Ausstellung

23. Oktober 2019 - 9:10

Pierre Bonnard, Der Kaffee, 1915, Le Cafe © Tate

 

Das Kunstforum Wien zeigt Pierre Bonnard (1867–1947) in der Ausstellung "Farbe der Erinnerung". Schon im Titel stecken zwei wesentliche Merkmale von Bonnards Malerei: Er malt aus der Erinnerung und sein Thema ist die Farbe, dargebracht vor allem an den Motiven Figur, Interieur und ihn umgebende Landschaft.

Keine Wirklichkeit, kein Motiv soll den Post-Impressionisten von der Farbe ablenken, die er sowohl minimalistisch dünn als auch pastos aufträgt. Immer wieder malt er seine Freundin und spätere Ehefrau in wiederkehrenden Ansichten ihres Zuhauses. Dabei schafft er Durchsichten von innen nach außen (Fenster- und Türdurchblicke), malt Spiegel, die den Blick in den Raum erweitern und ungewöhnlich komplexe sowie angeschnittene Kompositionen, die schon den kommenden Jugendstil andeuten.

Immer wieder verschwimmen Motive im farbenfrohen Punkt- und Liniengewirr. Auch so mancher Hund ist erst auf den zweiten oder dritten Blick zu erkennen.

Obwohl Bonnard viele Hunde gemalt hat, habe ich nur diese drei in der Ausstellung entdeckt:

 

Pierre Bonnard, Der Kaffee, 1915, Detail, Foto Petra Hartl

Pierre Bonnard, Esszimmer, Vernon, um 1925, Detail, Foto Petra Hartl

 

Im "Esszimmer, Vernon" sehen wir einen Innenraum, der durch eine Tür zum Garten geöffnet ist. Die Szene spielt sich im für Bonnards Malerei so charakteristischen Bereich zwischen innen und außen ab. Alles scheint zu flimmern, hinter der geöffneten Gartentür erkennen wir ein verschwommenes Gesicht - vielleicht Bonnard selbst - der die Szene beobachtet. Die Kinder richten ihren Blick auf eine dunkle Stelle neben dem Esstisch. Erst auf den zweiten und dritten Blick erkennen wir eine Hundeschnauze.

 

Pierre Bonnard, Esszimmer, Vernon, um 1925

Pierre Bonnard, Esszimmer, Vernon, um 1925, Detail, Foto Petra Hartl

Pierre Bonnard, Esszimmer, Vernon, um 1925, Detail, Foto Petra Hartl

 

Auch im "Haus unter Bäumen" finden wir einen kleinen Hund, der seine Besitzerin beim Spaziergang begleitet.

 

Pierre Bonnard, Haus unter Bäumen, 1918, Foto Petra Hartl

Pierre Bonnard, Haus unter Bäumen, 1918, Detail, Foto Petra Hartl

Pierre Bonnard, Haus unter Bäumen, 1918, Detail, Foto Petra Hartl

 

Die Retrospektive im Kunstforum Wien entstand in Kooperation mit der Tate, London und der Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen. Unterstützt durch den Bonnard Exhibition Supporters Circle und Tate Members. Sie konzentriert sich auf Bonnards reifes Werk, das nach seinem ersten Besuch an der Côte d’Azur 1909 und der tiefgreifenden Erfahrung des Mittelmeerlichts einsetzt.

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Jänner 2012 zu sehen.
 

Ausstellung, Malerei
4. Oktober 2019 - 15:00

Sit and wait, 2018 © Benjamin Nachtigall

 

Liebevoll umarmt der "Zitronenmann" in "Sit and wait" seinen Hund, beide sind entspannt und heben den Kopf in eine Richtung, vielleicht sehen sie selbstvergessen der Sonne entgegen. Auch "The stranger" wird von seinem Hund begleitet. Aus beiden Arbeiten spricht Zärtlichkeit und Bindung zum Tier.

 

The stranger, 2018 © Benjamin Nachtigall

 

Benjamin Nachtigalls Figuren sind aus Keramik, jede ein von ihm selbst angefertigtes Unikat.

Er arbeitet spontan und intuitiv. Das keramische Material kommt ihm sehr entgegen, da es sich beim Trocknen und Brennen verformt, biegt und mitarbeitet. Die Glasuren werden auf die Plastik geworfen, die Farbtöne fließen ineinander und erzeugen Unerwartetes. "Gefühle, Ängste und Wünsche, die wir alle teilen - und die uns trennen, interessieren mich, nichts Konkretes, Persönliches", sagt Nachtigall (vgl. Wiener Zeitung)

Seine Protagonisten entstammen einer kuriosen, eigentümlichen Figurenwelt, seine humanoiden Figuren tragen Früchte statt Köpfen. Dabei legt er den Fokus eher auf die Geste und die Form selbst sowie auf das Erzeugen einer surrealen Dynamik als auf die Biographie einer Figur. (vgl. artist statement)

Die Fruchtköpfe verhindern, dass wir Individuen erkennen. Gemeinsam mit der Nacktheit der Figuren erzeugt Benjamin Nachtigall eine allgemeine über das Persönliche hinaus gehende Melancholie und Verletzlichkeit, die auch alltäglichen Situationen und Gesten - ein Tier berühren, die Natur erleben - innewohnt.

