Malerei

12. Juli 2024 - 10:09

Old Dog, 2019 © Franca Franz

 

Wer einen alten Hund hat, erkennt die Qualität dieses Bildes! Auf den ersten Blick spürt man die Stimmung des Hundes, seinen "mood": Er scheint zu überlegen und zu keinem Ergebnis zu kommen. Wo bin ich, was mach ich hier? Wer will etwas von mir?

Und hier kommen die zwei kleinen blauen Hügel am unteren Bildrand ins Spiel. Was sollen sie? Es sind die Knie der Künstlerin Franca Franz, mit denen sie uns ihre Perspektive zeigen möchte, den Blick, von dem aus sie den Hund skizziert oder fotografiert hat.

Das und andere Bilder begleiten (nicht illustrieren) die Gedichte von Michael Hüttenberger in der Ausstellungsbroschüre "Die Schafe sind gezählt". Leider liegt mir der Band nicht vor. Ich wurde von Sofie Morin darauf aufmerksam gemacht. Danke, liebe Sofie, für das Teilen des wunderbaren Gemäldes!

 

Ausstellungsbroschüre

 

Zurück zum Bild: Ob sich die kleine Szene außen oder innen abspielt, ist erst auf den zweiten Blick zu klären. Der Hund scheint draußen auf einer festen Decke zu liegen, die säulenartigen Bäume begrenzen einen Nachthimmel mit funkelnden Sternen, der Horizont halbiert Vorder- und Hintergrund. Der "old dog" strahlt aus innen heraus, nichts Rationales oder Naturwissenschaftliches bedingt oder rechtfertigt sein Leuchten.

Franca Franz wurde 1986 in Darmstadt geboren. Sie studierte Malerei an der Royal Academy of Fine Arts Antwerpen bei Bruno Van Dyck und Malerei/Druckgrafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Professor Annette Schröter. Franca Franz lebt und arbeitet in Leipzig.

Michael Hüttenberger, geboren 1955 in Offenbach, studierte Germanistik, Politik, Pädagogik und Soziologie in Frankfurt, promovierte zum Dr. phil. und war bis 2008 Schulleiter in Darmstadt. Seitdem arbeitet er als freier Autor und Journalist in Darmstadt und Stedesdorf/Ostfriesland, seit 2020 in Michelstadt.

Quelle: Echo

Bild © Franca Franz

 

Buch, Malerei
5. Juli 2024 - 21:15

Irina Bartels, Julia Belot, Eberhard Bitter, Piot Brehmer, Hagga Bühler, Julija Burdack, Ankalina Dahlem, Claudia Dermutz, Anja Flügel, Sieglinde Gros, Claudia Grünig, Prof. Ottmar Hörl, Susana Infurna Buscarino, Ewald Janz, Heike Jeschonnek, Andrea Legde, Petra Meyer, Sibylle Möndel, Kerstin Römhild, Welf Schiefer, Dorothea Schüle, Antje Vega, Elke Vogelsang, Elizabeth Weckes, Viola Welker, Sandra Wörner, Dagmar Wolf-Heger, Ulrike Zimmermann:

Das ist die umfangreiche Liste der ausstellenden deutschen und osteuropäischen Künstler und Künstlerinnen beim Kunstsommer Burg Wertheim, organisiert vom Galeristen Axel Schöber und unterstützt durch die Stadt Wertheim. Vom 7. Juli bis zum 18. August 2024 widmet sich das Neue Archiv ganz dem Hund: "DOGS – zwischen Instinkt und Zuneigung" beleuchtet die Bandbreite, die im Titel angesprochen wird, anhand von Druckgrafik, Fotografie, Malerei, Objekt, Skulptur und Zeichnung.

Um Ihnen einen kleinen Vorgeschmack zu geben, habe ich mir vier Künstlerinnen ausgesucht, die ich kurz vorstelle:

Sibylle Möndel (*1959 in Stuttgart/D) verbindet die Technik des Siebdrucks mit gestischer Malerei in stiller zurückhaltender Farbigkeit. Dazu bearbeitet die Künstlerin Fotografien oder Fotofragmente auf dem Computer, die dann in der Technik des Siebdrucks auf die Leinwand gedruckt werden. Aus dem einfachen flachen Druck eines Schäferhundes erzeugt Sibylle Möndel mit wenigen groben informellen horizontalen und vertikalen Pinselstrichen eine mehrschichtige Landschaft mit Tiefe. Der Hund scheint etwas zu betrachten, was für uns im Verborgenen liegt: Rätselhaftigkeit entsteht.

 

o.T., Siebdruck, Ölfarbe auf Leinwand © Sibylle Möndel

 

Julia Belot möchte nur das Gute und Schöne malen und das Liebenswerte ergründen. Alles Negative bleibt im Verborgenen. Ihrer Absicht wird sie durchaus gerecht. Um das Positive noch mehr hervorzuheben, setzt sie eine über die Natur hinaus gehende, in ihrer Intensität gesteigerte Farbigkeit ein. "Traumland" heißt eine ihrer Serien, und im Traumland ist es so schön und friedlich, wie es nur die kindliche Fantasie imaginieren kann und Mensch und Tier märchenhaft nebeneinander existieren.

 

Iza und zwei Wölfe, 2015 © Julia Belot

 

Elizabeth Weckes (*1968 in Willich/D) steuert Foxy bei! Er ist Teil einer Serie, die angeleinte Hunde beim Gassigehen zeigen. Unwichtiges wie Frauchen und Herrchen sind im Bild angeschnitten und bloß als ausschreitendes Beinpaar präsent.

 

Foxy, Red Handbag, 2024  © Elizabeth Weckes

 

Vielleicht sehen Sie im Neuen Archiv erstmals eine Hunderudel-Skulptur von Sieglinde Gros (*1963 in Darmstadt/D), deren Werk bisher auf die menschliche Figur und Figurengruppen ausgerichtet war. Die Bildhauerin arbeitet mit Kettensäge und Stemmeisen, lässt die Arbeitspuren und den Holzblock als Ausgangsmaterial sichtbar. Wie lust- und energievoll die Befreiung der "Meute" aus dem Holz vor sich geht! Diese Hunde zögern nicht!

 

Meute, 2024 © Sieglinde Gros

 

Die Vernissage findet am 7. Juli 2024 um 11:30 Uhr mit einer Einführung des Kurators Axel Schöber statt. Im Rahmenprogramm wird er selbst über Kunst und Künstliche Intelligenz referieren, Ottmar Hörl spricht über den Kunstmarkt, Dagmar Wolf-Heger über Wölfe im Schutzraum. Am letzten Tag der Ausstellung können die Besucher und Besucherinnen eine Künstlerin beim Schaffensprozess beobachten: Sandra Wörner wird vor dem Publikum zeichnen.

Die Öffnungszeiten und Termine des Rahmenprogramms können Sie hier nachlesen.

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur
10. Juni 2024 - 10:33

Was haben die Bilder der amerikanischen Künstlerin Sophie Larrimore gemeinsam? Richtig! Einen oder mehrere Pudel! Dabei ist sie keine Hundeliebhaberin. Sie malt Pudel, da sie an ihnen Form, Textur und Farbe erforschen kann. (vgl. It's Nice That)

 

August, 2017 © Sophie Larrimore

 

Ihre Entwicklung zur eigenen Bildsprache nahm fast fünfzehn Jahre in Anspruch, in denen die Perfektionistin die Gewohnheit, Bilder zu imitieren, ablegte. Vorher malte sie Hundeporträts unterschiedlichster Rassen und schaute sehr viele Vorlagen und Referenzen an, die sie einengten. Heute malt sie stilisierte, erfundene Pudel:

 

"Poodles are naturally anthropomorphic and that slightly human, slightly alien quality I find really beautiful." (zit n. Four&Sons)

"Pudel sind von Natur aus anthropomorph, und diese leicht menschliche, leicht außerirdische Qualität finde ich wirklich schön." (übersetzt mit DeepL)

 

In ihren Statements zeigt sich Larrimores Interesse an den formalen Aspekten der Malerei: Ihr Werk ist nicht inhaltlich bestimmt, sondern formal, es geht ihr in erster Linie um die Komposition.

 

"Much of my interest is in the shapes created, the color relationships, the surface, the edges, the tension between flat and illusionistic space." (zit. n. New American Paintings)

"Ein Großteil meines Interesses gilt den geschaffenen Formen, den Farbbeziehungen, der Oberfläche, den Rändern, der Spannung zwischen flachem und illusionistischem Raum." (übersetzt mit DeepL)

 

Der Pudel ist demzufolge wie eine Blaupause, eine basale Idee, auf der sie ihr Können kühn und fantasievoll entfalten kann.

