Februar 2023

27. Februar 2023 - 11:47

"Wer sich auf die Bilder von Levke Leiß einlässt, beginnt einen inneren Monolog, an dessen Ende er stets klüger ist als vorher", lese ich auf artnow.

Levke Leiß präsentiert in ihren Arbeiten auf den ersten Blick unspektakuläre Situationen, die mit kleinen inhaltlichen Eingriffen surrealistisch reflektiert werden. Sie fügt Menschen, Landschaften, Objekte und Tiere zu Bildwelten zusammen, denen eine Störung innewohnt. Erwartungen werden nicht eingelöst, da die Wirklichkeit, die sie darstellt, surreal aufgebrochen wird. Die BetrachterInnen sind aufgefordert, diese Bruchstellen zu suchen und zu hinterfragen.

 

Eden, 2020 © Levke Leiß

 

Ich begebe mich also auf die Suche und sehe mir Levke Leiß‘ Buntstiftzeichnung "Eden" näher an: Ich erkenne eine Wüstenlandschaft mit charakteristischen Erhöhungen. Es ist nicht schwierig, die Landschaft als das Monument Valley mit seinen gewaltigen Felsen - roten vereinzelt aufragenden Tafel- und Restbergen - von einer leeren Wüste umgeben, zu identifizieren. Es ist ein für die Navajo Nation heiliger Ort und befindet sich im nördlichen Teil des großen Reservats in der Four Corners Area, wo vier Bundesstaaten - Utah, Colorado, Arizona und New Mexico - aufeinandertreffen.

Im Vordergrund auf einem Plateau steht ein Mops, der stirnrunzelnd nach oben blickt: die erste Irritation. Würden wir nicht eher einen Coyoten in dieser kargen Umgebung, in dieser Urlandschaft, in dieser präzivilisierten Welt, in diesem "Eden" vermuten? Gibt es einen größeren Gegensatz zur Natur ohne menschliche Eingriffe als den hochgezüchteten Mops?

Die zweite Irritation: Der Mops erblickt einen Pfeil, der ihn zu treffen droht. Ein genauerer Blick zeigt, er würde kurz vor seinen Zehen in den Boden eindringen. Doch woher kommt der Pfeil, da wir doch keinen Schützen sehen? Aus dem Nichts, den unendlichen Weiten?

Die Zeichnung gibt es auch als Offsetedition nach Buntstiftzeichnung, dann allerdings unter dem Titel "Mopswestern". Hätte dieser Titel andere Assoziationen ausgelöst?

Die unendliche Weite und Tiefe wird durch das Weiß des Papiers erzeugt, das für Levke Leiß eine wichtige Rolle spielt. (vgl. Levke Leiß)

 

Stifte © Dearwork
Foto © Dearwork

 

Die hyperrealistischen, perfekt ausgeführten Zeichnungen entstehen mit Buntstift auf Papier. Dabei nutzt die Künstlerin die verschiedenen Farbstrukturen der Buntstifte, deren teils milchige, teils diaphane Qualitäten und entwickelt eine Technik, die die klassisch altmeisterliche Lasurmalerei in die Buntstiftzeichnung übersetzt. Präzision, Klarheit, Detailschärfe, aber auch Samtigkeit entstehen durch das zeitaufwändige Übereinanderlagern vieler Bunststiftschichten.

Beim Aufbau ihrer Bilder "spielen Gesetze eine große Rolle: Komposition, Gleichgewicht, Spannung, goldener Schnitt, Verhältnis von Hell- und Dunkel, Kontrast, Formfolge. Diese Aufgaben laufen alle parallel mit dem Ziel ein geschlossenes Konstrukt zu ergeben. Auf der kompositorischen Ebene ist es eine mathematische Aufgabe, insbesondere das Verhältnis von Strukturen und Oberflächen". (vgl. Interview auf Dearwork)

Levke Leiß (*1982 in Flensburg/D) studierte von 2002 bis 2007 Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Sie erhielt ein Erasmusstipendium an der Académie Royale des Beaux-Arts de Bruxelles und ein Stipendium der Uhrenmanufaktur NOMOS in Glashütte/ Sachsen und gründete noch während des Studiums mit Karla Helene Hecker eine Werkstatt für ihre gemeinsame Malerei - Lecker & Heiss, ein Projekt, das bis heute fortgeführt wird. Nach dem Diplom schloss sie von 2007 bis 2010 ein Meisterschülerstudium an. Sowohl ihre Buntstiftzeichnungen als auch die gemeinsamen Bilder mit Karla Helene Hecker waren bereits in zahlreichen Ausstellungen in Berlin, Dresden, Chemnitz, Potsdam, Karlsruhe und Miami vertreten. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin.

