Oben sehen sie Lisa Korpos' Entwurfszeichnung zu einer speziell für Hunde angefertigten olfaktorischen Skulptur. Die pyramidenförmigen Körper besitzen röhrenartige Öffnungen, beides in den für Hunde sichtbaren Farben blau und gelb. Das Innere der Objekte kann nicht eingesehen, aber erschnüffelt werden. Steckt ein Hund seine Spürnase in die Öffnung, entfalten sich für ihn verschiedene Gerüche, die von Federn, Gräsern, Moos, Kräutern, Schafwolle, Knochen oder Leckerlis stammen. Auf die für sie passende, artgerechte Weise können die Hunde die Skulpturen erkunden. Das Kunstwerk mit seinen olfaktorischen Reizen avanciert somit zugleich zum Hundespiel- und -übungsplatz.
Zu sehen und erfahren war die Skulptur 2023 in der Kunsthalle Darmstadt, die mit der Ausstellung "Animalia. Streifzüge von Los Angeles bis Mumbai" einen neuen Zugang zur Mensch-Tier- Beziehung in der Kunst ausprobierte.
Olfaktorischen Versuchsanordnungen gibt es auch beim Hundetraining und Hundespiel, um die Tiere nicht nur wie üblich physisch durch Bewegung, sondern auch kognitiv zu fordern und auszulasten. Insofern war mein erster Impuls Lisa Korpos' Skulptur unter einem künstlerischen Aspekt gering zu schätzen. Allerdings hat meine nähere Recherche gezeigt, dass die Einfachheit den Ansatz der Künstlerin widerspiegelt: Die Verspieltheit ihrer Kunstprojekte soll als Einstieg in produktive Dialoge über wichtige gesellschaftliche Themen wie Nachhaltigkeit, ökologische Interdependenz, Ethik und Biopolitik dienen. Mit ihrer partizipativen und sozial engagierten Kunst möchte sie dazu beitragen, Mitgefühl und Fürsorge für alle lebenden, empfindungsfähigen Wesen zu stärken und Achtsamkeit gegenüber uns umgebende Ökosysteme zu erhöhen.
Sie spricht sich auch dezidiert gegen einen produktorientierten Perfektionismus und für eine Konzentration auf den künstlerischen Prozess aus:
"Ja, ich habe meinen Perfektionismus losgelassen! Oft betrachten wir das künstlerische Schaffen als eine Möglichkeit, uns selbst zu beweisen oder unsere Kompetenz, unseren Wert oder unsere Würde zu demonstrieren. Diese Sichtweise wird als Leistungsdenken bezeichnet, und sie ist nicht sehr gesund, weil sie sich so sehr auf die Belohnung und nicht auf den Prozess konzentriert. Wenn man eine wachstumsorientierte Einstellung hat, lernt man, sich am Prozess des Übens zu erfreuen und nicht am Endergebnis. Man lernt, die kleinen Entdeckungen auf dem Weg zu schätzen, produktiv zu scheitern und offen für neue Möglichkeiten zu bleiben." (Lisa Korpos zit. n. Saturday Academy)
Lisa Korpos ist eine interdisziplinäre Künstlerin, in deren Arbeit es um die Erforschung der nichtmenschlichen Wahrnehmung und Kognition geht und um die Gemeinsamkeiten, die die unterschiedlichen Spezies miteinander verbinden: körperliche Verletzlichkeit, ursprüngliche Emotionen und Kommunikationsstrategien.
Ihre forschungsbasierte Kunstpraxis ist in den kognitiven und ökologischen Wissenschaften verwurzelt und ihre Projekte nehmen die Form von interaktiven Installationen, multisensorischen Skulpturen, Videos, kreativem Schreiben und Zeichnungen an. Die Zusammenarbeit mit menschlichen und nicht-menschlichen Körpern ist ein integraler Bestandteil ihres Prozesses, wobei so unterschiedliche Lebewesen wie Bienen, Hunde, Laborratten, Forscher und Große Tümmler als Subjekte, Mitgestalter und Teilnehmer ihrer Arbeit fungieren.
Ihre Inspiration findet sie in Interaktionen mit ihren Haustieren, mit wilden Tieren oder mit Wissenschaftlern, deren Forschung für sie prägend oder in irgendeiner Weise katalysierend war. Dafür liest sie Forschungspapiere, kommt mit den Forschern ins Gespräch, verbringt Zeit im Labor und "schürft" ihr Wissen für künstlerische Umsetzungen.
Zu ihren bisherigen Projekten gehören eine radikale Tierarztpraxis für Bestäuber, eine erkundbare Landschaft, die für die sensorischen Systeme von Hausratten konzipiert wurde, und ein Sprachübersetzer von Englisch in die Sprache der Präriehunde. Auf ihrer Hompage hat die Künstlerin diese Projekte ausführlich fotografisch und mit Texten dokumentiert, ein Besuch lohnt sich allemal!
Ihre Kunstpraxis, das künstlerische Vermitteln von Wissenschaft, entwickelte sie während ihres Studiums an der Univercity of California San Diego, wo sie sowohl Studio Art als auch kognitive Neurowissenschaften studierte. Nach ihrem Bachelor-Abschluss erwarb sie auch ihren Master of Fine Arts am Department of Visual Arts der UCSD, mit dem Schwerpunkt Speculative Design.
Im September 2024 wird Lisa Korpos an der Gruppenausstellung "Start Sniffing" im Wiener WUK teinehmen. Kuratiert wird die Schau von Lena Lieselotte Schuster, die ich bereits 2013 in diesem Blog vorgestellt habe.
alle Bilder © Lisa Korpos