 

Puddle, 2017 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimores seltsamen und spielerischen Gemälde scheinen keinen Freiraum zu besitzen, alles ist ins Bild hineingepresst, hineingezwängt. Von den Rändern her kommen Finger, Hände, Arme, Brüste, Zehen und Füße ins Bild.

Die Künstlerin konzentriert sich in ihrer Bildsprache auf einen faszinierenden Wechsel zwischen Figuration und Abstraktion, die Komposition wechselt zwischen Aufriss und Grundriss, d.h. manches ist von vorne zu sehen, auf anderes sieht man von oben herab. Die Hundekörper laden den Betrachter dazu ein, immer wieder hinzuschauen und sich zu fragen, was die Pudel eigentlich tun und wie ihre Körper überhaupt funktionieren.

"White Rope" (unten) zeigt die wohlgeformte Gestalt eines vorwitzigen Hundes, der mit dem Hintern nach oben auf einem roten Handtuch am Pool posiert. Sein Körper erscheint eigentümlich verdreht. Die Hände schieben sich zwischen mehrere Bildebenen.

 

White Rope, 2017 © Sophie Larrimore

Untitled, 2017 © Sophie Larrimore

 

Immer wieder wird ihr Werk als fauvistisch beschrieben, da die Fauvisten die Farbe nutzten, um die Malerei über das traditionelle Modell der Lokalfarbe hinaus voranzutreiben. Richtigerweise sieht sich Sophie Larrimore mit den Fauvisten nur insofern verwandt, als auch sie die Farbe als Ausdrucksfarbe verwendet, um einen tieferen emotionalen Zustand zu suggerieren.

 

"The challenge now is working with a lot of colour without making it arbitrary. I see my work in dialog with those painters in that I too am concerned with making a painting in which colour and form are just as important as subject."
(zit.n. Four&Sons)

"Die Herausforderung besteht nun darin, mit viel Farbe zu arbeiten, ohne sie willkürlich einzusetzen. Ich sehe meine Arbeit im Dialog mit diesen Malern, denn auch mir geht es darum, ein Gemälde zu schaffen, in dem Farbe und Form ebenso wichtig sind wie das Thema." (übersetzt mit DeepL)

 

Ich finde den Vergleich mit den Fauvisten (den "Wilden") weit hergeholt. Lediglich die Lokalfarbe durch  Ausdrucksfarbe zu ersetzen, die Farbe von der Natur befreien, quasi farbenfroh zu malen, macht die Malerei noch nicht "wild". Larrimores Malweise ist nicht expressiv, sondern  - au contraire - verhalten und exakt!

Auch der Pointilismus muss immer wieder herhalten, um ihr Werk zu beschreiben. Ihre Punkte sind aber nicht die kleinsten Elemente einer Theorie, in der sich die Farbe erst im Auge mischt, sondern ein Mittel, um die lockig-flauschige Beschaffenheit des Hundefells darzustellen. Die Punkte sind ebenso Struktur, wie die Wellen auf der blauen Fläche. Nicht überall, wo Punkte drauf sind, ist Pointilismus drin!

Wenn schon die Kunstgeschichte bemüht werden soll, dann erinnern mich ihre sanft geschwungenen Formen der Frauen und Pudel formal eher an Fernand Léger und seinen "Tubismus". Die Figuren sind aus einfachen, gerundeten Formen und Rohren (franz. "tubes") zusammengesetzt. Sophie Larrimore nimmt diesen und andere Einflüsse auf und bringt sie mit ihrem eigenen Stil in Einklang, der einen hohen Wiedererkennungswert besitzt.

 

Untitled, 2017 © Sophie Larrimore

 

"Evening" (unten) entzieht sich jedem erkennbaren Raumgefühl, indem es gleichzeitig eine Vogelperspektive (atemberaubenden blau-grünen Strom) und eine Frontalansicht (drei Pudel, flach wie gestaffelte Schablonen) bietet. Die Tiefe ihrer Werke wird durch die geschickte Überlappung von Formen vermittelt. Links oben bricht der Mond durch die Hecke.

 

Evening, 2017 © Sophie Larrimore

 

In "Pastel Towel" sehen wir eine Frau, die einen Pudel streichelt und gleichzeitig von seiner Pfote berührt wird. Nackte Frauen treten in Larrimores Werk häufig in einen visuellen Dialog mit Hunden. Für Sophie Larrimore ist dies eine natürliche Paarung, die trotzdem eine faszinierende Zweideutigkeit und Spannung erzeugt. (vgl. Four&Sons)

 

Pastel Towel, 2017© Sophie Larrimore

 

Ihre Gemälde werden zunehmend komplexer, ornamentaler und erzählerischer. Der Witz der früheren Arbeiten wird zugunsten einer Ernsthaftigkeit aufgegeben und bei näherer Betrachtung zeigt sich eine subtile Beunruhigung. Schwermütige skulpturale Frauendarstellungen in versteinerter Manier werden mit Pudeln, Vögeln, Felsen, Pflanzen und Wasserläufen ergänzt. Viele der Bäume sind blattlos oder gefällt. Diese Ausstattung nimmt die ganze Bildfläche ein und wiederholt sich auf jeder Leinwand in immer neuer Zusammensetzung, wobei es keine Hierarchie zwischen Motiv und Grund  gibt. Die Bildoberfläche erscheint durch den Einsatz von Wiederholungen und Ornamenten verflacht.

Diese Figuren, ob in Gruppen angeordnet oder als einzelne Elemente isoliert, zeichnen sich durch eine bewusste Ökonomie der Gestaltung aus und erinnern an die visuelle Einfachheit von Hieroglyphen oder flachen Reliefs. Weiters lassen die Kompositionen an den Reichtum von Mosaiken und Wandteppichen denken sowie - durch den Verzicht auf Linearperspektive und Hinwendung zur Bedeutungsperspektive - an die Bildsprache der Vorrenaissance. (vgl. Venus Over Manhattan)

 

Bordering Magic, 2021 © Sophie Larrimore

Horizontally Speaking, 2021 © Sophie Larrimore

Alternate Side, 2021 © Sophie Larrimore

 

Die Werke lassen sich nicht in eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Ort einordnen: Die Umgebung erinnert an ursprüngliche und unberührte Landschaft, während die grelle Farbpalette und die zweideutigen Formen auf ein postatomares Terrain hindeuten. Zusammengenommen deuten diese Elemente auf einen sich abzeichnenden apokalyptischen Hintergrund hin und suggerieren eine Welt, die sich mit dem beunruhigenden Gespenst eines tiefgreifenden Wandels auseinandersetzt (vgl. Venus Over Manhattan). Diese Interpretation ist wohl dem Zeitgeist geschuldet, die überall die Thematisierung der Klimakrise sieht.

Ab den 2020er Jahren schmücken aufwändige Rahmen die Gemälde. In Anlehnung an die Maler der Vorrenaissance, die ihre Andachtsbilder mit aufwendigen Rahmen schmückten, um deren Heiligkeit zu unterstreichen, setzt Larrimore ihre Gemälde in massive, handgefertigte Rahmen, die an den unverwechselbaren Stil der Tramp Art erinnern. Die Tramp Art ist eine Methode der Holzbearbeitung, die in Amerika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden ist und bei der in billiges, verfügbares Holz (aus Zigarren- und Versandkisten) geschnitzt wird. Die Herstellung erfolgte durch einfache Werkzeuge. (vgl. Wikipedia)

 

Perennial Crush, 2021 © Sophie Larrimore

Magic Touch Too Much, 2021 © Sophie Larrimore

How Will I Know, 2021 © Sophie Larrimore

4 Heads, 2023 © Sophie Larrimore

3 Trees, 2023 © Sophie Larrimore

Car Camping, 2023 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimore beginnt zwar mit einem Konzept für ein fertiges Werk, trotzdem entwickelt sich das Gemälde im Prozess der Entstehung selbst. Jeder hinzukommende Teil eines Gemäldes wird im Verhältnis zum Ganzen betrachtet, und alle Elemente müssen zusammenpassen, damit das Werk gelingt.