"Für mich ist ein Kunstwerk ein Rätsel, das nie ganz aufgelöst werden kann", sagte der Künstler bereits 2012 auf Ö1. Dies gilt auch für seine jüngsten Werke, die noch bis zum 12. Oktober 2019 in der Einzelausstellung "Symbiose" in der Galerie Gerasdorfer zu sehen sind.

Benjamin Nachtigall (*1988 in Wien/Österreich) schloss 2015 die Klasse für Grafik und Druckgrafik an der Universität für angewandte Kunst Wien ab.
 

alle Fotos © Benjamin Nachtigall

 

Ausstellung, Skulptur
29. August 2019 - 14:30

Was für ein charmantes Bild! "Die Möglichkeit eines Wolfes"!

 

Die Möglichkeit eines Wolfes, 2019 © Holger Kurt Jäger

 

Zur Einstimmung auf meinen Biennale-Besuch hatte ich das Kunstforum durchgeblättert und war sofort bei der Anzeige der Galerie von Braunbehrens hängengeblieben, die mit diesem Gemälde die Ausstellung von Holger Kurt Jäger, "Hallo Echo", ankündigte. Ich bin seiner Anziehungskraft sogleich erlegen. Innerhalb von Sekunden purzelten vielfältigste Assoziationen durch meinen Kopf. Hatte ich nicht so einen Hund unter dem Handtuch auf einer Ikea-Reklame gesehen, allerdings herziger und weniger melancholisch? Verhüllt der Fotograf Thorsten Brinkmann nicht auch Hunde? Und William Wegman - er fotografiert seine Weimaraner surrealistisch verfremdet! Und erst der Titel: "Die Möglichkeit eines Wolfes" lässt mich sofort literarische - "Die Möglichkeit einer Insel" (Michel Houellebecq) - oder musikalische - "Die Möglichkeit eines Lamas" (Frittenbude) - Bezüge herstellen.

Nachdem ich mir Jägers andere Arbeiten auf seiner Homepage angesehen und ein bisschen recherchiert hatte, war klar, dass dies kein Zufall war, sondern so sein musste: Referenzen sind sein Ding! Er durchforstet Printmedien und das Internet nach Anregungen für seine Gemälde, montiert das Ausgewählte zu witzigen oder surrealen Kompositionen, benützt das vorgefundene Material, um neue Zusammenhänge herzustellen, neue Bedeutungen zu generieren. Nicht zufällig heißt eine Bildserie "Referenzkultur".

Doch wer hat denn nun "Die Möglichkeit eines Wolfes"? Auf den ersten Blick scheint der Dackel gemeint zu sein, der dasitzt, als hätte er kein Hinterteil. Aber auch der in zu kurzer, blasslachsener Hose und Hausschuhen gewandete Mensch - es ist bloß seine untere Hälfte zu sehen - scheint die harmlose Figur, die er abgibt, durch den Wolfspelz-gefütterten Mantel überspielen zu wollen. Die Armbündchen des Pullovers sind schon aufgeschlitzt, steht die Wandlung der Hände in Pfoten bevor?

Alles an dem Gemälde ist realistisch, erst der Titel verleiht ihm einen unwirklichen, träumerischen und sehnsüchtigen Spin. "Könnte ich mich doch verwandeln, verwirklichen, - könnte ich doch verwildern", scheinen sich beide zu wünschen.

 

Referenzkultur 1 © Holger Kurt Jäger

 

Zu Jägers neuesten Arbeiten gehören Darstellungen junger stilvoller Menschen in hellen banal-surrealen Umgebungen. Doch keine kommt an die lavendel-beige-lachs-farbige Schönheit und Melancholie der "Möglichkeit" heran.

 

Ausstellungsansicht Galerie von Braunbehrens

 

Unten eine kleine Auswahl an Malereien mit Hundemotiv der letzten Jahre:

 

Die Jägerprüfung, 2017 © Holger Kurt Jäger

Die Gattin, 2015 © Holger Kurt Jäger

Hui buh, 2014 © Holger Kurt Jäger

 

Bekannt wurde Jäger unter anderem durch seine Waschlappenbilder, quasi einer Chronik des Zeitgeschehens auf Baumwolle. Er bemalte die Lappen mit Porträts von Politikern, Verbrechern, Künstlern, von Menschen, die unsere Gegenwart prägten oder nur im Gespräch waren: Ob die Dargestellten durch Material und Funktion des Bildträgers gedemütigt oder durch die Verwendung der klassischen Ölmalerei überhöht werden sollten, bleibt offen.

