10. August 2019 - 12:14

Liliana Moro, Anemos, 2019
Foto von hier

 

Der große italienische Pavillon befindet sich fast am Ende des Arsenale-Geländes und kann über mehrere Eingänge betreten werden. Der Kurator Milovan Farronato zeigt hier in einer sehr speziellen Ausstellungsarchitektur zwei Künstlerinnen - Liliana Moro und Chiara Fumai - und einen Künstler - Enrico David.

Das labyrinthische Ausstellungskonzept ist von Italo Calvinos Essay "Die Herausforderung an das Labyrinth" von 1962 inspiriert. Der Kurator wollte damit die Komplexität der modernen Welt widerspiegeln, in der es keine traditionellen Bezugspunkte mehr gibt, keinen Anfang und kein Ende, keine lineare, umfassende Erzählung. Es soll der Komplexität und Fülle von Interpretationsmöglichkeiten gerecht werden.

Als sehr systematischer Mensch habe ich dieses Labyrinth als wahres Wege-Spiegel-Paravent-Vorhang-Durcheinander empfunden. Da ich nichts übersehen wollte, war ich mehr darauf konzentriert alles vollständig abzuschreiten, als die Kunst anzusehen: Die Präsentation hat für mich die Kunst überlagert. Wahrscheinlich bräuchte es einen intuitiveren Charakter als mich, um hier Erkenntnis zu gewinnen.

Ich beschränke mich in der Folge auf die Beschreibung eines Werkes von Liliana Moro (*1961, Mailand/Italien). Als Künstlerin verwebt sie architektonische Interventionen mit Soundarbeiten. Ihre Skulpturen und Installationen werden als luzide, kraftvoll, entschieden und kompromisslos beschrieben.

Im Pavillon sind Arbeiten ihrer letzten 30 Jahre ausgestellt, sowohl frühe als auch neue, noch nie gezeigte. Da die Stellwände des Ausstellungsdisplays unterschiedlich hoch sind, kann man in andere Labyrinthgänge hinübersehen und so neue Interpretationen durch die Nähe zu anderen Werken, neue mögliche Bedeutungen zwischen ihren Arbeiten und denen der beiden anderen Künstler herstellen. Diese Kommunikation der Werke untereinander - je nach Blickwinkel im Labyrinth - soll die Unmöglichkeit verdeutlichen, eindeutige, vorhersagbare Zusammenhänge herzustellen.

Liliana Moro arbeitet mit verschiedenen Materialien und in verschiedenen Maßstäben. Ihre klare und präzise Herangehensweise führt zur Schaffung scheinbar einfacher Gesten, die aus diesem Grund für eine Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen offen sind. Eine dieser Gesten zeigt die Arbeit "Anemos" von 2019, eine Hundeskulptur aus silbern glasierter Keramik auf einem Metallblech mit Sockel.

Wie bereits erwähnt, kann der Pavillon durch vier Ein- bzw. Ausgänge betreten werden. Das letzte Werk, bevor ich "meinen" Ausgang fand, war eben dieses "Anemos".

 

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

 

Ein Hund schaut auf ein hinunterfallendes Blatt, gleichzeitig versucht er es wiederzuerlangen und mit seinem Körper im Gleichgewicht zu bleiben. Die Arbeit, deren griechischer Titel "den Wind betreffend", "Lufthauch" aber auch "Leidenschaft" und "Unsicherheit" bedeutet, verewigt einen Moment des Fallens und des Verlustes, der die unvermeidliche Transformation und Vergänglichkeit sozialer Werte in historischen Epochen widerspiegelt (soweit der kleine Folder zum italienischen Pavillon).

 

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

 

Wir sehen also ein sehr poetisches Werk, aber wir sehen es nicht ohne hinaufzuschauen. Liliana Moro nützt die Höhe des Ausstellungsraums, indem sie die Hundeskulptur auf einem mehrere Meter hohen Sockel positioniert, der Betrachter muss sich zum Hund hinaufwenden, um dessen prekäre Situation erleben zu können.

Als ich mich in das Werk Moros eingelesen habe, bin ich auch auf ihre Arbeit "Underdog" (2005) aufmerksam geworden, die ich hier gerne ergänzend zeigen möchte.

 

Liliana Moro, Underdog, 2005

Liliana Moro, Underdog, 2005

 

Die Fotos sind von der Biennale 4 in Thessaloniki, wo die Arbeit 2013 gezeigt wurde.

Im Ausstellungsraum sind Bronzeskulpturen von fünf Hunden in unterschiedlichen Positionen und Rollen angeordnet. Einer wacht mit angespannten Muskeln; zwei andere kämpfen miteinander; einer heult triumphierend, während ein anderer ermattet und erschöpft - vielleicht auch tot - am Boden liegt. Die Tiere scheinen Wachsamkeit, Angriff/Kampf, Siegestaumel und Niederlage zu verkörpern. Die freudige Erregung des Gewinners wird ebenso dargestellt wie die unvermeidliche Anwesenheit des Unterlegenen.

Das verwendete Material ist für Liliana Moro immer sehr wichtig, bei "Underdog" ist es Bronze. Sie selbst beschreibt das Material als wichtig in einem politischen Kontext, Bronze sei ein traditionelles Material, das den Bezug zu großen repräsentativen Monumenten und Denkmälern von Herrschern und Helden herstellt. (vgl. hier)

Die Arbeit wirft Fragen auf und lässt viele Interpretationen zu: Der "Underdog" kann ein Individuum (ob Hund oder Mensch) sein, von dem wir erwarten, dass es in verschiedenen Konfrontationen und Wettbewerben, von existenziellen, politischen bis zu sportlichen, verliert. Es kann aber auch um eine Gruppe, die Verlierer der Gesellschaft, gehen, darum, wer sie sind und wie sie gesehen werden.

Warum muss Kontakt zu einem Konflikt werden, der Verlierer und Sieger hervorbringt? Was gewinnt oder verliert man? Was führt zum Umkippen dieser Rollen?

In jedem Fall können die Skulpturen auch als fünf "Phasen" im Leben eines einzelnen Individuums angesehen werden: Jede Figur ist sowohl Opfer als auch Angreifer, Verlierer als auch Gewinner, beides gehört zum Kreislauf des Lebens.