 

“The mark of a good painting is one which changes and reveals itself the longer you look.” (zit.n. Four&Sons)

"Ein gutes Bild zeichnet sich dadurch aus, dass es sich verändert und sich offenbart, je länger man es betrachtet."
(übersetzt mit DeepL)

 

Ihre Arbeiten erfordern vom Betrachter einen doppelten, wenn nicht dreifachen Blick, um alle Feinheiten und Details zu erkennen, wobei ihm die Künstlerin die Interpretation der Symbole und Metaphern überlässt.

 

Nothing Without the Crack, 2023 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimore (*1980 in Annapolis, Maryland/USA) erhielt 2004 einen B.F.A-Abschluss in Malerei und Druckgrafik von der Cooper Union for the Advancement of Science and Art, New York. Larrimores Arbeiten waren Gegenstand mehrerer Einzel- und Gruppenausstellungen in NY. Larrimore lebt und arbeitet in Brooklyn, New York.

Quellen: Four&Sons, Kate Werble Gallery, Venus Over Manhattan, It's Nice That

alle Bilder © Sophie Larrimore

 

Malerei
7. Mai 2024 - 15:11

La cargaison, 2023 © Antoine Roegiers

 

Der belgische Künstler Antoine Roegiers ist ein großer Geschichtenerzähler! Seit 2018 arbeitet er an einem Projekt der "visuellen Erzählung", das aus mehreren Serien von figurativen Gemälden besteht, die eine fortlaufende Geschichte erzählen.

 

“My canvases are a space open to the imagination and to interpretation of all possibilities. I want to explore a world that doesn’t exist and bring it to life with my brush and my pigments dipped in oil, to make it plausible with dreamscapes that form a visual narrative. It’s an ongoing dream, the paintings are interlinked and follow on from each other to form a coherent whole, as I see it: an open narrative thread, chronologically changeable and endless.” (zit.n.GalleriesNow)

"Meine Leinwände sind ein Raum, der offen ist für die Fantasie und für die Interpretation aller Möglichkeiten. Ich möchte eine Welt erforschen, die es nicht gibt, und sie mit meinem Pinsel und meinen in Öl getauchten Pigmenten zum Leben erwecken, um sie mit Traumlandschaften, die eine visuelle Erzählung bilden, plausibel zu machen. Es ist ein fortlaufender Traum, die Bilder sind miteinander verbunden und folgen aufeinander, um ein kohärentes Ganzes zu bilden, wie ich es sehe: ein offener Erzählstrang, chronologisch veränderbar und endlos." (übersetzt mit DeepL)

 

Les masques, 2023 © Antoine Roegiers

 

Roegiers Werke sind von der Malerei der flämischen und niederländischen alten Meister, wie den apokalyptischen Visionen von Hieronymus Bosch oder den moralisierenden Gemälden von Brueghel dem Älteren hinsichtlich Komposition und der Darstellung von Landschaft und Figuren beeinflusst. Er entdeckte die nordeuropäischen Maltraditionen als Student an der Pariser École des Beaux Arts. Fasziniert von deren eigener Vision von Erzählung, Inszenierung und Perspektive bringt Antoine Roegiers in seinen Tableaus ebenso verschiedene Welten hervor, wobei Humor, Ernsthaftigkeit und Poesie dicht beieinander liegen.

Roegiers detail- und symbolreiche Gemälde mit ihrer Fülle an Handlungssträngen entführen die Betrachtenden in seltsame und kuriose unverortete Gegenden, die zeitlos wirken, aber unbestreitbar zeitgenössisch sind.

Sie verweisen auf unsere aktuelle Klimakrise, die das Ergebnis unseres rücksichtslosen Genusses und der Naturausbeutung ist. Er zeigt die Zerstörung unserer natürlichen Welt, ein magistrales Inferno, das sich über die Felder und Wälder ausbreitet und alle Bewohner vertreibt. Die Welt ist im Umbruch, die Natur erobert sich zurück, was ihr gehört.

 

“The story is the pretext to paint a climate, the wind, the storm, the light, the clouds, flames, heat, light and the air.”
(zit.n. Keteleer Gallery)

"Die Geschichte ist der Vorwand, um ein Klima zu malen, den Wind, den Sturm, das Licht, die Wolken, die Flammen, die Hitze, das Licht und die Luft". (übersetzt mit DeepL)

 

Seine beharrliche Hingabe an die Technik ist ein Beweis für seine tiefe Verbundenheit mit dem malerischen Medium und schafft eine wunderbare und einzigartige Wiederbelebung der Magie, die den Werken seiner geliebten niederländischen Vorgänger der Spätgotik und Renaissance innewohnt.

 

"Aujourd’hui, au delà du vertige que me provoque l’acte de peindre, je crois que mon obsession est de donner vie à un monde inventé." (zit.n. yellow over purple)

„Heute glaube ich, dass meine Obsession, abgesehen von dem Schwindelgefühl, das der Akt des Malens in mir auslöst, darin besteht, einer erfundenen Welt Leben einzuhauchen.“ (übersetzt mit DeepL)

 

L'attente, 2023 © Antoine Roegiers

 

In seiner letzten Serie "La Brûlure de l'Éveil" tauchen die Betrachtenden in eine fantastische, lebhaft imaginierte, fast apokalyptische Atmosphäre ein. Gigantische Flammen lodern und setzen den Himmel über trostlosen Landschaften in Brand und erzeugen ein Gefühl der Instabilität und Spannung. Hunde schwimmen im Wasser, das wie flüssige Lava aussieht. Ein Hund schleicht dem apokalyptischen Reiter mit seinem verletzten Pferd und dem Maskenkarren hinterher. Die Skelette sammeln von Menschen zurückgelassenen Masken ein. Um diese wetteifern ein Hunderudel und die raffinierten, vorwitzigen Krähen. Während der Waldbrand lodert, jagen die Hunde den Raben hinterher, in bereits verkohlten Landschaften lauern sie auf die gefiederten Gegenspieler. Antoine Roegiers unterläuft die Codes der traditionellen Jagdszenen, da die Objekte der Jagd kunstvolle Masken sind. Nur der belgische Schäfer hetzt noch bestimmungsgemäß dem Wild hinterher.

Die Masken, die der Mensch geschaffen hat, sie symbolisieren die Welt des Scheins, sind gefallen. Die Rücksichtslosigkeit gehört der Vergangenheit an. Wir können unsere Augen nicht mehr vor den Folgen unseres Handelns verschließen. Die Probleme von morgen sind da.

 

Le grand duc, 2024 © Antoine Roegiers

Le masque á la grimace, 2024 © Antoine Roegiers

L'exil, 2023 © Antoine Roegiers

L'un perd, l'autre gagne, 2024 © Antoine Roegiers

La course effrénée, 2023 © Antoine Roegiers

Le rire moqueur, 2024 © Antoine Roegiers

Le vol, 2023 © Antoine Roegiers

La fuite, 2023 © Antoine Roegiers

Par surprise, 2023 © Antoine Roegiers

Le chien qui chie, 2023 © Antoine Roegiers

La meute, 2022 © Antoine Roegiers

Le masque rose, 2024 © Antoine Roegiers

La poursuite, 2023 © Antoine Roegiers

Entre deux feux, 2024 © Antoine Roegiers

 

“In these paintings, I mix themes from real life, ideas from the old masters, while trying to be free and open about how my painting develops. I rarely sit down with a fixed idea of the outcome; when I paint, it’s intuitive, I’m often surprised by the direction the painting takes. In the most recent paintings in this exhibition, a fire has engulfed the world, but I don’t know what is beyond that smoke. Like the characters in the paintings, I wait to see what the world will look like after this terrible and destructive change.” (zit.n.artnet)

"In diesen Gemälden mische ich Themen aus dem realen Leben und Ideen der alten Meister, während ich versuche, frei und offen zu sein, wie sich meine Malerei entwickelt. Ich setze mich selten mit einer festen Vorstellung vom Ergebnis hin; wenn ich male, geschieht das intuitiv, und ich bin oft überrascht von der Richtung, die das Bild nimmt. In den jüngsten Bildern dieser Ausstellung hat ein Feuer die Welt verschlungen, aber ich weiß nicht, was sich hinter dem Rauch verbirgt. Wie die Figuren in den Gemälden warte ich darauf, wie die Welt nach dieser schrecklichen und zerstörerischen Veränderung aussehen wird." (übersetzt mit DeepL)

 

Chien et masque, 2023 © Antoine Roegiers

 

Antoine Roegiers (*1980 in Braine-l'Alleud, Belgien) arbeitet in den Bereichen Zeichnung, Malerei und Videokunst. Er schloss sein Studium an der École Nationale des Beaux Arts de Paris im Jahr 2007 ab. Roegiers lebt und arbeitet in Paris. Er verwandelt seine Gemälde auch in Videoanimationen, die einen wundersamen Einblick in das geheime Leben seiner phantastischen Figuren gewähren.