Homepage der Künstlerin: hier und hier

"Eden" © Levke Leiß

 

Zeichnung
16. Februar 2023 - 14:20

Bella © Ursula van de Bunte

 

Dieser Blick! Diese Augen! Die Schnauze! Haben sie schon jemals ein menschlicheres Hundeporträt gesehen? Ich muss mich richtig zwingen, es als Hund zu sehen - viel zu sehr erinnert es mich an eine alte Frau. Eine alte Frau, wie sie vielleicht die österreichischen Realisten wie Waldmüller oder Amerling zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Bildnis ihrer Mutter gemalt hätten.

 

Bella, Auschnitt © Ursula van de Bunte

 

Die Hundeporträts der niederländischen Fotografin Ursula van de Bunte haben etwas zutiefst Menschliches. Dabei ist sie keine Hundeliebhaberin, aber vielleicht ist ihr Blick auf die Hunde deshalb klarer und unverstellter.

 

Bella, Auschnitt © Ursula van de Bunte

Bella, Auschnitt © Ursula van de Bunte

 

Dressed up!

 

Sepp © Ursula van de Bunte

Sepp © Ursula van de Bunte

 

Obwohl ich keine Befürworterin kostümierter bzw. bekleideter Hunde bin, muss ich zugeben, dass die Outfits vorzüglich mit den Charakteren harmonieren. "Ich habe mir vor allem den Hund selbst angeschaut und versucht zu spüren, was zu ihm passt", erklärt Ursula van de Bunte hier. Ihr Blick auf die Hunde ist durch Sensibilität gekennzeichnet, trotzdem lassen die Aufnahmen nichts an Klarheit und Perfektion vermissen.

 

Morning Moby © Ursula van de Bunte

Sammy © Ursula van de Bunte

 

Die Fotografin besitzt ein exquisites Farbgefühl! Ihre Fotografien wirken zumeist nicht durch einen dramatischen Hell-Dunkel-Kontrast, sondern durch subtile Farbunterschiede. Sie sind gleichmäßig ausgeleuchtet und schlicht in der Komposition.

 

Bodhi © Ursula van de Bunte

Koosje © Ursula van de Bunte

 

Welcher Sessel passt zu welchem Hund? Auch hier beweist Ursula von de Bunte hohes Feingefühl.

 

Bandit © Ursula van de Bunte

Puppy © Ursula van de Bunte

 

Die Fotografin Ursula van de Bunte ist selbst keine Hundeliebhaberin, aber sie schaut jeden Tag auf einen Park, wo die Menschen mit ihren Hunden spazieren gehen. Und was sie dort sah, machte sie neugierig: Sie begann, das Verhalten der Hunde und ihrer Besitzer von ihrem Fenster aus zu beobachten.

Nach sechs Monaten der Beobachtung weiß sie, welche Menschen sie interessant genug findet, um mit ihnen zu sprechen und welche Hunde sie fotografieren möchte. Sie lud die HundehalterInnen in ihr Studio ein und alle stimmten zu, da sie ihre Hunde auf Film verewigt sehen wollten. Die Fotoserie "Das Hundekabinett" entstand.

 

"Mit Erstaunen hörte ich mir die Geschichten der Besitzer an. Ich selbst kannte die tiefe Verbindung zwischen Hund und Mensch nicht. Manchmal ist eine solche Bindung sogar stärker als die zu Familienmitgliedern oder zu Frau und Kindern. Hunde, die durch Scheidungen auf und ab gehen, verstorbene Hunde, die zur Diskussion stehen. Die Leute saßen weinend an meinem Tisch."  (übersetzt mit DeepL, zit. n. Linda)

 

Ursulas Blick auf Hunde hat sich durch ihre Arbeit verändert.

 

"Es gibt Menschen, die so allein und einsam sind. Wenn Ihr Hund dann stirbt, ist das furchtbar. Man verliert nicht nur seinen Kumpel, sondern auch seinen Rhythmus. Hier an der Ecke wohnt eine Familie mit ihrem Hund Bob, und wenn ich jetzt aus dem Fenster schaue, sehe ich sie nicht mehr spazieren gehen. Sogar ich vermisse Bob, jetzt, wo er nicht mehr da ist." (übersetzt mit DeepL, zit. n. Linda)

 

Urs © Ursula van de Bunte

 

Die Art und Weise, wie sie bei "Koosje und Madison" das Licht einsetzt, erinnert an das Chiaroscuro der Gemälde von Rembrandt und Caravaggio. Durch den Hell-Dunkel-Kontrast wirkt das Pärchen plastischer und theatralischer, die Zärtlichkeit der Umarmung gewinnt visuell an emotionaler Tiefe.