Milovan Farronato, der Kurator des italienischen Biennale-Pavillons, hat sich bereits 2006 mit "Underdog" auseinandergesetzt. Sie können seine Überlegungen hier auszugsweise nachlesen und vielleicht auch nachvollziehen.

Liliana Moro lebt und arbeitet in Mailand. Nach ihrem Studium war sie gegen Ende der 1980er Jahre Mitbegründerin eines alternativen Ausstellungsraumes, der das kulturelle Klima Mailands belebte. Schon zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit erlangte die Künstlerin mit einer Einladung zur Documenta IX (1992) und zur Biennale von Venedig (1993) wichtige Anerkennung.

Quellen: neben dem offiziellen Biennale-Führer vor allem The Bag. Biennale Art Guide 2019, S 81ff

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

Ausstellung, Installation, Skulptur
4. August 2019 - 9:02

David Hammons, Bliz-aard Ball Sale, 1983. Performance view, Cooper Square, New Y
Foto von Artforum

 

Sie sehen oben den afroamerikanischen Künstler David Hammons (*1943 in Springfield, Illinois/USA) bei der künstlerischen Arbeit und zwar bei seiner - in der Folge oft zitierten, aber wenig recherchierten - Aktion "Bliz-aard Ball Sale" von 1983, als er in New York quasi als Straßenhändler nach Größe aufgereihte Schneebälle an Passanten verkaufte.

Geprägt durch die Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre und verwurzelt in der schwarzen urbanen Kultur Amerikas, ist der Alltag auf den Straßen für David Hammons nicht nur eine wichtigste Inspirationsquelle, die Straße ist auch der Ort, an dem er bevorzugt künstlerisch agiert, um der Aufmerksamkeit durch Kritiker, Galerien und Museen zu entgehen.

Hammons spricht in seinen Werken immer wieder politische, soziale und ökonomische Missstände an und thematisiert Kulturstereotypen. Dabei verwendet er für seine Skulpturen und Installationen Fundgegenstände und billige Materialien, den Abfall des afroamerikanischen Lebens, und greift damit unter anderem auf Strategien der Arte Povera zurück. Ebenso steht er in der Tradition eines Marcel Duchamps, da er seine Fundobjekte zu Kunstwerken deklariert.

Obwohl er den Fokus immer mehr auf seine Kunst als auf seine Karriere gerichtet hat, gewann er in der Kunstwelt zunehmend an Bedeutung, 1992 nahm er z.B. an der Documenta IX teil.

Sicher fragen Sie sich inzwischen, was das mit der Biennale (wenig) oder gar mit Hunden (nichts) zu tun hat.

In der zentralen internationalen Ausstellung in den Giardini sind Malereien Henry Taylors (in einem Raum gemeinsam mit Arbeiten von George Condo, Julie Mehretu und Skulpturen von Nairy Baghramian) ausgestellt. Und Taylors Gemälde "Hammons meets a hyena on holiday" von 2016 basiert auf einem Foto, das Hammons bei der beschriebenen Schneeballverkaufs-Aktion zeigt.

 

Henry Taylor, Hammons meets a hyena on holiday, 2016, Foto von Nasher
Foto: Nasher. Museum of Art at Duke University
 

Ergänzt hat Taylor die Szene mit einer Hyäne, einer Moschee und der Jacke eines Weihnachtsmannes, um einen unverfrorenen, respektlosen Kulturmix zu erzeugen.

An dieser Textstelle habe ich, im festen Glauben daran, dass die Hyäne ein afrikanischer Wildhund sei, zur Sicherheit auf Wikipedia nachgelesen.

 

Die Hyänen werden innerhalb der Raubtiere trotz ihres hundeähnlichen Äußeren in die Katzenartigen eingeordnet, was durch Schädelmerkmale, insbesondere den Bau der Paukenhöhle, abgesichert ist.

 

Katzenartig! Ich habe mich entschieden weiterzuschreiben. Bitte verzeihen Sie mir diesen Lapsus, aber ich habe mit David Hammons und Henry Taylor zwei aufrichtige, empathische Künstler kennengelernt, die ich Ihnen - auch ohne Hundebezug - vorstellen will.

Besonders Taylors Malerei, die die Lebenswelten ganz unterschiedlicher Menschen darstellt, wird international bewundert. Als ehemaliger Pfleger in einer psychiatrischen Einrichtung porträtiert er zehn Jahre lang dort lebende Patienten, er malt seine Familie und Freunde, malt Fremde, Mittellose ebenso wie Erfolgreiche, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Opfer von Polizeigewalt und politisch inspirierte Gruppenszenen, die unterschiedliche Geographien und Geschichten, Persönliches und Kollektives zusammenführen. Häufig verwendet er – wie in diesem Beispiel – kunsthistorische Referenzen.

Taylor malt Alltägliches mit präzisem Blick für Ungleichheit und Ungerechtigkeit, für Unsicherheit und Ungeheuerlichkeit des afroamerikanischen Lebens. Dabei ist er mehr als ein Porträtist des Alltags. Er untersucht, was entsteht, wenn Schwarze im Zentrum der Leinwand und im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen, und setzt damit ein Zeichen für die schwarze Kultur der Gegenwart.

Henry Taylor (* 1958 in Ventura, Kalifornien/ USA) lebt und arbeitet in Los Angeles.

Quellen zu David Hammons: Wikipedia, Kunsthalle Basel, The MT Press

Quellen zu Henry Taylor: neben dem offiziellen Biennale-Führer vor allem Interview Magazine, Galerie Eva Presenhuber

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

24. Juli 2019 - 16:19

Biennale-Besucher vor Djordje Ozbolts Remember me? Foto Petra Hartl

 

Was für ein Glücksfall für mich, dass ich diesen Biennale-Besucher mit seinem Papillon-Terrier genau vor diesem Gemälde von Djordje Ozbolt im Serbien-Pavillon angetroffen habe. Hunde dürfen ja mit aufs Biennale-Gelände und man sieht gar nicht wenige mit ihren Menschen durch das Areal mäandern und die einzelnen Pavillons besuchen.

 

Biennale-Besucher vor Djordje Ozbolts Remember me? Foto Petra Hartl

 

Vielleicht fragen Sie sich, was so ein Bild, das sie vielleicht als Kitsch einstufen, auf der Biennale verloren hat.