Quellen: Galerie Templon u.a.

alle Bilder © Antoine Roegiers

 

Malerei
30. April 2024 - 13:42

With what eyes? Mit welchen Augen schaut sie uns an? Mit welchen Augen blicken wir zurück?

 

you burn me, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

Selten mache ich eine Ausnahme und zeige Ihnen andere Tiere als Hunde. Die Tierbilder des mexikanischen Malers Rodrigo Hernández sind derart sensibel, empathisch und still, dass ich sie ihnen nicht vorenthalten will. Für mich scheinen die Gemälde Teil eines vergangenen paradiesischen Zustands oder einer ersehnten Utopie zu sein. Wenn ich daran denke, wie Menschen mit Tieren, besonders auch mit Affen, die uns doch so ähnlich sind, umgehen, scheinen diese friedvollen Darstellungen Wunschträume zu sein.

Die Fledermäuse und Äffchen sind weich und sanft gemalt: Feine Härchen wie Flaum; dunkle und zarte Haut der Nasenlöcher und Ohren - glänzend und lebendig gemalt - setzt ihre feinen Sinne buchstäblich ins Licht. Die Bilder sind detailreich und unaufgeregt, aber zu perfekt und ätherisch, um realistisch zu sein. In der Darstellungsweise spiegelt sich die Haltung des Künstlers wider: Er bezieht Stellung für die Tiere, indem er das menschliche Subjekt in den Hintergrund rückt und auf den mexikanischen Philosophen David M. Peña-Guzmán Bezug nimmt, der fragt: Sind die Menschen die einzigen Träumer auf der Erde?

Hernández reflektiert die kognitiven und emotionalen Erfahrungen nichtmenschlicher Tiere, indem er literarische, philosophische und wissenschaftliche Perspektiven in sein Werk miteinbezieht, wobei die Gemälde nur Teil umfangreicherer Installationen und Ausstellungsdesigns sind. Er löst den Diskurs über das Träumen aus dem allgegenwärtigen Rahmen der menschlichen Erfahrung.

Wir sehen eine Serie schlafender Affen und Fledermäuse. Aber sind es auch träumende Tiere? Die schlummernden Geschöpfe geben keine weiteren Details zur Interpretation darüber, was sie erleben, werfen aber viele Fragen auf. In ihrer Stille liegt eine uns unbekannte Welt.

 

stars around this beautiful moon (1) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Das zarte Tier hängt kopfüber, hat seine Flügel eingezogen, scheint sich selbst mit ihnen zuzudecken. Die andere Fledermaus schläft mit ausgebreiteten Flügeln. Beide scheinen in sich gekehrt und ganz bei sich selbst zu sein. Beim Anblick dieser Bilder ist es kaum vorstellbar, wie diese kleinen Wesen oft von Menschen als Vampire dämonisiert werden.

 

stars around this beautiful moon (5) 2023 © Rodrigio Hernandez, Foto Marjorie Br

 

Können wir mit Gewissheit sagen, dass Tiere im Schlaf träumen? Mit welchen Augen könnten wir die Träume nichtmenschlicher Tiere betrachten? Was würden wir sehen, wenn wir in die Träume eines nichtmenschlichen Lebewesens hineinschauen könnten? Was würde enthüllt werden? Und wie könnten wir diese Visionen zurückübersetzen? Ist unsere Vorstellung vom Träumen unweigerlich mit der Sprache verbunden?

Die Praxis von Rodrigo Hernández wird vom Impuls bestimmt, den Zwängen der physischen Sprache zu entkommen. Er verleiht einer Idee, einem Konzept oder einem Gemälde mehr Substanz als es das geschriebene oder gesprochene Wort hätte. Das Ergebnis dieser offensichtlichen Schwierigkeit, sich verbal auszudrücken, materialisiert sich in Hernández' Werk durch die Schaffung von stillen Bildern, die bleibende Momente des Zweifels und der Unsicherheit hervorrufen.

Er versucht in seiner bildnerischen Praxis nicht zu klären oder Sicherheit herzustellen, sondern die Linien der Kategorisierung zwischen nichtmenschlichen Tieren und menschlichen Tieren zu verwischen.

 

stars around this beautiful moon (2) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Ein kleiner Exkurs: Ich erinnere mich an einen Vortrag, den der amerikanische Tierrechtsanwalt Steven Wise vor über zwanzig Jahren in Wien gehalten hat.

Steven Wise tritt seit mehreren Jahrzehnten für die Zuerkennung des Stauts als Rechtssubjekte für Tiere nach dem von ihm so benannten Kriterium der "practical autonomy" ein. Dabei plädiert er dafür, Tieren, die einen Sinn des "Ich" besitzen, die intentional handeln und Wünsche haben, zwei elementare Grundrechte - den Anspruch auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit - zuzuerkennen. In seinem Buch "Drawing the Line: Science and the Case for Animal Rights" beschäftigt sich Wise mit der Frage, wo die Grenze zu ziehen sei, wenn erst einmal Affen Grundrechte eingeräumt würden. Was mir besonders in Erinnerung ist, ist seine Bemerkung: "Wir müssen die Linie mit dem Bleistift ziehen".

Noch René Descartes und Immanuel Kant betrachteten Tiere aufgrund ihres Mangels an Sprache, Vernunft und Vorstellungskraft als bloße Maschinen und stellten somit den Menschen über die Natur. Erst Charles Darwin, der fünf Jahre nach Kants Tod geboren wurde, postulierte, dass der Mensch von den Primaten abstammt und somit auch ein Tier ist. Darwin entfachte erneut wissenschaftliche und philosophische Debatten darüber, was es bedeutet, ein Mensch oder ein Nicht-Mensch zu sein. Wenn Menschen Tiere sind, bedeutet dies dann, dass nichtmenschliche Tiere auch andere "menschliche" Eigenschaften haben können und somit Anspruch auf einen moralischen Status haben? Sind sie in der Lage sich etwas vorzustellen und zu träumen?

Im Tierversuch laufen Ratten eine Strecke zu einer Futterquelle. Da sich die Gehirnaktivität im Wachzustand und im Schlaf perfekt widerspiegelt, schließen die Forscher daraus, dass die Ratten im Schlaf wiederholen, was sie gerade erlebt haben, sie also "Realitätssimulationen" durchführen. Oder, wie Peña-Guzmán es ausdrückt, die Ratten träumen davon, die Strecke zu laufen.

In dem Bemühen, eine Anthropomorphisierung der Erfahrung des nichtmenschlichen Tieres zu vermeiden, beschreiben die Forscher die Wiederholung der Wachaktivitäten der Ratten im Schlaf als eine Art Wiederholung und nicht als Traum. Einige Kritiker, darunter Peña-Guzmán, sind jedoch der Ansicht, dass die Feststellung kognitiver Ähnlichkeiten zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren und die Weigerung, einen Begriff zu verwenden, der diese Gemeinsamkeiten anerkennt, zu einer Form von Anthropodenialität führen kann, was einen weiteren Keil zwischen unsere moralische und ethische Beziehung zur nichtmenschlichen Tierwelt treibt. Der Begriff "anthropodenial" geht auf Frans de Waal zurück, der damit die Blindheit gegenüber den menschenähnlichen Eigenschaften von anderen Tieren oder der tierischen Eigenschaften im Menschen meint.

Jeder Tiertraum ist je nach Tierart unterschiedlich. Während die Träume von Primaten eher visuell sind und einem menschlichen Traum näherkommen, sind die Träume von Fledermäusen eher klangvoll und uns daher aus menschlicher Sicht fremd. Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Forschungen über den Tierschlaf, bleibt eine epistemische Lücke bestehen. Auf diese Leerstelle fokussiert Hernández Werk.

 

stars around this beautiful moon (3) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Entspannt schmiegt der kleine Affe seinen rosa Bauch an den dicken Ast, der Kopf ruht auf seinen Armen, die Augen sind fest geschlossen. Erschöpft gibt er sich dem Schlaf hin. Seine Mimik und Schlafposition wirken sehr menschlich.