Neben den Waschlappenbildern haben auch Jägers bemalte Airbags oder seine vieräugigen Politikerporträts von Merkel oder Obama Aufmerksamkeit erregt. Der deutsche Maler (*1979 in Düsseldorf), der vom Graffiti kommt, hat sich nun anscheinend wieder mehr der traditionellen Ölmalerei zugewandt (auf Leinwand!). Mich freut das sehr.

Die Ausstellung in der Galerie von Braunbehrens ist noch bis zum 6. September 2019 zu sehen. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
 

 

Ausstellung, Buch, Malerei
21. August 2019 - 13:20

Hedy mit Postkarte, Foto Petra Hartl

Hedy mit Postkarte, Foto Petra Hartl

 

Die letzte Station meines Ausstellungsmarathons war die Punta della Dogana, neben dem Palazzo Grassi die zweite große Ausstellungsfläche der Stiftung Pinault: eine Oase der Ruhe an der äußersten Spitze der Halbinsel zwischen Canale Grande und Canale della Giudecca, im Stadtteil Dorsoduro. Auf der gegenüberliegenden Seite des Canale Grande befindet sich der belebte Markusplatz.

Das 1682 fertiggestellte Gebäude war bis in die 1980er Jahre ein Zollamt und damit untrennbar mit der Geschichte Venedigs verbunden. 2007 erhielt die Pinault-Collection den Zuschlag, das dreiecksförmige Gebäude in einen zeitgenössischen Kunstraum zu verwandeln. Die Restaurierung des imposanten Komplexes begann, und im Juni 2009 war die Punta della Dogana wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie präsentiert seitdem wechselnde Ausstellungen. Heuer ist "Luogo e Segni" zu sehen, in der über hundert Werke von 36 KünstlerInnen versammelt sind, die eine besondere Beziehung zu ihrem urbanen, sozialen, politischen, historischen und intellektuellen Umfeld herstellen.

Das Gebäude ist riesig und die Arbeiten - vor allem Konzeptkunst, Minimal Art, Videokunst - sind so großzügig präsentiert, dass es mir fast obszön erschien. Schon im Palazzo Grassi bei Luc Tuymans war ich erstaunt, wie viel Platz den Werken eingeräumt wurde.

Obwohl ich beim Durchstreifen der riesigen Räume schon erschöpft und kaum mehr aufnahmefähig war, entging mir dieser kleine Hundekunstschnipsel nicht: eine kleine Postkarte mit Hund, die zu dem 90teiligen Gemeinschaftswerk "Monotype Melody (Ninety Works for Marian Goodman)" von Tacita Dean und Julie Mehretu gehört.

Von diesen 90 Arbeiten sind in Venedig 25 gerahmte Postkarten und 25 gerahmte Monotypien zu sehen. Sie spiegeln die einzigartige Zusammenarbeit und den intensiven und fruchtbaren Dialog der langjährigen Freundinnen Tacita Dean und Julie Mehretu wider. Beide Künstlerinnen arbeiteten unabhängig voneinander in Los Angeles und New York an ihren Monotypien und entwickelten ein Netz aus subtilen Referenzen und Verbindungen zwischen den einzelnen Arbeiten. In Venedig werden die Werke der einen zwischen den Werken der anderen präsentiert, es entsteht ein Puzzle aus schwarz-weißen Monotypien und farbig überarbeiteten Postkarten, eine rhythmische Verflechtung, die man beim Ausstellungsbesuch in ihrer Gesamtheit wahrnehmen kann.

 

Werktitel, Foto Petra Hartl

Installationsansicht Tacita Dean und Julie Merhetu, Foto Petra Hartl

Installationsansicht Tacita Dean und Julie Merhetu, Foto Petra Hartl

Tacita Dean, Found Postcard, Monoprint (Finger), 2018, Foto Petra Hartl

Postkarte, Foto Petra Hartl

 

Tacita Dean hat mit alten gefundenen Postkarten gearbeitet, auf die sie mit Tinte kleine Ergänzungen eingetragen oder Überarbeitungen durchgeführt hat.

Obwohl sie auch fotografiert und zeichnet, ist Tacita Dean (1965, Canterbury/UK) vor allem für ihre 16mm-Filme bekannt, in denen sie sich besonders mit historischen oder fiktiven Geschichten beschäftigt. Wiederkehrende Themen in ihrer Arbeit sind die Begriffe Zeit und Erinnerung - einschließlich des analogen Gedächtnisses des Films und der Herausforderungen seiner Erhaltung/Konservierung.