 

Djordje Ozbolt, Remember me? Foto Petra Hartl

 

Es gehört zum Ausstellungsdisplay von Djordje Ozbolt. Er hat den großen unstrukturierten Raum mit einer kulissen- und grisailleartigen Wandmalerei (eine imaginäre Landschaft) ausgestaltet, auf der einzelne figurative und abstrakte Bilder hängen und die Handlung entfalten. Ergänzend dazu sind im Raum fünf Skulpturen zu sehen ("Gang of Five"), die sich auf einzelne Bilder beziehen, auf diese hinweisen.

Der erste Eindruck wird bestimmt vom krassen Gegensätzen: zwischen den archaisch anmutenden Skulpturen und den großformatigen mehrheitlich in leuchtenden Farben gehaltenen Bildern, die wiederum einen Gegensatz zur hellen monochromen Wandmalerei bilden.

Das Bild mit den beiden Scotch-Terriern trägt den Titel "Remeber me?" Erinnert es Sie an etwas? Es hat seine Vorlage im Logo des "Black & White" Scotch Whisky. Mit diesem Bild offenbart sich auch ein Teil von Ozbolts Arbeitsweise: Er sucht Bilder aus seiner großen Büchersammlung (von Auktionskatalogen über Katastrophenbücher bis hin zu Büchern über Hunde), die er durchblättert und die ihm Ideen gibt. So wird der Prozess der Bildfindung angeregt, dann frei assoziierend gemalt und das Unbewusste angeregt. Am Ende des Entstehungsprozesses steht oft ein humorvoller, hintersinniger Titel.

 

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

 

In den meisten Bildern kombiniert Ozbolt allerdings mehrere Motive: Er nimmt Anleihen an einer Vielzahl malerischer Kulturen und Traditionen, wobei er kanonische kunsthistorische Motive mit Cartoons und Kitsch kombiniert. So kreiert er durch neue Assoziationen spielerische Neuinterpretation, eine Mischung aus Hoch- und Populärkultur und eine sehr persönliche visuelle Sprache. Eine Sprache, die von Kubismus, Realismus, primitiver Kunst ebenso beeinflusst ist wie von den Surrealisten (unten z.B. von Magritte), Picabia, Kippenberger, Oehlen und vielen anderen. Und das alles auf sehr humorvolle und sarkastische Weise.

 

Djordje Ozbolt, Now Yoe See Me

 

Die gesamte Arbeit, also Wandmalerei, Gemälde und Skulpturen, trägt den Titel "Regaining Memory Loss". Der Künstler, der noch in Jugoslawien aufgewachsen war, untersucht, wie sich Erinnerungen im Laufe der Zeit verändern, wie sie verblassen oder idealisiert werden, woran sich der Einzelne, aber auch die Gesellschaft erinnert und was lieber vergessen wird. Im Gedächtnis bleiben unzuverlässige fragmentarische Erinnerungen. Ozbolts Arbeit in ihrer Gesamtheit ist eine persönliche Interpretation der kollektiven, bewussten und unbewussten Erinnerung, sie handelt von einer subjektiven Sicht auf die Vergangenheit aus der Perspektive des gegenwärtigen Augenblicks. Als Erinnerung sind diese Kunstwerke falsch, als künstlerische Darstellung aber wahr. (Genaueres dazu z.B. auf der Website der Belgrade Design Week)

 

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

 

Djordje Ozbolt (*1967 in Belgrad/Serbien, damals Yugoslawien) studierte von 1988 bis 1991 Architektur und zog 1991 beim Ausbruch des Yugoslawienkrieges nach London, wo er an der Chelsea School of Art, der Slade School of Fine Art und der Royal Academy studierte. Er lebt in London.

Bei jeder Biennale wird neuerlich diskutiert, wie sinnvoll die Beibehaltung der nationalen Pavillons ist. Inwiefern sind die KünstlerInnen noch Repräsentanten ihrer Nationen? Diese Frage hat sich mir auch bei der Recherche zu Djordje Ozbolts Leben und Werk gestellt.

Das Auswahlverfahren für die Gestaltung des Serbien-Pavillons war ziemlich umstritten, da wichtige serbische Institutionen für zeitgenössische Kunst aufgrund intransparenter Verfahren vom Entscheidungsprozess zurücktraten. Auch die lokale Kunstszene kritisierte die Wahl von Ozbolt in den sozialen Medien.

Viele Künstler arbeiten in internationalen Zusammenhängen und Kunstkontexten, die mit ihrer Herkunftsnation wenig zu tun haben. In der Folge gibt es zum nationalen Publikum mit seinem lokalen Zugang wenig Überschneidungen.

Ozbolt antwortet selbst auf die Frage, ob er glaubt, dass seine Arbeit in Serbien anders wahrgenommen wird als in New York oder London, dass er in der sehr kleinen geschlossenen Kunstszene Serbiens als Außenseiter betrachtet werde, weil er früh nach England gegangen sei und Teil der Londoner Kunstszene  geworden wäre. Er fühle sich dieser Szene auch näher, nicht unbedingt in Bezug auf die Arbeit, sondern in sozialer Hinsicht, was ein wenig in die Arbeit einfließe. Aber er habe immer noch ein anderes Erbe, das mitschwinge. Es sei eine Art zu denken und die Dinge zu sehen, die trotz einer westlichen Ausbildung blieben. (vgl. ein Interview von 2015). Ozbolt hat erst einmal an einer Gruppen-Ausstellung in Serbien teilgenommen, 2018 an der Belgrade Biennale.

Mit Djordje Ozbolt sehen wir also einen Künstler, der sein yugoslawisches Erbe mit seiner Londoner und internationalen Erfahrung vermischt, dessen Werk von vielen Reisen und dem Einfluss verschiedener Kulturen, Traditionen und Religionen (bes. Indien und Japan ) geprägt ist. Dessen Bilder alle nationalen und internationalen Erfahrungen, bewusste und unbewusste Assoziationen in sich tragen.

Doch obwohl dieser Künstler in internationalen Kategorien denkt und arbeitet, wirkt der Pavillon auf mich, besonders auf Grund der Skulpturen, auf den ersten Blick sehr "yugoslawisch", bzw. so wie ich mir das vergangene Yugoslawien imaginiere: martialisch, grobschlächtig, handwerklich (als Bollwerk gegen Automatisierung und Digitalisierung) und damit auch ein bisschen abstoßend.