 

stars around this beautiful moon (4) 2023 © Rodrigi Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Eine orange behandschuhte Hand umschließt eine im Schlaf lächelnde Fledermaus. Ist die Berührung zärtlich und beschützend oder kraftvoll und gefährlich? Hernández zeigt nur einen Ausschnitt der Szene, die Umgebung und die Person bleiben im Verborgenen und der Vorstellung überlassen. Das Orange des Handschuhs leuchtet grell und wirkt kaum vertrauenswürdig. Will die Hand wärmen und umsorgen oder missbrauchen und verletzen?

 

bat dream, 2023 © Rodrigo Hernandez

substitute for love, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

In "Substitute for Love" bezieht sich Rodrigo Hernández auf die Harlow-Experimente der 1950er Jahre zur Erforschung der menschlichen Liebe und Zuneigung durch eine Reihe grausamer Affenversuche. Der Psychologe Harry Harlow trennte Baby-Makaken von ihren Eltern und bot ihnen verschiedene Attrappen als Mutterersatz an. Die Jungtiere suchten die Nähe einer weich gepolsterten "Mutter" und verließen diese nur zur Nahrungsaufnahme. Die früh isolierten Affen zeigten teils schwere Verhaltensstörungen und waren selbst nicht in der Lage, Nachwuchs zu versorgen.

Hernández‘ Ölgemälde ist eine direkte Referenz auf eines der während der Experimente aufgenommenen Fotos, auf dem ein kleiner verzweifelter Makake zu sehen ist, der die Stoffpuppe umarmt. Die Ergebnisse dieses zutiefst berührenden Experiments sagen viel über Mutterschaft, Liebe, und Bindung aus, noch mehr zeigen sie die fehlende Moral beim Missbrauchen von Tieren für die Wissenschaft.

 

Harlow-Experiment
Foto von hier

Draht- und Stoffmutter Surrogate
Foto Wikipedia

I would not think to touch the sky with two arms, 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto

 

Auf dem Boden ruht ein in Bronze gegossener hohler Affenkopf und an den umliegenden Wänden hängen die kleinen Ölgemälde der schlafenden Tiere. Die Skulptur trägt den Titel: "I would not think to touch the sky with two arms", eine Zeile, die von Sappho entlehnt ist. Die feinen Gesichtszüge sind sehr menschlich, weshalb die Assoziation zu Constantin Brancusis "Schlafende Muse" leichtfällt.

 

Installationsansicht, stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin, 202

Installationsansicht, stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin, 202

 

"Flux of Things (Human & Monkey)" ist eine große, handgehämmerte silberne Metallarbeit, die aus acht einzelnen Paneelen aufgebaut ist. Das Werk basiert auf einer einfachen Strichzeichnung und zeigt einen Affen, der sich an eine menschliche Figur schmiegt. Dieser seltene Moment der Verbundenheit zwischen zwei unterschiedlichen Spezies drückt Empathie, Gemeinsamkeit und Hoffnung aus.

 

Flux of Things (Human and Monkey), 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Majorie Brunet

Flux of Things (Human ] Monkey), Detail, 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Majorie

With what eyes no 6, 2023 © Rodrigo Hernandez

With what eyes no9, 2023 © Rodrigo Hernandez

Monkey's dream, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

Ein Affe umarmt eine Taube. Das, was uns unwahrscheinlich erscheint, dass eine zur schnellen Flucht fähige Taube sich umarmen lässt, hat Hernandez in Mexiko selbst beobachtet. Er hat diese kurze intime Berührung in einem gehämmerten Messingrelief festgehalten. Der Kontrast zwischen der Festigkeit des Messingblechs und der Zärtlichkeit des Moments, die auf ihm eingeschrieben ist, verleiht der Szene eine ganz besondere poetische und sensible Qualität. Die Arbeit ist Teil einer Installation aus zwölf Reliefs - "Nothing is Solid. Nothing can be held in my hand for long" - die ephemere Gesten der Zuneigung, Berührungen und Umarmungen darstellen.

 

Nothing Is Solid © Rodrigo Hernandez

 

Für uns Hundehalter scheint es evident, dass unsere Hunde träumen, wir brauchen keinen Beweis! Es gibt kaum etwas Spannenderes, als sie dabei zu beobachten: Zuckende Beine, Schwänze, die sich bewegen, grunzende Laute – wahrscheinlich werden zumeist Rehe und Hasen verfolgt! Auch wenn die Hunde in Wirklichkeit an der Leine waren und den Rehen nur nachschauten.

Die Menschheit allerdings wird niemals erfahren, was die schlafenden Hunde, Affen und Fledermäuse träumen, was in ihren Köpfen vorgeht. Die unbekannte Gedankenwelt ist vielleicht deren letztes Refugium.

Als Betrachtende sind wir aufgefordert den Werken von Rodrigo Hernández mit unserer subjektiven sinnlichen Erfahrung - mit Spüren, Fühlen, Wahrnehmen - gegenüberzutreten und sie nicht mit Rationalität zu betrachten.

Die gezeigten Arbeiten waren Teil seiner letzten Ausstellungen in der Galerie Chert Lüdde in Berlin und im CCA Wattis Institute in San Francisco. Seine Installationen - er fügt Wände und architektonische Elemente in den Ausstellungsraum - sollen dem Besuchen bewusst machen, wie er den Raum einnimmt, insofern sind seine räumlichen Konfigurationen Übungen in Perspektive und Wahrnehmung.

Rodrigo Hernández (*1983 in Mexico City/Mexiko) studierte an der Jan Van Eyck Akademie in Maastricht und an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe.

Quellen: Homepage Rodrigo Hernández, Galerie Chert Lüdde, Galerie Madragoa, Gallerytalk, Essay von Diego Villalobos

alle Bilder © Rodrigo Hernández

 

8. April 2024 - 10:01

o.T., 2023 © Mi Shenghao

 

Ich habe es schon wieder getan! Ich habe ein Bild gekauft! Dieses großartige, flauschige Pudel-Bildnis des chinesischen Künstlers Shenghao Mi.

Ich konnte nur wenig über den Künstler in Erfahrung bringen: Shenghao Mi wurde 1996 in Shanghai, China, geboren. 2016 hatte er die Möglichkeit ins Ausland zu gehen und entschied sich für Florenz in der italienischen Toskana. Nach einem dreijährigen Studium an der Akademie der Schönen Künste zog er nach Mailand, wo er seinen Master-Abschluss in Malerei machte.

Seine Motive sind vor allem Tiere (Eulen, Tiger, Leoparden, Hunde), aber auch Porträts, Kinderspielzeug, Action-Figuren und alles, was ihm im Internet auffällt und er in seinem Stil wiedergeben möchte.

Die Figuren sind ins Bild gezwängt oder angeschnitten. Auffällig ist eine Unschärfe, die zu unklaren Umrissen und zu unklarer Anatomie führt. Die dargestellten Motive wirken verformt, verfremdet und abstrahiert. Ihn interessiert es, das abstrakte Element in einem realistischen Werk zu finden und umgekehrt.

 

It’s very interesting to find the abstract element in a realstic work vice versa.
(zit. n. overstandard)

 

Für Shenghao Mi lassen scharfe und definierte Bilder keinen Raum für den intimen und forschenden Blick des Betrachters, da das Auge in der Perfektion gefangen ist. Die Unschärfe und der Verfremdungseffekt, bedingt durch die angestrebte Nicht-Perfektion, zwingt den Betrachter förmlich zu einer tieferen Auseinandersetzung mit den Figuren.

Wir leben in einer Welt der überwältigenden Menge an unterschiedlichsten visuellen Informationen, in einem Zeitalter der Hochauflösung. Beidem will der Künstler quasi gewollte "Low-Fidelity-Kunst" entgegensetzen, die durch niedrigere Wiedergabetreue besticht.

 

o.T., 2023 © Mi Shenghao

o.T., 2023 © Mi Shenghao

 

In der Ausstellung "Someone is in my House“ in der  Galerie Suburbia Contemporary in Barcelona präsentierte Shenghao Mi 2023 seine neuen spannungsvollen Gemälde. Der Titel ist eine direkte Anspielung auf eine Ausstellung von David Lynch im Bonnefantenmuseum in Maastricht. Ebenso wie die Werke des berühmten amerikanischen Regisseurs möchte er unsere Gefühle, Sinne, Leidenschaften in Aufruhr bringen.

