenfroh zu malen, macht die Malerei noch nicht "wild". Larrimores Malweise ist nicht expressiv, sondern  - au contraire - verhalten und exakt!

Auch der Pointilismus muss immer wieder herhalten, um ihr Werk zu beschreiben. Ihre Punkte sind aber nicht die kleinsten Elemente einer Theorie, in der sich die Farbe erst im Auge mischt, sondern ein Mittel, um die lockig-flauschige Beschaffenheit des Hundefells darzustellen. Die Punkte sind ebenso Struktur, wie die Wellen auf der blauen Fläche. Nicht überall, wo Punkte drauf sind, ist Pointilismus drin!

Wenn schon die Kunstgeschichte bemüht werden soll, dann erinnern mich ihre sanft geschwungenen Formen der Frauen und Pudel formal eher an Fernand Léger und seinen "Tubismus". Die Figuren sind aus einfachen, gerundeten Formen und Rohren (franz. "tubes") zusammengesetzt. Sophie Larrimore nimmt diesen und andere Einflüsse auf und bringt sie mit ihrem eigenen Stil in Einklang, der einen hohen Wiedererkennungswert besitzt.

 

Untitled, 2017 © Sophie Larrimore

 

"Evening" (unten) entzieht sich jedem erkennbaren Raumgefühl, indem es gleichzeitig eine Vogelperspektive (atemberaubenden blau-grünen Strom) und eine Frontalansicht (drei Pudel, flach wie gestaffelte Schablonen) bietet. Die Tiefe ihrer Werke wird durch die geschickte Überlappung von Formen vermittelt. Links oben bricht der Mond durch die Hecke.

 

Evening, 2017 © Sophie Larrimore

 

In "Pastel Towel" sehen wir eine Frau, die einen Pudel streichelt und gleichzeitig von seiner Pfote berührt wird. Nackte Frauen treten in Larrimores Werk häufig in einen visuellen Dialog mit Hunden. Für Sophie Larrimore ist dies eine natürliche Paarung, die trotzdem eine faszinierende Zweideutigkeit und Spannung erzeugt. (vgl. Four&Sons)

 

Pastel Towel, 2017© Sophie Larrimore

 

Ihre Gemälde werden zunehmend komplexer, ornamentaler und erzählerischer. Der Witz der früheren Arbeiten wird zugunsten einer Ernsthaftigkeit aufgegeben und bei näherer Betrachtung zeigt sich eine subtile Beunruhigung. Schwermütige skulpturale Frauendarstellungen in versteinerter Manier werden mit Pudeln, Vögeln, Felsen, Pflanzen und Wasserläufen ergänzt. Viele der Bäume sind blattlos oder gefällt. Diese Ausstattung nimmt die ganze Bildfläche ein und wiederholt sich auf jeder Leinwand in immer neuer Zusammensetzung, wobei es keine Hierarchie zwischen Motiv und Grund  gibt. Die Bildoberfläche erscheint durch den Einsatz von Wiederholungen und Ornamenten verflacht.

Diese Figuren, ob in Gruppen angeordnet oder als einzelne Elemente isoliert, zeichnen sich durch eine bewusste Ökonomie der Gestaltung aus und erinnern an die visuelle Einfachheit von Hieroglyphen oder flachen Reliefs. Weiters lassen die Kompositionen an den Reichtum von Mosaiken und Wandteppichen denken sowie - durch den Verzicht auf Linearperspektive und Hinwendung zur Bedeutungsperspektive - an die Bildsprache der Vorrenaissance. (vgl. Venus Over Manhattan)

 

Bordering Magic, 2021 © Sophie Larrimore

Horizontally Speaking, 2021 © Sophie Larrimore

Alternate Side, 2021 © Sophie Larrimore

 

Die Werke lassen sich nicht in eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Ort einordnen: Die Umgebung erinnert an ursprüngliche und unberührte Landschaft, während die grelle Farbpalette und die zweideutigen Formen auf ein postatomares Terrain hindeuten. Zusammengenommen deuten diese Elemente auf einen sich abzeichnenden apokalyptischen Hintergrund hin und suggerieren eine Welt, die sich mit dem beunruhigenden Gespenst eines tiefgreifenden Wandels auseinandersetzt (vgl. Venus Over Manhattan). Diese Interpretation ist wohl dem Zeitgeist geschuldet, die überall die Thematisierung der Klimakrise sieht.