Zweifellos ist dies aber gewollt und Ozbolts sarkastischer Kommentar auf eine Welt, in der viele surreale, lächerliche, oberflächliche Dinge vor sich gehen. (vgl. Interview)

Quellen: neben dem offiziellen Biennale-Führer: Serbian Pavillon, Interview von 2015 sowie Interview von 2019, Belgrade Design Week, Widewalls, Herald St.

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur
21. Juli 2019 - 11:34

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Nach 1988 und 2017 war ich heuer zum dritten Mal auf der Biennale in Venedig. Und obwohl ich an meinen ersten Besuch nur mehr wenig Erinnerung habe (ich war noch Studentin und mit der Meisterklasse unterwegs), ist es wahrscheinlich nicht falsch zu behaupten, dass sie vor rund 30 Jahren noch überwiegend von den viel zitierten "weißen alten Männer" bespielt wurde.

2019 hat der Biennale-Leiter Ralph Rugoff ein ausgewogenes Verhältnis zwischen eingeladenen Künstlern und Künstlerinnen hergestellt, ebenso sind KünstlerInnen aus nichtwestlichen Ländern wie z.B. China, Indien oder Indonesien zahlreich vertreten, ohne dass sie "ländertypische" Kunst zeigten.

Thematisch wird viel verhandelt, wobei ein Schwerpunkt beim afroamerikanischen Körper und schwarzer Identität sowie der Ökologie (vor allem die Meere und der Klimawandel) liegt. Des Weiteren geht es um Migration, Emanzipation, kulturelle Diversität. Nicht alle Werke sind politisch motiviert, es finden sich auch abstrakte Positionen und Auseinandersetzungen mit bestimmten Materialien.

Ein Anliegen von Ralph Rugoff ist es, deutlich zu machen, dass Kunst Perspektiven aufzeigt. Es gehört für ihn zum Wesen der Kunst, dass sie Widersprüche nicht auflösen muss, sondern sie ertragen kann.

Die Kunst ist demnach der Ort der Komplexität. Und sie ist für Rugoff ein Gegenpol zu den politischen Lügen und den noch schwerer wiegenden "alternativen Fakten", denen der Mensch im Internet - einem manipulierenden Instrument der Desinformation mit Diskurse verhindernden Filterblasen - ausgesetzt ist. Sie, die Kunst, produziere keine alternativen Fakten, sondern alternative Perspektiven. Darin liege ihre Qualität.

Für die Themenstellung meines Blogs - Hunde und andere Tiere - gibt es auf der Biennale wenig zu holen. Ihre Kunst ist anthropozentrisch, ihre alternativen Perspektiven haben primär den Menschen im Blick. Mir ist es unverständlich, wie wenig es eine Auseinandersetzung über die Haltung des Menschen zum Tier gibt: Tierfabriken (über 60 Milliarden "Nutztiere" werden jährlich getötet, Fische gar nicht mitgerechnet), Tierversuche, Jagd, Funktionalisierung als Arbeitstier oder zur Unterhaltung, Gewalt gegen Tiere - die Liste ließe sich endlos fortsetzen - kommen in der Kunst nicht zur Sprache. Tiere kommen bei der Biennale nur in homöopathischen Dosen und ohne Belang vor.

Auch die wenigen Hundedarstellungen, die ich gefunden habe, sind nur peripher. Ich möchte trotzdem auf meine "Entdeckungen" eingehen.

Einer der wenigen, der sich dessen bewusst ist, dass Tiere eine Erde mit uns teilen, ist Jimmie Durham.

Ein trauriger Blick aus Murano-Glas!

 

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Jimmie Durham zeigt hier eine Skulptur aus Plastikrohren, Stahl, Gummi, Textilien und einem bemalten Totenschädel zusammengezimmert und "Great Dane" (Dogge) betitelt. Sie ist eine von sieben Skulpturen nicht-menschlicher Tiere - unter anderem Wolf, Bär, Bison, Moschusochse -, alle kombiniert aus Tierschädeln und gefundenen Materialien, die der Künstler als "The Largest Mammals in Europe" im Arsenale ausstellt.

Seine hybriden Skulpturen aus Möbelstücken (der Bisonkörper besteht aus einem Kleiderschrank), industriellen Materialien und gebrauchter Kleidung haben die ungefährere Größe ihrer lebenden Vorbilder und sie bestechen durch ihren Charakter und Ausdruck. Trotzdem sind es keine Tierporträts, sondern poetische Annäherungen und Verschränkungen, die einerseits unsere herkömmliche Vorstellung von der Trennung zwischen Tier und Mensch herausfordern und andererseits die Spezies eindringlich darstellen, die durch den Menschen bedroht sind.

 

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Brown Bear, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Wolf, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Musk Ox, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Durhams Werk kommt ohne viel Bedeutungsgenerierung und Referenzkultur aus, wenngleich die Verwendung von Tierschädeln und Skeletten besonders in der zeitgenössischen Kunst der indigenen Völker Nordamerikas häufig vorkommt und man sie mit Tod und Aussterben in Verbindung bringen kann. Insoferne passen die Knochen natürlich zu seinen Skulpturen, die den vom Aussterben bedrohten europäischen Säugetieren gewidmet sind.

Seine aus unterschiedlichsten Objekten und Werkstoffen bestehenden Werke können unterschiedliche Assoziationen auslösen. Jimmie Durham sagt dazu:

 

Wenn ich ein Stück Holz sehe, den Schädel eines Hundes, eine Plastikflasche, dann fühle ich, dass es da eine Verbindung gibt. Jeder dieser Gegenstände hat eine politische und materielle Geschichte, die ähnlich meiner eigenen ist.

 

Der inzwischen fast 80jährige Jimmie Durham wurde auf der Biennale mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Ralph Rugoff begründet die Entscheidung damit, dass Durham immer gute Arbeit geleistet habe, ohne viele Preise gewonnen oder Ausstellungen in der Tate oder dem Centre Pompidou gehabt zu haben. Stattdessen habe Jimmie ein großes Herz und viel Sinn für Humor.