 

Koosje und Madison © Ursula van de Bunte

 

Ursula van den Bunten (*1969) studierte Fotodesign an der Fotoakademie in Apeldoorn. Eine ganze Karriere als Fotografin verging, bevor sie begann, an eigenen konzeptuellen künstlerischen Serien zu arbeiten, anstatt nur Bilder für Privatpersonen und kommerzielle Produktfotografie für Geschäftskunden aufzunehmen. Sie ist nicht nur Fotografin, sondern auch Dozentin für Fotografie und Bildredakteurin. Ursula van de Bunte lebt und arbeitet in Kempten/Niederlanden.

Facebook, Instagram, Fotografie-Instagram

alle Fotos © Ursula van de Bunte

 

Fotografie
1. Februar 2023 - 11:33

Poodle II, 2019, Drawing on primed linen © Jonathan Delafield Cook

Poodle, 2019, Drawing on primed linen © Jonathan Delafield Cook

 

Haben Sie im ersten Moment daran gedacht, fotografische Arbeiten zu sehen?

Es sind aber Kohlezeichnungen des britischen Künstlers Jonathan Delafield Cook! Der irrtümliche Eindruck liegt nicht nur daran, dass seine hyperrealistischen und detailgenauen Zeichnungen eine fotografische Qualität haben, sondern auch daran, dass der Künstler jeden Hund (Barsoi, Windhund, Pudel etc.) als isolierten Typus im Profil vor einem weißen Hintergrund darstellt. Das lässt uns an die Sachlichkeit von Labors oder die die künstliche Neutralität des Fotostudios denken.

 

Dog © Jonathan Delafield Cook

 

Delafield Cook lässt sich von der Natur und zahlreichen Besuchen in naturwissenschaftlichen Museen inspirieren. Seine Werke geben die komplexe Schönheit der belebten (Tiere und Pflanzen) und unbelebten (Muscheln, Vogelnester) Welt wieder.

 

Dog © Jonathan Delafield Cook

 

Seine Musemsbesuche drücken auch ein starkes Interesse an den Bereichen, in denen sich Kunst und Wissenschaft überschneiden, aus. Delafield Cooks akribischen Zeichnungen stehen an der Schwelle zur wissenschaftlichen Forschung: Es gibt direkte Bezüge zu einer langen Tradition von Strenge und genauer Beobachtung bei der Klassifizierung und taxonomischen Illustration, aber letztendlich geht es Cook darum, Kunstwerke aufgrund ihres grafischen, texturalen oder tonalen Potenzials zu schaffen.

 

Dog © Jonathan Delafield Cook

 

Durch die Manipulation des Maßstabs (riesengroße Mohnblüten, lebensgroße Hunde) erscheinen die Arbeiten zeitgenössisch modern. Außerdem basieren sie auf subjektiven Eindrücken des Künstlers, die aus wiederholter Beobachtung und erworbenem Wissen resultieren, anstatt eine Transkription eines einzigen fotografischen Moments zu sein. (vgl. Ian Warrell)

Über die Bedeutung der Fotografie als Vorlage im Arbeitsprozess, seine individuelle Technik der bescheidenen Holzkohle Sinnlichkeit abzutrotzen und die Zeichnung aus der Schwärze heraus anlegen, können Sie hier Genaueres lesen.

 

Dog © Jonathan Delafield Cook

 

Sehr einfühlsam beschreibt Léon Mychkine die Kunst Delafield Cooks. Es ist eine Kunst der Stille, die Zeichnungen entfalteten sich in der Stille. Und das nicht "nur", weil er mimetische Porträts von Blumen oder Tieren anbietet, sondern weil es ihm gelingt, ein ziemlich verstörendes Verhältnis zwischen Mimesis und Verschiebung herzustellen. Nicht weil Delafield Cook einen Pudel fast perfekt imitiert, ist es große Kunst. Es ist eine "Beinahe-Perfektion", weil wir sehen können, dass es sich um eine Zeichnung handelt, und zwar genau deshalb, weil es eine Verschiebung zwischen dem, was wir sehen, und dem, was wir denken, gibt. Mehr zu Mychkines philosophischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen auf art-icle.

Die wunderschönen Zeichnungen des Künstlers sind nicht nur akribisch detailliert und quälend präzise, ihnen ist auch eine außergewöhnliche Sanftheit eingeschrieben.

Jonathan Delafield Cook (1965 in*London) absolvierte eine Ausbildung zum Architekturzeichner in Japan, wo er zahlreiche Auszeichnungen für seine detaillierten Zeichnungen erhielt. Nach Abschluss seiner Ausbildung kehrte er nach Südwestengland zurück, um am Royal College of Art zu studieren, wo er 1994 das Darwin-Stipendium erhielt. Cooks Arbeiten waren in zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in London und Sydney, aber auch in der Schweiz (Fondation Beyeler Basel) oder Dänemark zu sehen.

Quellen: Olsen Gallery, Purdy Hicks Gallery, Meer, art-icle

alle Bilder © Jonathan Delafield Cook

 

Zeichnung