Ab den 2020er Jahren schmücken aufwändige Rahmen die Gemälde. In Anlehnung an die Maler der Vorrenaissance, die ihre Andachtsbilder mit aufwendigen Rahmen schmückten, um deren Heiligkeit zu unterstreichen, setzt Larrimore ihre Gemälde in massive, handgefertigte Rahmen, die an den unverwechselbaren Stil der Tramp Art erinnern. Die Tramp Art ist eine Methode der Holzbearbeitung, die in Amerika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden ist und bei der in billiges, verfügbares Holz (aus Zigarren- und Versandkisten) geschnitzt wird. Die Herstellung erfolgte durch einfache Werkzeuge. (vgl. Wikipedia)

 

Perennial Crush, 2021 © Sophie Larrimore

Magic Touch Too Much, 2021 © Sophie Larrimore

How Will I Know, 2021 © Sophie Larrimore

4 Heads, 2023 © Sophie Larrimore

3 Trees, 2023 © Sophie Larrimore

Car Camping, 2023 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimore beginnt zwar mit einem Konzept für ein fertiges Werk, trotzdem entwickelt sich das Gemälde im Prozess der Entstehung selbst. Jeder hinzukommende Teil eines Gemäldes wird im Verhältnis zum Ganzen betrachtet, und alle Elemente müssen zusammenpassen, damit das Werk gelingt.

 

“The mark of a good painting is one which changes and reveals itself the longer you look.” (zit.n. Four&Sons)

"Ein gutes Bild zeichnet sich dadurch aus, dass es sich verändert und sich offenbart, je länger man es betrachtet."
(übersetzt mit DeepL)

 

Ihre Arbeiten erfordern vom Betrachter einen doppelten, wenn nicht dreifachen Blick, um alle Feinheiten und Details zu erkennen, wobei ihm die Künstlerin die Interpretation der Symbole und Metaphern überlässt.

 

Nothing Without the Crack, 2023 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimore (*1980 in Annapolis, Maryland/USA) erhielt 2004 einen B.F.A-Abschluss in Malerei und Druckgrafik von der Cooper Union for the Advancement of Science and Art, New York. Larrimores Arbeiten waren Gegenstand mehrerer Einzel- und Gruppenausstellungen in NY. Larrimore lebt und arbeitet in Brooklyn, New York.

Quellen: Four&Sons, Kate Werble Gallery, Venus Over Manhattan, It's Nice That

alle Bilder © Sophie Larrimore

 

Malerei
7. Mai 2024 - 14:11

La cargaison, 2023 © Antoine Roegiers

 

Der belgische Künstler Antoine Roegiers ist ein großer Geschichtenerzähler! Seit 2018 arbeitet er an einem Projekt der "visuellen Erzählung", das aus mehreren Serien von figurativen Gemälden besteht, die eine fortlaufende Geschichte erzählen.

 

“My canvases are a space open to the imagination and to interpretation of all possibilities. I want to explore a world that doesn’t exist and bring it to life with my brush and my pigments dipped in oil, to make it plausible with dreamscapes that form a visual narrative. It’s an ongoing dream, the paintings are interlinked and follow on from each other to form a coherent whole, as I see it: an open narrative thread, chronologically changeable and endless.” (zit.n.GalleriesNow)

"Meine Leinwände sind ein Raum, der offen ist für die Fantasie und für die Interpretation aller Möglichkeiten. Ich möchte eine Welt erforschen, die es nicht gibt, und sie mit meinem Pinsel und meinen in Öl getauchten Pigmenten zum Leben erwecken, um sie mit Traumlandschaften, die eine visuelle Erzählung bilden, plausibel zu machen. Es ist ein fortlaufender Traum, die Bilder sind miteinander verbunden und folgen aufeinander, um ein kohärentes Ganzes zu bilden, wie ich es sehe: ein offener Erzählstrang, chronologisch veränderbar und endlos." (übersetzt mit DeepL)