Shenghao Mi verwendet stark verdünnte Acrylfarbe, die er mit dem Pinsel oder der Airbrush aufträgt. Dabei legt er viele Farbschichten in fragmentierten und weichen Pinselstrichen übereinander, bis ein für ihn zufriedenstellendes Ergebnis hinsichtlich der Textur erreicht ist.
 

Someone is in my House, Ausstellungsansicht, 2023

Someone is in my House, Ausstellungsansicht, 2023
 

Oben zwei Ausstellungsansichten aus der Galerie Suburbia Contemporary, das untere mit "meinem" Bild.

 

alle Bilder © Shenghao Mi

Malerei
18. März 2024 - 11:17

Tohuwabohu, 2022 © Henri Haake

 

Während Bruegels Hunde in "Die Jäger im Schnee" erschöpft von ihrer jagdlichen Arbeit heimkehren, springen Haakes Haustier-Hunde in "Tohuwabohu" lebhaft und wedelnd durch den Schnee. Aus dem Baumstamm wird ein Ständer mit Mistkübel. Die  Schwänze der Hunde sind so dynamisch wie in Ballas "Dinamismo di un cane al guinzaglio". Haakes moderne Übersetzung steht in Form und Inhalt zwischen Melancholie und dynamischer Darstellung.

 

Pieter Bruegel der Ältere, Die Jäger im Schnee (Detail), 1565

Giacomo Balla, Dynamism of a Dog on a Leash (Detail), 1912

 

Haakes Bilder fangen die kleinen, unbemerkten Begebenheiten des täglichen Lebens und des menschlichen und tierischen Verhaltens ein. Die verspielten, flüchtigen Versatzstücke der Realität werden aus unterschiedlichen, manchmal extremen Perspektiven heraus gesehen.

 

Ai Ai, 2017, Foto von Instagram © Henri Haake

 

Der Mensch als zentrales Element in seinen Werken wird bei der Ausübung einer alltäglichen Tätigkeit porträtiert. Doch statt ihn in den Mittelpunkt zu stellen, stellt Henri Haake ihn oft an den Rand der Leinwand und zeigt nur Teile des Körpers, wodurch es gelingt, den Blick des Rezipienten zu umgehen. Auch in "Ai, Ai" sehen wir nur die tätschelnde Hand, schleicht sich die menschliche Interaktion von den Rändern her ein. Wir wissen nicht, wer den Hund streichelt, auch der Ort des Geschehens bleibt unklar. Die Malerei ist tückisch: Die Kleidung ist ein netzartiges Gewebe, der Hintergrund scheint sichtbar durch, der Unterarm fehlt!

Henri Haakes Gemälde und Zeichnungen manifestieren ein einfaches, aber zutiefst undurchdringliches Konstrukt aus Form, Raum und Farbe - eine antagonistische Welt aus Imagination und Realität, haptischem Genuss und Freude am Menschlichen: eine Ode an die einfache Schönheit des Alltäglichen. (zit. n. Berlin Masters)

 

Mann mit Dackel, 2015, Foto von Instagram © Henri Haake

 

Sein Malprozess ist einer des Experimentierens, Zyklen von Produktion und Zerstörung, Scheitern und Übermalen wechseln einander ab. Bei näherer Betrachtung der Bildoberflächen zeigen sich unterschiedliche Farbschichten und alte Motive, die durchschimmern.

Der Künstler malt überwiegend in Öl, benutzt aber auch Sprühfarben. Die Kombination von malerischen und grafischen Elementen, ungewöhnlichen Raumanschnitten und geometrischen Mustern sind charakteristisch für die Kunst von Henri Haake, sie erzeugen Spannung und Dynamik. (vgl. André Lindhorst hier)

 

Schlemmerfilet, 2022, Foto von Instagram © Henri Haake

 

Gegenstände - Wurst- und Fleischstücke - bilden oft das Zentrum der Malerei. Erst auf den zweiten Blick sieht man die Hand des Menschen, wodurch die Szene als Situation an der Fleischtheke deutlich wird. Der Mensch ist auch als Gesicht auf der Wurst präsent. Dem Hund, der sich verbotenerweise im Geschäft befindet, läuft bereits das Wasser im Mund zusammen. In dieser Atelieransicht sehen sie auch die unterschiedlichen Bildgrößen der Arbeiten.

Unten: Der Künstler bei der Arbeit.

 

Die Hunde des Dachdeckermeisters Kallies, 2022, Foto von Instagram © Henri Haake

 

Henri Haake wurde (*1989 in Lübeck/D) studierte von 2010-2016 an der Universität der Künste Berlin und seit  2013 am Hunter College in New York City. 2016 schloss er mit dem Meisterschülerdiplom ab. Henri Haake lebt und arbeitet in Berlin. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Lebt und arbeitet in Berlin.

Quellen: Homepage des Künstlers, Instagram, Köppe Contemporary, Berlin Masters, Office Impart

alle Bilder © Henri Haake

 

Malerei, Zeichnung
11. März 2024 - 11:34

I believe I can fly, I believe I can touch the sky, tralalalalaaalal

 

A Dog's Dream, 2023 © Seth Becker

 

Tiere und Menschen, Landschaften und Interieurs bilden das Universum des New Yorker Malers Seth Becker. Er verfremdet vorhandene Bilder, schafft Bilder, die nur seiner Fantasie entsprungen sind oder malt Bilder, deren Grenze zwischen dem Realen und dem Imaginären fließend und durchlässig ist. Er malt Geschichten, indem er Fakten, Erinnerungen, Stimmungen und subjektive Wahrnehmung miteinander verwebt. In uns wecken seine Gemälde die Freude an der Begegnung mit dem Fremden, dem Alten und dem Unerklärlichen. Wie immer beschränkt sich meine Auswahl auf das Hundemotiv - Menschen, Hühner, Hasen, Frösche, Tiger, Pferde bleiben außen vor.

 

Tossed dog, 2022 © Seth Becker

Tightrope Walker, 2022 © Seth Becker

 

Seth Becker malt Gemälde von Hunden und Kojoten, die sich in schwierigen Situationen befinden, in denen sie gegen die Natur (Schwerkraft) antreten und Heldentum beweisen. Wenn Becker einen Hund malt, der auf einem Drahtseil klettert, wirkt das ein wenig seltsam. Wieso erscheint es uns dennoch nicht völlig unmöglich? Er hat zwei Drahtseile zur Verfügung und tastet sich sicher vor, balanciert sein Gleichgewicht aus. Hunde sind geschickt, das wissen wir. Vielleicht wartet ein Leckerli am Ende des Hochseilaktes. Aufgrund der einfachen Integrität des Bildes (ruhige, "ehrliche" Umgebung) und des Hundes (dem Mut, etwas zu tun, auch wenn es schwerfällt) setzen wir unseren Unglauben außer Kraft.

Der kleine Held unten klettert wohl auch gegen seine Natur an. Vielleicht hat er ein Eichkätzchen auf den Telefonmasten huschen gesehen - und plötzlich wird er sich der Höhe und seines Mutes bewusst!

 

A Dog Climbing A Telephone Pole Over The Hudson, 2023 © Seth Becker

A dog listening to a canary sing , 2022 © Seth Becker

 

Auch geheimnisvollen Elemente der Sprache und des Klangs tanzen in Beckers Gemälden umher. Wie sie an den verwortakelten (für Nicht-Wiener: krakeligen, aus der Form geratenen) Noten erkennen können, singt der Kanarienvogel aus voller Brust und jault der Hund aus voller Kehle - Baying The Blues!

 

Baying The Blues, 2023 © Seth Becker

A dog reading poems at a picnic table, 2023  © Seth Becker

 

In ihrer Bereitschaft, der Phantasie freien Lauf zu lassen, sind Beckers Werke ein leises Plädoyer für das Wunder und das Staunen. Hunde fliegen nicht nur wie Superhundehelden durch die Lüfte, sie lesen auch Bücher, ja Gedichte! Auf einem Picknicktisch! (Seth Becker arbeitet tagsüber als Bibliothekar. In den Abendstunden und bis in die Nacht hinein malt er in einem Atelier, das er auf dem Dachboden seines Hauses hat).

 

A blind dog hears a wasp nest, 2022 © Seth Becker

Coyote stalking a turkey, 2022 © Seth Becker

 

Becker sammelt alte Bilder, Fotos und Postkarten aus der Zeit vor 1940, vor allem von so genannten "Real Photo Postcards", die Schnappschüsse auf Postkartenpapier reproduzieren. Dabei ist er auf der Suche nach dem seltsamen Bild, das in seine Malerei einfließen und die Basis für seine Komposition bilden kann.