Jimmie Durham (*1940/USA, lebt und arbeitet in Berlin) ist ein Bildhauer, Konzeptkünstler, Performer und Schriftsteller, Essayist. Er verweigert sich einer einfachen Einordnung. Er war auch politischer Aktivist, in der US-Bürgerrechts- und der Indigenenbewegung aktiv, 1974 wer er z.B. Mitbegründer des International Indian Treaty Council.

Mit Jimmie Durham habe ich auch eine lange unübersichtliche Debatte kennengelernt, die hinsichtlich Fragen der Identität und Identitätspolitik als exemplarisch gelten kann und während einer großen Durham-Retrospektive 2017 (Walker Art Center) ihren Höhepunkt fand. Diskutiert wurde sein Anspruch auf Ureinwohner-Abstammung, auf ein Cherokee-Erbe, das er selbst sowohl behauptet, als auch bestritten hat.

Ich möchte auf diese Jahrzehnte dauernde Debatte nicht näher eingehen, sondern nur auf die Webseite Hyperallergic verweisen, die mir einen ersten interessanten Einblick gegeben hat.

Möglicherweise passen an das Ende meines Blogbeitrags seine melancholischen Worte aus einem Interview für das Whitney Museum of American Art vom Oktober 2017 sehr gut: (zit. nach The Bag. Biennale Art Guide 2019, S 46)

 

These days, it sounds stupid to say "I´m a citizen oft the world". I don´t think I´m a citizen, I think I´m a homeless person in the world. I like to be that way. I think, in the long run, it might help me making better art, a more serious art.

 

Ausstellung, Skulptur
18. Juni 2019 - 11:02

Mit viel Zuneigung und Zärtlichkeit richtet sich mein betrachtender Blick auf diesen alten, ruhenden und wissenden Hund. Aldo Mozzini heißt sein Schöpfer und er verwendete alte Mallappen, um diese Hundeskulptur herzustellen. Allerdings nicht seine eigenen Maltücher, sondern die seiner Studenten und Studentinnen, die sie im Druckatelier an der Zürcher Hochschule für Künste zur Reinigung ihrer Hände verwendet hatten. Dergestalt bezeugt der textile Hund die kreativen Arbeitsprozesse, die seiner Entstehung vorausgegangen sind.

 

Hundeskulptur von Aldo Mozzini, 2019, Foto: Guadalupe Ruiz

 

Mozzini bevorzugt unprätentiöse und bescheidene Materialien für seine raumgreifende Skulptur, die eine skurrile Poesie entfaltet (vgl. About). Der Arbeitsprozess ist in den beschmutzten und farbverschmierten Maltüchern gespeichert, sie sind stumme Zeugen der Kunstproduktion und Reinigung. Mit ihren zufälligen Gebrauchsspuren bilden sie eine materielle Wirklichkeit, die in Kombination mit dem Hundemotiv irritiert. Müde und melancholisch sieht der riesige Hund aus und etwas ausgemergelt. In seiner Fragilität zieht er die Blicke und Sympathien auf sich.

Mit diesem Werk zählte Aldo Mozzini 2019 zu den Preisträgern des jährlich stattfindenden schweizerischen Kunstwettbewerbs Swiss Art Awards.

Als ich Aldo Mozzinis Hund aus Malfetzen erstmals gesehen habe, ist mir sofort Lucian Freud eingefallen, der auch Tücher, mit denen er die Pinsel abwischte, in seine Bilder integriert hatte. Er hat sie als Hintergrundstruktur gemalt. Manchmal ruhte ein Hund davor. Unten sehen Sie als Beispiel "Triple Portrait" von 1986-87.

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Triple Portrait, 1986-87 © Lucian Freud

 

Homepage von Aldo Mozzini

 

Skulptur
13. Juni 2019 - 11:50

Rodney van den Beemd arbeitet sehr schnell - wie in einem Fluss - und expressiv, wenn er seine Tusche-Skizzen von Fotos anfertigt. Dabei abstrahiert er stark und setzt sich mit der Frage auseinander, wann die Malerei fertig ist. Soll man daran weiterarbeiten, noch mehr Information hinzufügen, auf die Gefahr hin, dass die Spontaneität und Frische verloren geht?

Während die ähnlichen Grauwerte bei der unteren Arbeit eine Gemeinsamkeit des Paares mit dem Hund erzeugen - gemeinsam gehen sie ins nicht näher bezeichnet Diffuse, wendet sich der klar konturierte Black Dog von seinem menschlichen Begleiter ab. Die starke formale Abgegrenztheit korrespondiert mit seiner Autonomie.

o.T. © Rodney van den Beemd

 

Black Dog © Rodney van den Beemd

 

Und während ein Hund in Bewegung begriffen ist und sich die flächig aufgetragene Tusche nach hinten zur Linie auflöst, steht der andere so kompakt und stabil, dass wir seinen Schatten sehen!

Rodney selbst meint, dass der Schatten nicht dem Hund entspricht und wie der Schatten eines Deutschen Schäferhundes aussieht. Von alleine wäre mir das nicht aufgefallen, aber wenn man genau hinsieht, merkt man, dass der Schatten die Ohren spitzt. Ob er horcht, was sein Schöpfer sagt?

o.T. © Rodney van den Beemd

o.T. © Rodney van den Beemd

 

Ich habe Rodney schon einmal vorgestellt, manchmal schickt er mir nun einen gezeichneten Gruß. Ich glaube ich habe ihn dazu angeregt vermehrt Hunde zu zeichnen. Über beides freue ich mich sehr!

 

alle Bilder © Rodney van den Beemd

 

Malerei, Zeichnung
5. Juni 2019 - 14:10

Vor Kurzem zeigte das Wiener Untere Belvedere die spannende und viele neue Einblicke gewährende Ausstellung "Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938. Stadt der Frauen". Zu sehen war weibliches Kunstschaffen von der Wiener Moderne bis zur Neuer Sachlichkeit. In diesem Zusammenhang lernte ich erstmals das Werk von Olga Wisinger-Florian (1844-1926) kennen, einer österreichischen Künstlerin, die dem Stimmungsimpressionismus zuzurechnen ist. Sie gehörte zu den erfolgreichen Landschafts- und Blumenmalerinnen der österreichischen Kunst zwischen 1885 und 1910.