 

Les masques, 2023 © Antoine Roegiers

 

Roegiers Werke sind von der Malerei der flämischen und niederländischen alten Meister, wie den apokalyptischen Visionen von Hieronymus Bosch oder den moralisierenden Gemälden von Brueghel dem Älteren hinsichtlich Komposition und der Darstellung von Landschaft und Figuren beeinflusst. Er entdeckte die nordeuropäischen Maltraditionen als Student an der Pariser École des Beaux Arts. Fasziniert von deren eigener Vision von Erzählung, Inszenierung und Perspektive bringt Antoine Roegiers in seinen Tableaus ebenso verschiedene Welten hervor, wobei Humor, Ernsthaftigkeit und Poesie dicht beieinander liegen.

Roegiers detail- und symbolreiche Gemälde mit ihrer Fülle an Handlungssträngen entführen die Betrachtenden in seltsame und kuriose unverortete Gegenden, die zeitlos wirken, aber unbestreitbar zeitgenössisch sind.

Sie verweisen auf unsere aktuelle Klimakrise, die das Ergebnis unseres rücksichtslosen Genusses und der Naturausbeutung ist. Er zeigt die Zerstörung unserer natürlichen Welt, ein magistrales Inferno, das sich über die Felder und Wälder ausbreitet und alle Bewohner vertreibt. Die Welt ist im Umbruch, die Natur erobert sich zurück, was ihr gehört.

 

“The story is the pretext to paint a climate, the wind, the storm, the light, the clouds, flames, heat, light and the air.”
(zit.n. Keteleer Gallery)

"Die Geschichte ist der Vorwand, um ein Klima zu malen, den Wind, den Sturm, das Licht, die Wolken, die Flammen, die Hitze, das Licht und die Luft". (übersetzt mit DeepL)

 

Seine beharrliche Hingabe an die Technik ist ein Beweis für seine tiefe Verbundenheit mit dem malerischen Medium und schafft eine wunderbare und einzigartige Wiederbelebung der Magie, die den Werken seiner geliebten niederländischen Vorgänger der Spätgotik und Renaissance innewohnt.

 

"Aujourd’hui, au delà du vertige que me provoque l’acte de peindre, je crois que mon obsession est de donner vie à un monde inventé." (zit.n. yellow over purple)

„Heute glaube ich, dass meine Obsession, abgesehen von dem Schwindelgefühl, das der Akt des Malens in mir auslöst, darin besteht, einer erfundenen Welt Leben einzuhauchen.“ (übersetzt mit DeepL)

 

L'attente, 2023 © Antoine Roegiers

 

In seiner letzten Serie "La Brûlure de l'Éveil" tauchen die Betrachtenden in eine fantastische, lebhaft imaginierte, fast apokalyptische Atmosphäre ein. Gigantische Flammen lodern und setzen den Himmel über trostlosen Landschaften in Brand und erzeugen ein Gefühl der Instabilität und Spannung. Hunde schwimmen im Wasser, das wie flüssige Lava aussieht. Ein Hund schleicht dem apokalyptischen Reiter mit seinem verletzten Pferd und dem Maskenkarren hinterher. Die Skelette sammeln von Menschen zurückgelassenen Masken ein. Um diese wetteifern ein Hunderudel und die raffinierten, vorwitzigen Krähen. Während der Waldbrand lodert, jagen die Hunde den Raben hinterher, in bereits verkohlten Landschaften lauern sie auf die gefiederten Gegenspieler. Antoine Roegiers unterläuft die Codes der traditionellen Jagdszenen, da die Objekte der Jagd kunstvolle Masken sind. Nur der belgische Schäfer hetzt noch bestimmungsgemäß dem Wild hinterher.

Die Masken, die der Mensch geschaffen hat, sie symbolisieren die Welt des Scheins, sind gefallen. Die Rücksichtslosigkeit gehört der Vergangenheit an. Wir können unsere Augen nicht mehr vor den Folgen unseres Handelns verschließen. Die Probleme von morgen sind da.