Oft arbeitet er auf älteren Gemälden, verwendet farbige Untergründe und setzt sein Ausgangsmaterial in einer rätselhaften, vielschichtigen Weise zusammen. Vergangenheit und Gegenwart, Fakten und Fiktion gehen derart eine Verbindung ein. Jedes dieser kleinen gegenständlichen Ölgemälde besticht durch Sensibilität, Eleganz und formale Sicherheit.

Einige Gemälde sind dick mit Impasto, andere mit einem Spachtel gemalt, und wieder andere weisen eine Textur auf, die von der Verwendung eines lockeren Pinselstrichs, einer intensiven Pinselführung herrührt. Man spürt in seinem Werk die unendlichen Möglichkeiten, die dem Schwung eines Pinsels entspringen und die Vielfalt seines (neo)expressionistischen Darstellungspotenzials.

Abstrahieren sie Kojoten und Truthahn - und sie sehen ein informelles Bild, ein Bild des abstrakten Expressionismus (noch deutlicher beim Hintergrund der "Two Black Dogs" weiter unten).

Unten sind wir eher beim späten Monet in dessen japanischen Garten! Niemals verlässt Seth Becker das figurative Paradigma zugunsten einer gänzlichen Abstraktion.

 

A Dog on the Frozen Bank of Lake Erie, 2023 © Seth Becker

Sleeping dog with blood trail, 2022 © Seth Becker

 

Beckers Gemälde sind hochgradig durchdachte Farb- und Farbtonkompositionen. Schauen Sie nur beim schlafenden Hund wie der Schnee zart rosa, violett und rotbraun schimmert. Oder die monochrome aufgetragene Farbe beim Hund im seichten Wasser, hier scheint der Künstler das Impasto sogar mit einer Spachtel oder einem Messer erzeugt zu haben.

 

Dog wading in shallow water, 2022 © Seth Becker

Hunter In The Fog, 2022 © Seth Becker

 

Kein Nebel versteckt die Schmach des Hundes, er hat die Ente nicht gefunden! Sieht er nicht aus, als ließe er schuldbewusst den Kopf und Ohren hängen? Gebückt, gedrückt, von Melancholie durchdrungen?

 

Hound with parting clouds, 2022 © Seth Becker

 

Die Wolken verziehen sich, der Schrecken bleibt!

 

Harlequin, 2022 © Seth Becker

Two black dogs (Zeke and Molly), 2021 © Seth Becker

 

Seth Beckers kleine Gemälde basieren nicht nur auf Fotos und Reproduktionen, sondern auch auf direkter Beobachtung seiner Wohnumgebung (Wappinger's Falls, einer Stadt im Bundesstaat New York) und Autobiografischem (Spaziergänge mit seinem Hund).

Noch vor einigen Jahren war sein angeleinter Hund Toby ein wiederkehrendes Motiv des Künstlers. Obwohl sich seine Malerei im Laufe der Jahre verändert hat - er wurde literarischer, erzählerischer, sanfter - blieb sein Bewusstsein für die Materialität der Farbe und ihre unterschiedlichen Reaktionen auf den Bildträger konstant. Besonders bei diesen "alten" Bildern seines Hundes sind großflächige, aufgeraute Untermalungen zu sehen.

 

Two Dogs walking, 2019 © Seth Becker

Lavender shadows, 2021 © Seth Becker

Toby barking at his shadow, 2020 © Seth Becker

Walking the dog in the suburbs, 2021 © Seth Becker

 

Man kann immer wieder Verbindungen zwischen seinen Werken bezüglich Stil, kunstgeschichtlicher Inspiration und Thema finden, Seth Becker möchte sie vor allem als autonome Bilder verstanden wissen:

 

“I love the idea of people seeing my paintings in a book, I want people to see each work one at a time and to be in the world that exists in each one.” (zit. n. artnet)

 

Und schließt man das Buch, bilden die vielen Welten doch wieder einen Becker'schen Kosmos!

 

Portrait of Seth Becker. Courtesy the artist and Venus Over Manhattan, New York

 

Seth Becker (*1987 in Queens/New York/USA) lebt und arbeitet in Wappingers Falls, NY. Er erwarb seinen BA am Marymount Manhattan College, seinen MFA an der New York Studio School of Drawing, Painting and Sculpture und seinen MLS am Queens College, CUNY, Flushing, NY.

Sollten Sie sich vor dem 9. März 2024 zufällig in New York aufhalten, können Sie Seth Beckers Einzelausstellung "A Boy‘s Head" in der Galerie Venus Over Manhattan besuchen. Ich jedenfalls, würde mir das nicht entgehen lassen!

Quellen: Instagram, Two Coats Of Paint, Artnet, Venus Over Manhattan, Pamela Salesbury Gallery

alle Bilder © Seth Becker

 

Ausstellung, Malerei
4. März 2024 - 11:24

Bevor ich einen Blogtext schreibe, versuche ich zumeist die Bilder zu ordnen. Doch obwohl in Zohar Fraimans Serie "Die Bösen dürfen nicht weinen" überall ein oder mehrere Wölfe oder Mischwesen von Wolf und Frau vorkommen und die Bilder sehr narrativen Charakter besitzen, erzählen sie keine chronologische Geschichte, folgen keiner logischen oder zwingenden Anordnung. Die Gemälde kreisen lediglich um Erwachsenwerden, Besessenheit und Sexualität.

Die Künstlerin kombiniert Wölfe, Mädchen, Bräute, in verschiedenen Kulissen, kargen und trostlosen Landschaften und Zusammenhängen. Sie sind Elemente einer Geschichte, die Kontinuität - aber nicht Linearität - erzeugen. Charaktere erscheinen oder verschwinden, je nachdem, welche Rolle sie in der nicht erzählten Geschichte spielen, eine Figur kann sich verändern, verwandeln, mutieren oder sich an eine neue Umgebung anpassen. Jedes Bild ist Teil einer größeren Serie, die assoziativ entsteht, die Erzählung selbst bleibt obskur und fragmentarisch.

Meistens treten die Wölfe als Mischwesen auf: Als junge Wolfsschulmädchen in Uniform, die noch ganz flauschiges Wolfsfell besitzen ("Virgins", 2016), als erwachsene Wolfsfrauen mit gut sichtbaren Reißzähnen ("Virgins II", 2017) oder als Gruppe von Wolfsfrauen um eine Wolfsbraut. Das Brautbild trägt den Titel: "Smells Like Kathleen Spirit", 2017. Handelt es sich dabei nur um eine Verballhornung von Nirvanas stilbildenden Song "Smells Like Teen Spirit"? Oder verweist Kathleen (also Katherina) noch auf etwas anderes? Ich habe bei Rembrandt eine heilige Katherina ("die kleine jüdische Braut") gefunden, vielleicht war sie Namenspatin.

Die junge Braut ist eine willensstarke Wolfshybridin, die die Kontrolle über die Welt übernimmt, zumindest die Kontrolle über die Männerwelt. Könnte das Skelett ein getöteter Wolfshybrid sein? Zohar Fraiman zeigt uns ein Spiel von Dominanz und Unterwerfung, bei dem die Figuren von einem Bild zum nächsten ihre sozialen und sexuellen Rollen wechseln. Es ist dieser ständige Rollenwechsel, der jede symbolische Interpretation in Zohar Fraimans Werk verhindert.

 

Virgins, 2016 © Zohar Fraiman

Virgins II, 2017 © Zohar Fraiman

Smells Like Kathleen Spirit, 2017 © Zohar Fraiman

Rembrandt, Die heilige Katharina (die kleine jüdische Braut), o.J.© Herzog An

Maria Johanna, 2017 © Zohar Faiman

 

Etwa 2013 begann Zohar Fraiman mit einer Serie von Gemälden, die unter weißem Tuch verborgene Figuren zeigen. Sie beziehen sich auf einen rituellen Gegenstand im Judentum, den Tallit, einen Gebetsschal, den die Männer tragen.

 

I want you to want me, 2017 © Zohar Faiman

 

Der Wolf steht In den Gemälden nicht für sich, sondern etwas anderes, z.B. symbolisiert er verbotene Sehnsüchte und unerfüllte Leidenschaften oder steht stellvertretend für die Legendengestalt Dibbuk des jüdischen Volksglaubens. Ein Dibbuk ist ein bösartiger Geist, die ruhelose Seele eines Verstorbenen. Er/Sie kann von einem Menschen Besitz ergreifen, durch ihn sprechen, handeln oder ihn eine andere krankhafte Persönlichkeit annehmen lassen.