Ab 1881 waren ihre Gemälde regelmäßig auf den Jahresausstellungen des Künstlerhauses, später häufig auch auf Secessions- und Hagenbund-Ausstellungen zu sehen. Mit der Teilnahme an internationalen Ausstellungen in München, Berlin, Prag, London und Paris sowie an den Weltausstellungen (Paris und Chicago) folgte rasch auch internationale Anerkennung. Weiters war sie Gründungsmitglied von "Acht Künstlerinnen" (1900) und der "Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs" (1910). Sie förderte sowohl Künstlerinnen als auch die Akzeptanz von weiblichem Kunstschaffen und verkehrte in den Kreisen der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Ihre Freundschaft mit Bertha von Suttner führte sie zu politischem Engagement in der Friedensbewegung.

 

Olga Wisinger-Florian, Fallendes Laub, 1899, Foto: Belvedere, Wien/Johannes Stol
Olga Wisinger-Florian: Fallendes Laub (Buchenallee in Hartenstein),1899,
Öl auf Leinwand, 96 x 128 cm, Belvedere, Wien; Foto: Belvedere, Wien/Johannes Stoll
 

Meist beschränkte sich Olga Wisinger-Florian auf die Darstellung der stimmungsvollen, aber menschenleeren Landschaft, zeigte uns deren Schönheit mit pastosem Farbauftrag. Zwischen lyrischem Realismus und Stimmungsimpressionismus changiert ihr Herbstbild "Fallendes Laub" von 1899. Wie schön, dass die Dame auf ihrem Spaziergang in die perspektivische Tiefe einen Hund an ihrer Seite hat. Beide sind umschlossen von einem Blätterdach und folgen dem Geländer, bis sich der Weg zu einem Punkt verengt. Das Bild überzeugt durch seine Farbstimmung, das Flirren des Laubes und die reduzierte halt- und formgebende Struktur.

Nun ist ihr eine umfassende Personale - Olga Wisinger-Florian. Flower-Power der Moderne - in der Sammlung Leopold gewidmet, die noch bis zum 21. Oktober 2019 zu sehen ist.

Quellen: Sammlung Leopold, Art in Words

 

Ausstellung, Malerei
6. Mai 2019 - 20:59

Peder Severin Krøyer, Sommerabend in Skagen, 1892

 

"Ein Sorolla!", war mein erster Gedanke, als ich das Foto sah, das mir Susanne Boecker zugeschickt hatte (Herzlichen Dank!). Ich habe mich nicht nur im Künstler geirrt, sondern auch geografisch sehr verschätzt!

Das Gemälde zeigt die Frau des Künstlers Peder Severin Krøyer (kurz P.S. Krøyer) und deren Hund. Sie merken schon: Der Name des Künstlers klingt zumindest nicht spanisch. Die beiden befinden sich in Skagen, der nördlichsten, als Seebad bekannten Hafengemeinde Dänemarks, die kilometerlange Sandstrände besitzt.

Durch die sogenannten Skagen-Maler, einer Gruppe überwiegend skandinavischer Künstler, die den Fischerort in den 1880er Jahren zu ihrem Sommerrefugium machten, wurde Skagen überregional bekannt.

Die geografische Lage Skagens, hoch im Norden und umgeben vom Meer, sorgte in den Sommermonaten für ein besonderes Licht! Dieses Licht war es auch, weshalb die Künstler die Freiluftmalerei schätzten (ich mich so leicht in die Irre führen ließ) und sich neben dem französischen Realismus für den Impressionismus begeisterten. Die Darstellung des Lichts und der Atmosphäre zu unterschiedlichen Tageszeiten oder im Lauf der Jahreszeiten rückte nun ins malerische Zentrum, Dünen und stürmische Strandszenen standen im Mittelpunkt. Kurz: In der dänischen Kunst kehrte die Moderne ein.

Nachdem die Maler auf der Pariser Weltausstellung 1889 Anerkennung erfahren hatten, ändert sich der Zeitgeschmack und der Symbolismus forderte seelische Tiefe und Phantastisches. Der Einfluss der Künstlerkolonie aus Skagen auf die Malerei verebbte.

 

Peder Severin Krøyer, Sommerabend am Strand von Skagen, 1899

 

Der norwegisch-dänische Maler P. S. Krøyer (1851-1909) ist für seine Landschafts- und Porträtmalerei berühmt. Seine Bilder zeigen ein sorgloses Leben der Künstler, ihre Feste, Spaziergänge am Strand und stimmungsvolle Abende im Mondschein. Krøyers Leben allerdings war nur vordergründig sorglos: Nach 1900 erkrankte Krøyer und er musste mehrmals in einer Nervenheilanstalt behandelt werden. Vermutlich litt er an einer manisch-depressiven Psychose.

In ein paar Tagen, am 15. Mai 2019 eröffnet übrigens die Ausstellung "P. S. Krøyer und die Künstlerkolonie in Hornbæk" in der Sammlung Hirschsprung in Kopenhagen. Was für ein schöner Zufall!

 

22. April 2019 - 11:33

Nursery Rhyme, 1971, Detail © Honore Sharrer

 

"Hunde, Hunde, überall", bemerkte ein Besucher in Honoré Sharrers (1920–2009) Retrospektive A Dangerous Woman: Subversion and Surrealism in the Art of Honoré Sharrer, die vor etwa zwei Jahren im Columbus Museum of Art (CMA) stattfand. Grund genug, eine Künstlerin besser kennenzulernen, die in ihren jungen Jahren - in den 1940er Jahren - viel Anerkennung fand, um dann für viele Jahrzehnte in Vergessenheit zu geraten.

Die Gründe für dieses Vergessen sind mannigfaltig. Einerseits widersetzte sie sich der maskulinen Ästhetik des abstraktem Expressionismus und arbeitete figurativ: Ihr Geschlecht, ihr Bekenntnis zu linken Idealen und die figurative, detailbesessenen Malweise standen im Gegensatz zu dem vorherrschenden politischen und künstlerischen Klima der 1950er Jahre. Weiblich, links und figurativ arbeitend: das waren Ausschließungsgründe für Erfolg und Anerkennung im Amerika der Nachkriegszeit.

In ihren frühen Malereien, die ob ihrer Genauigkeit und Stil- und Farbpalette an den sozialistischen Realismus ebenso wie an die flämischen Meister des 16. Und 17. Jahrhunderts erinnern, stellte sie den amerikanischen Arbeiter und das amerikanische Alltagsleben dar.