 

Le grand duc, 2024 © Antoine Roegiers

Le masque á la grimace, 2024 © Antoine Roegiers

L'exil, 2023 © Antoine Roegiers

L'un perd, l'autre gagne, 2024 © Antoine Roegiers

La course effrénée, 2023 © Antoine Roegiers

Le rire moqueur, 2024 © Antoine Roegiers

Le vol, 2023 © Antoine Roegiers

La fuite, 2023 © Antoine Roegiers

Par surprise, 2023 © Antoine Roegiers

Le chien qui chie, 2023 © Antoine Roegiers

La meute, 2022 © Antoine Roegiers

Le masque rose, 2024 © Antoine Roegiers

La poursuite, 2023 © Antoine Roegiers

Entre deux feux, 2024 © Antoine Roegiers

 

“In these paintings, I mix themes from real life, ideas from the old masters, while trying to be free and open about how my painting develops. I rarely sit down with a fixed idea of the outcome; when I paint, it’s intuitive, I’m often surprised by the direction the painting takes. In the most recent paintings in this exhibition, a fire has engulfed the world, but I don’t know what is beyond that smoke. Like the characters in the paintings, I wait to see what the world will look like after this terrible and destructive change.” (zit.n.artnet)

"In diesen Gemälden mische ich Themen aus dem realen Leben und Ideen der alten Meister, während ich versuche, frei und offen zu sein, wie sich meine Malerei entwickelt. Ich setze mich selten mit einer festen Vorstellung vom Ergebnis hin; wenn ich male, geschieht das intuitiv, und ich bin oft überrascht von der Richtung, die das Bild nimmt. In den jüngsten Bildern dieser Ausstellung hat ein Feuer die Welt verschlungen, aber ich weiß nicht, was sich hinter dem Rauch verbirgt. Wie die Figuren in den Gemälden warte ich darauf, wie die Welt nach dieser schrecklichen und zerstörerischen Veränderung aussehen wird." (übersetzt mit DeepL)

 

Chien et masque, 2023 © Antoine Roegiers

 

Antoine Roegiers (*1980 in Braine-l'Alleud, Belgien) arbeitet in den Bereichen Zeichnung, Malerei und Videokunst. Er schloss sein Studium an der École Nationale des Beaux Arts de Paris im Jahr 2007 ab. Roegiers lebt und arbeitet in Paris. Er verwandelt seine Gemälde auch in Videoanimationen, die einen wundersamen Einblick in das geheime Leben seiner phantastischen Figuren gewähren.

Quellen: Galerie Templon u.a.

alle Bilder © Antoine Roegiers

 

Malerei
30. April 2024 - 12:42

With what eyes? Mit welchen Augen schaut sie uns an? Mit welchen Augen blicken wir zurück?

 

you burn me, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

Selten mache ich eine Ausnahme und zeige Ihnen andere Tiere als Hunde. Die Tierbilder des mexikanischen Malers Rodrigo Hernández sind derart sensibel, empathisch und still, dass ich sie ihnen nicht vorenthalten will. Für mich scheinen die Gemälde Teil eines vergangenen paradiesischen Zustands oder einer ersehnten Utopie zu sein. Wenn ich daran denke, wie Menschen mit Tieren, besonders auch mit Affen, die uns doch so ähnlich sind, umgehen, scheinen diese friedvollen Darstellungen Wunschträume zu sein.

Die Fledermäuse und Äffchen sind weich und sanft gemalt: Feine Härchen wie Flaum; dunkle und zarte Haut der Nasenlöcher und Ohren - glänzend und lebendig gemalt - setzt ihre feinen Sinne buchstäblich ins Licht. Die Bilder sind detailreich und unaufgeregt, aber zu perfekt und ätherisch, um realistisch zu sein. In der Darstellungsweise spiegelt sich die Haltung des Künstlers wider: Er bezieht Stellung für die Tiere, indem er das menschliche Subjekt in den Hintergrund rückt und auf den mexikanischen Philosophen David M. Peña-Guzmán Bezug nimmt, der fragt: Sind die Menschen die einzigen Träumer auf der Erde?

