"Hunde, Hunde, überall", bemerkte ein Besucher in Honoré Sharrers (1920–2009) Retrospektive A Dangerous Woman: Subversion and Surrealism in the Art of Honoré Sharrer, die vor etwa zwei Jahren im Columbus Museum of Art (CMA) stattfand. Grund genug, eine Künstlerin besser kennenzulernen, die in ihren jungen Jahren - in den 1940er Jahren - viel Anerkennung fand, um dann für viele Jahrzehnte in Vergessenheit zu geraten.
Die Gründe für dieses Vergessen sind mannigfaltig. Einerseits widersetzte sie sich der maskulinen Ästhetik des abstraktem Expressionismus und arbeitete figurativ: Ihr Geschlecht, ihr Bekenntnis zu linken Idealen und die figurative, detailbesessenen Malweise standen im Gegensatz zu dem vorherrschenden politischen und künstlerischen Klima der 1950er Jahre. Weiblich, links und figurativ arbeitend: das waren Ausschließungsgründe für Erfolg und Anerkennung im Amerika der Nachkriegszeit.
In ihren frühen Malereien, die ob ihrer Genauigkeit und Stil- und Farbpalette an den sozialistischen Realismus ebenso wie an die flämischen Meister des 16. Und 17. Jahrhunderts erinnern, stellte sie den amerikanischen Arbeiter und das amerikanische Alltagsleben dar.
Danach wurden ihre Bilder surrealer. Sie benutzte ihr persönliches Archiv an fotografischen Vorlagen für ihre Gemälde, mit deren Hilfe sie eine Brücke zwischen der sozial engagierten Kunst der 1940er Jahre, der politischen Unterdrückung der 1950er Jahre hin zum ironischeren Kommentar der Pop Art schlug.
“Leda and the Folks” von 1963 lässt neben formalen Elementen der Pop Art (z.B. abstrahierter Sockel und Schatzkiste, flächige Darstellung ohne Tiefenwirkung) erstmals surreale Anklänge erkennen, vor allem im inhaltlichen Verknüpfen mythologischer und zeitgenössischer Figuren. Das ältere Paar erinnert an Gladys und Vernon, die Eltern von Elvis Presley, die junge weißhäutige und goldblonde nackte Frau stellt Leda dar. Sharrer greift auf den griechischen Mythos von Leda und Zeus zurück. Letzterer hat sich Leda in Gestalt eines Schwanes genähert und verführt. Das Gemälde untersucht die Schnittstelle zwischen Mythos und Celebrity-Kultur, die Prominente schon in den frühen 1960er Jahren umgab.
Der Schwan fehlt in Sharrers Gemälde, allerdings ergänzt ein kleiner Hund die Szene. Hunde treten von nun an in vielen Gemälden auf, sie gehören zu Sharrers visuellem Vokabular, das sie nach und nach entwickelt.
Neben der außergewöhnlichen Farbigkeit gefällt mir besonders die Genauigkeit und Konsequenz, mit der sie ihre Bilder komponiert hat: Der Hüftschwung Ledas wiederholt sich im Oberarm/runden Ellbogen von Elvis Mutter, taucht in der Krümmung des rosa Anzugs wieder auf und sogar im Halsschwung des Hundes!
In "Nursery Rhyme" (1971) fliegen Löffel, gebogene Gabeln, Messer und Teller durch die Luft. Die animierten Objekte begleiten die Frau.
Bemerkenswert sind hier ihre subtilen Malreferenzen: Ist das schwerkraftverletzende Messer in der linken unteren Ecke eine Referenz an klassische Stillleben, wo Messer über den Rand eines Tisches ausbalanciert werden? Neben formalen finden sich inhaltliche Verweise: Zitieren die Ameisen am Klebestreifen zum Insektenfang Dalis Ameisen - wie sie z.B. bei seinem Soft Self-Portrait vorkommen? Sharrer stellte zwischen inkompatiblen Elementen Beziehungen her, um eine private Welt zu schaffen, die sie uns exquisit farbig (rosa orange, lavendel…) präsentiert.
Inzwischen hat Sharrer ein klares visuelles Vokabular herausgebildet: Kleine Hunde, verbogenes Besteck, gebratene Hähnchen und rundgesichtige Menschen mit aufgeblasenen Backen bilden wiederkehrende Motive.
"Before the Divorce", 1976: Ein hoher Horizont an dem Windmühlen stehen, die Stellung der Windräder erinnert an Kreuze. Davor ein Ehepaar - vor der Scheidung - und getrennt durch eine schwarz gekleidete Figur. Sessel sind bereits umgestoßen, Paket und Schere fliegen durch den Raum. Wie lang wird sich das Hähnchen noch auf dem Tisch halten können? Die Hunde sind der Spannung bereits entflohen.
"Resurrection of the Waitress", 1984: Eine Kellnerin wird von einer Frau mit Propellerantrieb mithilfe eines mechanischen Schneebesens an den Haaren aus dem Wasser gezogen. Was sich absurd liest, wird stimmig malerisch umgesetzt. Verbindendes Element sind die konzentrischen Kreise, die den Hintergrund bilden und sich in Richtung einer Rasierklinge verengen. Der Bildinhalt ist weniger surreal als vermutet, vieles ist entschlüsselbar: Sharrer erzählt die Geschichte einer Ertrinkenden, indem sie das Bosch-Gemälde "Aufstieg der Seligen" (1505-1515) paraphrasiert.
Auch in dem späten "Zwei Hunde in einem Stillleben" tanzt wieder das Besteck!
Sharrer setzte sich bis zu ihrem Tod 2009 in ihren Bildern mit der Rolle der Frau, Familie, Scheidung auseinander. Dabei hatte sie einen - von Mythologie, Kunstgeschichte, Kinderreimen und Popkultur beeinflussten - Stil entwickelt, der Witz, soziale Kommentare und "visuelle Subversion" beinhaltet, während sie ein tiefes Bekenntnis zu den humanistischen Idealen beibehielt, die ihre früheren Arbeiten beeinflusst hatten. Ihre Malerei wird auch als "magischer Realismus" beschrieben.
Quellen: Columbus Museum of Art, Hyperallergic, Wall Street International, Smith College Museum of Art