Danach wurden ihre Bilder surrealer. Sie benutzte ihr persönliches Archiv an fotografischen Vorlagen für ihre Gemälde, mit deren Hilfe sie eine Brücke zwischen der sozial engagierten Kunst der 1940er Jahre, der politischen Unterdrückung der 1950er Jahre hin zum ironischeren Kommentar der Pop Art schlug.

 

Leda and the Folks, 1963 © HonoréSharrer

 

“Leda and the Folks” von 1963 lässt neben formalen Elementen der Pop Art (z.B. abstrahierter Sockel und Schatzkiste, flächige Darstellung ohne Tiefenwirkung) erstmals surreale Anklänge erkennen, vor allem im inhaltlichen Verknüpfen mythologischer und zeitgenössischer Figuren. Das ältere Paar erinnert an Gladys und Vernon, die Eltern von Elvis Presley, die junge weißhäutige und goldblonde nackte Frau stellt Leda dar. Sharrer greift auf den griechischen Mythos von Leda und Zeus zurück. Letzterer hat sich Leda in Gestalt eines Schwanes genähert und verführt. Das Gemälde untersucht die Schnittstelle zwischen Mythos und Celebrity-Kultur, die Prominente schon in den frühen 1960er Jahren umgab.

Der Schwan fehlt in Sharrers Gemälde, allerdings ergänzt ein kleiner Hund die Szene. Hunde treten von nun an in vielen Gemälden auf, sie gehören zu Sharrers visuellem Vokabular, das sie nach und nach entwickelt.

Neben der außergewöhnlichen Farbigkeit gefällt mir besonders die Genauigkeit und Konsequenz, mit der sie ihre Bilder komponiert hat: Der Hüftschwung Ledas wiederholt sich im Oberarm/runden Ellbogen von Elvis Mutter, taucht in der Krümmung des rosa Anzugs wieder auf und sogar im Halsschwung des Hundes!

 

Nursery Rhyme, 1971 © Honore Sharrer

 

In "Nursery Rhyme" (1971) fliegen Löffel, gebogene Gabeln, Messer und Teller durch die Luft. Die animierten Objekte begleiten die Frau.

Bemerkenswert sind hier ihre subtilen Malreferenzen: Ist das schwerkraftverletzende Messer in der linken unteren Ecke eine Referenz an klassische Stillleben, wo Messer über den Rand eines Tisches ausbalanciert werden? Neben formalen finden sich inhaltliche Verweise: Zitieren die Ameisen am Klebestreifen zum Insektenfang Dalis Ameisen - wie sie z.B. bei seinem Soft Self-Portrait vorkommen? Sharrer stellte zwischen inkompatiblen Elementen Beziehungen her, um eine private Welt zu schaffen, die sie uns exquisit farbig (rosa orange, lavendel…) präsentiert.

 

Loretta as Lady of Spain, 1972 © HonoréSharrer

 

Inzwischen hat Sharrer ein klares visuelles Vokabular herausgebildet: Kleine Hunde, verbogenes  Besteck, gebratene Hähnchen und rundgesichtige Menschen mit aufgeblasenen Backen bilden wiederkehrende Motive.

 

Before the Divorce, 1976 © HonoréSharrer

 

"Before the Divorce", 1976: Ein hoher Horizont an dem Windmühlen stehen, die Stellung der Windräder erinnert an Kreuze. Davor ein Ehepaar - vor der Scheidung - und getrennt durch eine schwarz gekleidete Figur. Sessel sind bereits umgestoßen, Paket und Schere fliegen durch den Raum. Wie lang wird sich das Hähnchen noch auf dem Tisch halten können? Die Hunde sind der Spannung bereits entflohen.

 

Resurrection of the Waitress, 1984 © HonoréSharrer

 

"Resurrection of the Waitress", 1984: Eine Kellnerin wird von einer Frau mit Propellerantrieb mithilfe eines mechanischen Schneebesens an den Haaren aus dem Wasser gezogen. Was sich absurd liest, wird stimmig malerisch umgesetzt. Verbindendes Element sind die konzentrischen Kreise, die den Hintergrund bilden und sich in Richtung einer Rasierklinge verengen. Der Bildinhalt ist weniger surreal als vermutet, vieles ist entschlüsselbar: Sharrer erzählt die Geschichte einer Ertrinkenden, indem sie das Bosch-Gemälde "Aufstieg der Seligen" (1505-1515) paraphrasiert.

 

Roman Holiday, 1989 © HonoréSharrer

Two Dogs in a Still Life, 1997 © HonoréSharrer

 

Auch in dem späten "Zwei Hunde in einem Stillleben" tanzt wieder das Besteck!

Sharrer setzte sich bis zu ihrem Tod 2009 in ihren Bildern mit der Rolle der Frau, Familie, Scheidung auseinander. Dabei hatte sie einen - von Mythologie, Kunstgeschichte, Kinderreimen und Popkultur beeinflussten - Stil entwickelt, der Witz, soziale Kommentare und "visuelle Subversion" beinhaltet, während sie ein tiefes Bekenntnis zu den humanistischen Idealen beibehielt, die ihre früheren Arbeiten beeinflusst hatten. Ihre Malerei wird auch als "magischer Realismus" beschrieben.

Quellen: Columbus Museum of Art, Hyperallergic, Wall Street International, Smith College Museum of Art

 

Ausstellung, Malerei
13. April 2019 - 9:47

Anne Arnold (*1925, Massachusetts/USA) fand eine einzigartige, von modernen und modernistischen Strömungen unabhängige Position in der amerikanischen Skulptur. Sie arbeitete von den 1950er bis 1980er Jahren, also zu einer Zeit als Abstrakter Expressionismus, Minimalismus, Pop Art bestimmend und vorherrschend waren. Obwohl ihre ersten Arbeiten von Konstruktivismus und De Stijl beeinflusst waren, wendet sie sich dann eher volkstümlichen und "primitiven" Traditionen zu, die sie aktualisierte und verjüngte.

 

Dog, 50er Jahre © Anne Arnold
Bild von der Galerie Beth Urdang

 

Dabei hat ihr Werk nichts Manieriertes oder Sentimentales, es ist vielmehr Ausdruck einer Unabhängigkeit, die sich aus einem ausgeprägten Verständnis für die Ressourcen moderner und traditioneller Kunst speist.