Hernández reflektiert die kognitiven und emotionalen Erfahrungen nichtmenschlicher Tiere, indem er literarische, philosophische und wissenschaftliche Perspektiven in sein Werk miteinbezieht, wobei die Gemälde nur Teil umfangreicherer Installationen und Ausstellungsdesigns sind. Er löst den Diskurs über das Träumen aus dem allgegenwärtigen Rahmen der menschlichen Erfahrung.

Wir sehen eine Serie schlafender Affen und Fledermäuse. Aber sind es auch träumende Tiere? Die schlummernden Geschöpfe geben keine weiteren Details zur Interpretation darüber, was sie erleben, werfen aber viele Fragen auf. In ihrer Stille liegt eine uns unbekannte Welt.

 

stars around this beautiful moon (1) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Das zarte Tier hängt kopfüber, hat seine Flügel eingezogen, scheint sich selbst mit ihnen zuzudecken. Die andere Fledermaus schläft mit ausgebreiteten Flügeln. Beide scheinen in sich gekehrt und ganz bei sich selbst zu sein. Beim Anblick dieser Bilder ist es kaum vorstellbar, wie diese kleinen Wesen oft von Menschen als Vampire dämonisiert werden.

 

stars around this beautiful moon (5) 2023 © Rodrigio Hernandez, Foto Marjorie Br

 

Können wir mit Gewissheit sagen, dass Tiere im Schlaf träumen? Mit welchen Augen könnten wir die Träume nichtmenschlicher Tiere betrachten? Was würden wir sehen, wenn wir in die Träume eines nichtmenschlichen Lebewesens hineinschauen könnten? Was würde enthüllt werden? Und wie könnten wir diese Visionen zurückübersetzen? Ist unsere Vorstellung vom Träumen unweigerlich mit der Sprache verbunden?

Die Praxis von Rodrigo Hernández wird vom Impuls bestimmt, den Zwängen der physischen Sprache zu entkommen. Er verleiht einer Idee, einem Konzept oder einem Gemälde mehr Substanz als es das geschriebene oder gesprochene Wort hätte. Das Ergebnis dieser offensichtlichen Schwierigkeit, sich verbal auszudrücken, materialisiert sich in Hernández' Werk durch die Schaffung von stillen Bildern, die bleibende Momente des Zweifels und der Unsicherheit hervorrufen.

Er versucht in seiner bildnerischen Praxis nicht zu klären oder Sicherheit herzustellen, sondern die Linien der Kategorisierung zwischen nichtmenschlichen Tieren und menschlichen Tieren zu verwischen.

 

stars around this beautiful moon (2) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Ein kleiner Exkurs: Ich erinnere mich an einen Vortrag, den der amerikanische Tierrechtsanwalt Steven Wise vor über zwanzig Jahren in Wien gehalten hat.

Steven Wise tritt seit mehreren Jahrzehnten für die Zuerkennung des Stauts als Rechtssubjekte für Tiere nach dem von ihm so benannten Kriterium der "practical autonomy" ein. Dabei plädiert er dafür, Tieren, die einen Sinn des "Ich" besitzen, die intentional handeln und Wünsche haben, zwei elementare Grundrechte - den Anspruch auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit - zuzuerkennen. In seinem Buch "Drawing the Line: Science and the Case for Animal Rights" beschäftigt sich Wise mit der Frage, wo die Grenze zu ziehen sei, wenn erst einmal Affen Grundrechte eingeräumt würden. Was mir besonders in Erinnerung ist, ist seine Bemerkung: "Wir müssen die Linie mit dem Bleistift ziehen".

Noch René Descartes und Immanuel Kant betrachteten Tiere aufgrund ihres Mangels an Sprache, Vernunft und Vorstellungskraft als bloße Maschinen und stellten somit den Menschen über die Natur. Erst Charles Darwin, der fünf Jahre nach Kants Tod geboren wurde, postulierte, dass der Mensch von den Primaten abstammt und somit auch ein Tier ist. Darwin entfachte erneut wissenschaftliche und philosophische Debatten darüber, was es bedeutet, ein Mensch oder ein Nicht-Mensch zu sein. Wenn Menschen Tiere sind, bedeutet dies dann, dass nichtmenschliche Tiere auch andere "menschliche" Eigenschaften haben können und somit Anspruch auf einen moralischen Status haben? Sind sie in der Lage sich etwas vorzustellen und zu träumen?