 

Kissing at the Golden Gate, 2016 © Zohar Faiman

Mr. Magic, 2016 © Zohar Faiman

Dimmed Bananas Only Cost 13€ © Zohar Faiman

 

Ihre filigran und zart gemalten Ölgemälde erzählen sehr konkrete und teils irritierende Geschichten, die die Themen Besessenheit und Tabu verhandeln. Der filigrane Malstil steht im Gegensatz zu den irritierenden Themen, wobei die klassische Ästhetik ihrer Bilder das Betrachten der expliziten Szenen erleichtert. Die Figuren sind in kargen Landschaften inszeniert, doch Figur und Landschaft finden nicht zueinander, letztere ist nur Kulisse für die rätselhafte Erzählung.

Zohar Fraiman malt nicht nur auf Leinwand, sondern auch auf selbstgezimmerten Holzkästen/Altären. Damit erweitert sie die Rezeptionsmöglichkeiten um einen partizipativen Moment. Der Betrachtende muss aktiv werden, um das Verborgene freizulegen.

So verbirgt sich beispielsweise in dem Gemälde "Aber die Dunkelheit hält alles an sich" (2016) hinter einer sternenklaren Nacht ein Wolf, der eine Banane isst, während auf der Außenseite von "Tree of Life" (2017) ein Wolf in Richtung eines Baumes läuft. Die Innenseite zeigt uns, dass er eine Banane vom Baum gepflückt hat, mit der er zu einer Frau läuft, die sich selbst befriedigt.

Hier bemerkt man nichts mehr von der geheimnisvollen Welt der Teufel, Bräute und verschleierten Figuren. Nichts ist mehr verborgen. Die Frau hat ihr Leben und ihr Vergnügen selbst in die Hand genommen. Die Entfaltung und Selbstbestimmtheit sind geglückt.

Aber die Dunkelheit hält alles an sich, 2016 © Zohar Faiman

Tree of Life, 2017 © Zohar Faiman

Things Are About To Get Splendid, 2015 © Zohar Faiman Sweetest Taboo, 2017 © Zohar Faiman

 

Von verträumt und subtil bis hin zu sinister und obskur und provokant reichen die Welten, die Zohar Fraiman kreiert und die zwischen Traum, Wahn und Realität changieren. Dass sie auch in der Welt des Humors zuhause ist, zeigt "Rich Plate", das sie bei der Ausstellung "Vanitas Fair" gezeigt hat.

 

Rich Plate, 2017 © Zohar Faiman

 

Während sich Zohar Fraiman in den gezeigten Werken auf weibliche Aspekte von religiösen und sozialen Zeremonien konzentriert und ambivalente künstlerischen Positionen zu Religion, Tradition und Tabu verhandelt, untersucht sie in ihrem gegenwärtiges Werk in ihren collageartigen Gemälden den Einfluss der Digitalisierung auf gängige Geschlechterstereotypen.

Zohar Fraiman (*1987 in Jerusalem/Israel) wuchs in einer religiösen Familie in der Gemeinde Hachmonaiim auf. Sie begann ihr Studium der Malerei 2003 an der School of the Museum of Fine Arts in Boston, Massachusetts, USA. Von 2005 bis 2009 besuchte sie die Meisterklasse der privaten Jerusalem Studio School in Israel. Ab 2011 studierte sie an der Universität der Künste Berlin, wo sie von 2013 bis 2015 als Meisterschülerin bei Burkhard Held ihr Studium abschloss.  Zohar Fraiman lebt und arbeitet in Berlin, Deutschland. Sie stellt regelmäßig in Gruppen- und Einzelausstellungen international aus.

 

We Can See Your Pocket Knife, 2016 © Zohar Faiman

 

Quellen: Galerie Russi Klenner Berlin, Galerie Priska Pasquer Köln, Lachenmann Art

alle Bilder © Zohar Fraiman

 

Malerei
21. Februar 2024 - 11:18

Honor Titus, Tom Hanks at Lassens, 2019 © Honor Titus

 

Das Bild des Hundes im Auto fand ich mit seiner auffälligen Komposition so interessant, dass ich es Ihnen zeigen wollte. Leider habe ich nur ein weiters Bild dieses aufstrebenden Künstlers mit Hundebegleitung gefunden. Trotzdem ein kleiner Blogeintrag:

Der amerikanische Künstler Honor Titus wuchs als Sohn von Andres "Dres" Vargas Titus auf, einem Mitglied der bahnbrechenden Rap-Gruppe Black Sheep. Ich selbst habe um 1990 Hip-Hop-Platten gesammelt und besitze sogar deren erstes Album "A Wolf in Sheep's Clothing". Gestern habe ich es seit ungefähr 30 Jahren zum ersten Mal wieder gespielt.

Auch Honor Titus hat seine künstlerische Karriere als Musiker, als Mitglied der Punkband Cerebral Ballzy, begonnen und sich erst in den letzten Jahren seiner ruhigen, fast meditativen Malerei zugewandt. Er kam 2016 zur Malerei, nachdem er Raymond Pettibon in New York kennengelernt, sich mit ihm angefreundet und ihm assistiert hatte. Dann zog er nach Los Angeles und hatte bereits 2020 - ohne formale Ausbildung - seine erste Einzelausstellung in den ehemaligen Chinatown-Studios des Künstlers Henry Taylor.

 

Honor Titus, Tom Hanks at Lassens, Detail, 2019 © Honor Titus

 

Titus zeigt seine eleganten und anmutigen Personen bei Freizeitaktivitäten (Tanzen, Tennisspielen), beim Chillen und in fragmentierte Straßenszenen, die eine Reihe von Einflüssen widerspiegeln, darunter die visuelle Sprache der Jazzmusik, der Literatur und der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts.

Seine Genrebilder wirken oft aus der Zeit gefallen oder verweisen mit ihren Accessoires auf die Vergangenheit. Seine Arbeit spielt mit Traditionen und erinnert an die raffinierten Porträts amerikanischer Vorgänger wie Alex Katz, die sich mit der Ästhetik der Werbung und des modernen Stadtlebens auseinandersetzten.

Es gibt aber auch ein Gefühl des Verlustes in den Werken, eine Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die nicht mehr existiert. Seine von einem Gefühl der Nostalgie durchdrungene Figuren in minimalistischen Stadtlandschaften spiegeln auch Isolation und Einsamkeit wider, das sich aus der Anonymität des städtischen Umfelds ergibt.

Daneben spielt auch die Klassenzugehörigkeit in Titus' Kunst eine wichtige Rolle. Seine People of Color gehören der Oberschicht an und fordern die Betrachtenden heraus, deren Auslöschung aus den Erzählungen der Elitekultur zu überdenken.

Honor Titus sagt über sein Werk: “I see my paintings as an oasis and as a place transcendent of ideas of race and stigma. I want to depict an all-inclusive romance for life” (zit.n. Vogue). "Ich sehe meine Bilder als eine Oase und als einen Ort, der die Vorstellungen von Rasse und Stigmatisierung überwindet. Ich möchte eine allumfassende Romanze für das Leben darstellen“ (übersetzt mit DeepL).

 

Honor Titus, Chevalier, 2021 © Honor Titus

 

Titus' Gemälde stellen seine Figuren vor halb abstrahierte, mit Farbblöcken versehene Kompositionen, die sie als Mittelpunkt ihrer eigenen privaten Welten positionieren. Zusätzlich ist der Einsatz von stilisierten Mustern und dekorativen Elementen ein Merkmal seiner Malerei. Dazu gibt die Homepage der Galerie Timothy Taylor einen guten Einblick.

Im Bild "Chevalier" zeigt sich, welch zentrale Rolle Kleidung und Accessoires einer vergangenen Ära für ihn spielen, seine Figuren haben alle einen ausgeprägten Sinn für Stil. Gleichzeitig wird deutlich, wie er das traditionelle Verhältnis zwischen Vorder-, Mittel- und Hintergrund und die Gesetze der Perspektive verlässt.

 

Honor Titus, Foto Gia Coppola
Honor Titus, Foto Gia Coppola

 

Honor Titus (*1989, Brooklyn, NY/USA) lebt und arbeitet in Los Angeles.

Quelle: Galerie Timothy Taylor

alle Bilder © Honor Titus

 

Malerei