Die orange bemalte Katze von 1956 liegt auf dem Rücken. Obwohl sie nahezu ausschließlich aus (Pinien-)Holzquadern besteht, wirkt sie durchaus lebendig, so als würde sie sich gerade strecken.

 

Orange Cat, 1956 © Anne Arnold, Foto James Dee

 

Über drei Jahrzehnte sind (neben Menschen) Katzen, Schweine, Pferde, aber natürlich auch Hunde ihre bevorzugten Motive. Nicht nur mit handwerklicher Meisterschaft, auch mit künstlerischer Sensibilität arbeitet sie die individuelle Persönlichkeit, den schwer erfassbaren belebenden Geist, das Besondere der Tiere heraus. Oft sind sie raffiniert, gewitzt, schrullig und humorvoll dargestellt - immer erscheinen sie intelligent und präsent.

Kommt Ihnen dieser verhangene "Blick" nicht auch bekannt vor? Denken Sie nicht sofort an den Skye-Terrier Sunny, den Alex Katz so oft gemalt hat?
 

Sunny, Skye Terrier, Detail, 1978 © Anne Arnold, Foto James Dee

 

Das Bild zeigt Sunny im hohen Gras sitzend, als wäre er noch kurz zuvor abenteuerlustig durchgestürmt. Erschöpft hängt nun seine rosa Zunge heraus.

 

Sunny Nr. 4, 1971 © Alex Katz

 

Die Keramik-Skulptur stellt tatsächlich Sunny dar, mit dem die Familie Katz in den 1970er Jahren gelebt hat. Akribisch hat Anne Arnold seine überlappenden langen Haarschichten nachempfunden. Obwohl seine Augen unter den Haarsträhnen verborgen sind, scheint er uns nicht nur zu beobachten, sondern auch anzulächeln. Sein muskulöser Körper ruht auf kurzen Beinen.

 

Sunny, Skye Terrier, 1978 © Anne Arnold, Foto James Dee

Willow, Afghane, 1978 © Anne Arnold, Foto James Dee

Willow, Afghane, Detail, 1978 © Anne Arnold, Foto James Dee

Gretchen, Dachshund, 1978, © Anne Arnold, Foto James Dee

 

Ein bemalter Keramikdackel sitzt fest und stabil auf seinen Hinterbeinen, der Schwanz liegt stabilisierend auf dem Boden. Gretchen scheint all ihre Körperspannung für diese schwierige Position zu brauchen, sodass die Vorderbeine schlapp nach unten hängen. Der Kopf mit den bittenden Augen ist nach oben geneigt, die langen Ohren zeigen nach unten. Gretchen möchte Aufmerksamkeit, sie möchte in unsere menschliche Welt eindringen. Dafür setzt sie ihren herzerweichendsten Blick ein. Was für eine unwiderstehliche Hunde-Persönlichkeit!

 

Grip, Bullterrier, 1978 © Anne Arnold, Foto James De

 

Auch Grip, der Bullterrier, will unsere Aufmerksamkeit, er posiert mit gespitzten Ohren, aufrechtem Schwanz und gespanntem Körper, bereit auf die Interaktion mit uns!

 

Monte II, 1988 © Anne Arnold, Foto James Dee

Monte II, Detail, 1988 © Anne Arnold, Foto James Dee

 

Die Körpersprache der Hundeskulpturen ist unverkennbar. Sie scheinen mit dem Betrachter, als Stellvertreter für den menschlichen Partner, eine Beziehung eingehen zu wollen. Anne Arnold zeigt diesen Wunsch nach Aufmerksamkeit, zeigt das Bedürfnis nach Kommunikation - über die Spezies hinweg. Ihre Tiere sind mit einer unvergleichlichen Beredsamkeit ausgestattet, von einer Dringlichkeit besessen, die unsere Aufmerksamkeit verlangt.

Es macht uns menschlich, diesen grundlegenden Wunsch nach Aufmerksamkeit nicht nur anzuerkennen, sondern darin auch das komplexe Potenzial der Tiere zu sehen, Beziehungen zu uns eingehen zu können. In diesem Sinn geht Anne Arnold in ihrem Werk über ästhetische Fragen hinaus, es fordert uns ethisch heraus: Wie gehen wir mit denen um, deren Wohlergehen in unseren Händen liegt?

Anne Arnold verwendet unterschiedlichste Materialien, um ihre lebensgroßen, ja manchmal über-lebensgroßen Tierskulpturen herzustellen. Dabei geht es ihr nicht darum, mit einem speziellen Material oder Herstellungsverfahren wiedererkannt zu werden und jedes Motiv diesem unterzuordnen; sie geht vielmehr vom Tier aus: Welches Material passt speziell zu ihm. Material und Verfahren, die sie wählt, scheinen unausweichlich zu sein.

Können sie sich den traurigen Setterkopf von Lady anders als in bemalter Terrakotta vorstellen?

 

Lady, Englischer Setter, 1978 © Anne Arnold, Foto James Dee

Eliza I, 1968 © Anne Arnold, Foto James Dee

 

Auch in Arnolds Bleistiftzeichnungen zeigt sich ihr Einfühlungsvermögen in die Hundepersönlichkeiten. Während Willows Gesicht detailreich und akribisch ausgeführt wird, um sein nachdenkliches und melancholisches Wesen darzustellen, ist der Strich bei "Dog" expressiv, ja nahezu exzentrisch.

 

Untitled (Willow), 1980 © Anne Arnold, Foto James Dee

Untitled (Willow), 1980 © Anne Arnold, Foto James Dee

Dog, 1980 © Anne Arnold, Foto James Dee

Anne Arnold in ihrem New Yorker Atelier, um 1971 © Alexandre Gallery

 

Die Bilder zum Blogbeitrag stammen von der Homepage der Galerie Alexandre. Dort finden Sie auch biografische Daten zur Künstlerin, die 2014 mit 89 Jahren in New York gestorben ist. Weiters finden Sie eine ausführliche Zusammenstellung von Presse-Berichten. Grundlage für meinen Beitrag bildete vor allem der Essay "Groundbreaker" von John Yau.

 

Skulptur, Zeichnung