Im Tierversuch laufen Ratten eine Strecke zu einer Futterquelle. Da sich die Gehirnaktivität im Wachzustand und im Schlaf perfekt widerspiegelt, schließen die Forscher daraus, dass die Ratten im Schlaf wiederholen, was sie gerade erlebt haben, sie also "Realitätssimulationen" durchführen. Oder, wie Peña-Guzmán es ausdrückt, die Ratten träumen davon, die Strecke zu laufen.

In dem Bemühen, eine Anthropomorphisierung der Erfahrung des nichtmenschlichen Tieres zu vermeiden, beschreiben die Forscher die Wiederholung der Wachaktivitäten der Ratten im Schlaf als eine Art Wiederholung und nicht als Traum. Einige Kritiker, darunter Peña-Guzmán, sind jedoch der Ansicht, dass die Feststellung kognitiver Ähnlichkeiten zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren und die Weigerung, einen Begriff zu verwenden, der diese Gemeinsamkeiten anerkennt, zu einer Form von Anthropodenialität führen kann, was einen weiteren Keil zwischen unsere moralische und ethische Beziehung zur nichtmenschlichen Tierwelt treibt. Der Begriff "anthropodenial" geht auf Frans de Waal zurück, der damit die Blindheit gegenüber den menschenähnlichen Eigenschaften von anderen Tieren oder der tierischen Eigenschaften im Menschen meint.

Jeder Tiertraum ist je nach Tierart unterschiedlich. Während die Träume von Primaten eher visuell sind und einem menschlichen Traum näherkommen, sind die Träume von Fledermäusen eher klangvoll und uns daher aus menschlicher Sicht fremd. Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Forschungen über den Tierschlaf, bleibt eine epistemische Lücke bestehen. Auf diese Leerstelle fokussiert Hernández Werk.

 

stars around this beautiful moon (3) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Entspannt schmiegt der kleine Affe seinen rosa Bauch an den dicken Ast, der Kopf ruht auf seinen Armen, die Augen sind fest geschlossen. Erschöpft gibt er sich dem Schlaf hin. Seine Mimik und Schlafposition wirken sehr menschlich.

 

stars around this beautiful moon (4) 2023 © Rodrigi Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Eine orange behandschuhte Hand umschließt eine im Schlaf lächelnde Fledermaus. Ist die Berührung zärtlich und beschützend oder kraftvoll und gefährlich? Hernández zeigt nur einen Ausschnitt der Szene, die Umgebung und die Person bleiben im Verborgenen und der Vorstellung überlassen. Das Orange des Handschuhs leuchtet grell und wirkt kaum vertrauenswürdig. Will die Hand wärmen und umsorgen oder missbrauchen und verletzen?

 

bat dream, 2023 © Rodrigo Hernandez

substitute for love, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

In "Substitute for Love" bezieht sich Rodrigo Hernández auf die Harlow-Experimente der 1950er Jahre zur Erforschung der menschlichen Liebe und Zuneigung durch eine Reihe grausamer Affenversuche. Der Psychologe Harry Harlow trennte Baby-Makaken von ihren Eltern und bot ihnen verschiedene Attrappen als Mutterersatz an. Die Jungtiere suchten die Nähe einer weich gepolsterten "Mutter" und verließen diese nur zur Nahrungsaufnahme. Die früh isolierten Affen zeigten teils schwere Verhaltensstörungen und waren selbst nicht in der Lage, Nachwuchs zu versorgen.

Hernández‘ Ölgemälde ist eine direkte Referenz auf eines der während der Experimente aufgenommenen Fotos, auf dem ein kleiner verzweifelter Makake zu sehen ist, der die Stoffpuppe umarmt. Die Ergebnisse dieses zutiefst berührenden Experiments sagen viel über Mutterschaft, Liebe, und Bindung aus, noch mehr zeigen sie die fehlende Moral beim Missbrauchen von Tieren für die Wissenschaft.

 

Harlow-Experiment
Foto von hier

Draht- und Stoffmutter Surrogate
Foto Wikipedia

I would not think to touch the sky with two arms, 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto

 

Auf dem Boden ruht ein in Bronze gegossener hohler Affenkopf und an den umliegenden Wänden hängen die kleinen Ölgemälde der schlafenden Tiere. Die Skulptur trägt den Titel: "I would not think to touch the sky with two arms", eine Zeile, die von Sappho entlehnt ist. Die feinen Gesichtszüge sind sehr menschlich, weshalb die Assoziation zu Constantin Brancusis "Schlafende Muse" leichtfällt.

 

Installationsansicht, stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin, 202

Installationsansicht, stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin, 202

 

"Flux of Things (Human & Monkey)" ist eine große, handgehämmerte silberne Metallarbeit, die aus acht einzelnen Paneelen aufgebaut ist. Das Werk basiert auf einer einfachen Strichzeichnung und zeigt einen Affen, der sich an eine menschliche Figur schmiegt. Dieser seltene Moment der Verbundenheit zwischen zwei unterschiedlichen Spezies drückt Empathie, Gemeinsamkeit und Hoffnung aus.

 

Flux of Things (Human and Monkey), 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Majorie Brunet

Flux of Things (Human ] Monkey), Detail, 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Majorie

With what eyes no 6, 2023 © Rodrigo Hernandez

With what eyes no9, 2023 © Rodrigo Hernandez

Monkey's dream, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

Ein Affe umarmt eine Taube. Das, was uns unwahrscheinlich erscheint, dass eine zur schnellen Flucht fähige Taube sich umarmen lässt, hat Hernandez in Mexiko selbst beobachtet. Er hat diese kurze intime Berührung in einem gehämmerten Messingrelief festgehalten. Der Kontrast zwischen der Festigkeit des Messingblechs und der Zärtlichkeit des Moments, die auf ihm eingeschrieben ist, verleiht der Szene eine ganz besondere poetische und sensible Qualität. Die Arbeit ist Teil einer Installation aus zwölf Reliefs - "Nothing is Solid. Nothing can be held in my hand for long" - die ephemere Gesten der Zuneigung, Berührungen und Umarmungen darstellen.

 

Nothing Is Solid © Rodrigo Hernandez

 

Für uns Hundehalter scheint es evident, dass unsere Hunde träumen, wir brauchen keinen Beweis! Es gibt kaum etwas Spannenderes, als sie dabei zu beobachten: Zuckende Beine, Schwänze, die sich bewegen, grunzende Laute – wahrscheinlich werden zumeist Rehe und Hasen verfolgt! Auch wenn die Hunde in Wirklichkeit an der Leine waren und den Rehen nur nachschauten.

Die Menschheit allerdings wird niemals erfahren, was die schlafenden Hunde, Affen und Fledermäuse träumen, was in ihren Köpfen vorgeht. Die unbekannte Gedankenwelt ist vielleicht deren letztes Refugium.

Als Betrachtende sind wir aufgefordert den Werken von Rodrigo Hernández mit unserer subjektiven sinnlichen Erfahrung - mit Spüren, Fühlen, Wahrnehmen - gegenüberzutreten und sie nicht mit Rationalität zu betrachten.

Die gezeigten Arbeiten waren Teil seiner letzten Ausstellungen in der Galerie Chert Lüdde in Berlin und im CCA Wattis Institute in San Francisco. Seine Installationen - er fügt Wände und architektonische Elemente in den Ausstellungsraum - sollen dem Besuchen bewusst machen, wie er den Raum einnimmt, insofern sind seine räumlichen Konfigurationen Übungen in Perspektive und Wahrnehmung.

Rodrigo Hernández (*1983 in Mexico City/Mexiko) studierte an der Jan Van Eyck Akademie in Maastricht und an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe.

Quellen: Homepage Rodrigo Hernández, Galerie Chert Lüdde, Galerie Madragoa, Gallerytalk, Essay von Diego Villalobos

alle Bilder © Rodrigo Hernández