Julie Mehretu (*1970 in Äthiopien) malt und zeichnet seit fast 20 Jahren an zumeist großformatigen, gestischen Gemälden, die aus mehreren Schichten unterschiedlicher Materialien (Acrylfarbe, Bleistift, Feder, Tinte) bestehen.

 

Ausstellung, Grafik, Installation, Malerei
15. August 2019 - 9:30

Self-Portrait with Animal Mask, 2018 © Adrian Ghenie

 

Während der Biennale-Monate finden auch viele große Ausstellungen in Museen und Palazzi in ganz Venedig statt, dabei wird heuer auch sehr viel Malerei gezeigt. Auch wenn die Massen durch die Lagunenstadt strömen, finden doch nur wenige Besucher den Eingang in diese kühlen, klimatisierten Häuser. Auch im Hochsommer kann man sich hier wohlfühlen und sich vom Trubel in den Giardini und im Arsenale erholen.

Ich habe in der Fondazione Prada die Jannis-Kounellis-Ausstellung besucht und neben den ausgestellten Werken konnte ich heuer endlich die Räumlichkeiten genießen, von denen vor zwei Jahren bei der großartigen Ausstellung "The Boat is Leaking. The Captain Lied." von Alexander Kluge, Thomas Demand und Anna Viebrock aufgrund der Ausstellungsgestaltung mit vielen Einbauten kaum etwas zu sehen war. Alleine der Palazzo Ca’ Corner della Regina ist sehenswert.

Ähnlich ging es mir auch im Palazzo Grassi, dessen große, mehrgeschoßige Eingangshalle vor zwei Jahren von Damian Hirsts "Demon with Bowl" ausgefüllt wurde. Heuer wurde die Leere und die großzügige Hängung bei Luc Tuymans Einzelausstellung "La Pelle" zum Erlebnis. Den Bildern wurde viel Platz gegeben, manchmal hing eine kleine Arbeit in einem eigenen Raum.

Sehr ansprechend präsentiert waren auch die Werkschau von Sean Scully "Human" und die Retrospektive von Alberto Burri, beide auf der Isola di San Giorgo Maggiore und fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Scully ist auch in Wien öfters zu sehen, Burri war für mich in Originalen ganz neu. Auf der Insel gab es auch ein sehr schönes, durchgestyltes Museum für Glaskunst des 20. Jahrhunderts, Le Stanze del Vetro, in dem Glaskunstwerke des französischen Designers Maurice Marinot aus der Zeit von 1911-1934 zu sehen waren. Und all das bei freiem Eintritt, wenn ich es recht in Erinnerung habe.

Vor etwa zehn Jahren wurde der eindrucksvoll renovierte Renaissance-Palazzo Grimani als Museum und Veranstaltungsort eröffnet, zur Zeit ist dort die amerikanische Künstlerin Helen Frankenthaler zu sehen, im Palazzo Contarini Polignac - zur Abwechslung ein Ausstellungsort mit reichlich Patina - der deutsche Maler Günter Förg.

Die Ausstellung, die mich aber mit Abstand am meisten begeistert hat, war "The Battle Between Carnival and Feast" des rumänischen Künstlers Adrian Ghenie. Was für eine Schönheit, Farbenpracht und expressive Kraft! Erfreulicherweise war ein Gemälde "Figur mit Hund" dabei, sodass ich guten Gewissens davon berichten kann.

Adrian Ghenie hat das zweite Stockwerk im Palazzo Cini gestaltet und dafür neun neue Bilder gemalt. Die Galerie Palazzo Cini hat diese Soloschau gemeinsam mit der Galerie Thaddaeus Ropac konzipiert. Der Ausstellungs-Titel hat mich sofort an das gleichnamige Gemälde von Peter Breughel (Kampf zwischen Fasching und Fasten, 1559) denken lassen, das ich erst kürzlich im Wiener Kunsthistorischen Museum gesehen habe. Allerdings bezieht sich der Künstler meines Erachtens mehr auf den venezianischen Karneval (Bild ganz oben "Self-Portrait with Animal Mask", 2018) und auf die Geschichte Venedigs als auf Breughels Bild der Sitten und Gebräuche.

Ghenie verweist auf die reiche maritime Geschichte der Stadt mit ihren vielen Wasserstraßen, thematisiert aber auch Flucht und Migration über das Mittelmeer, er orientiert sich an der Tradition, bezieht aber auch Position zu zeitgenössischen Ereignissen. Das Thema Wasser und die Grün-, Blau- und Grautöne sind der gemeinsame Nenner dieser Werke.

 

Untitled, 2019 © Adrian Ghenie

 

Wie aktuell sein Werk ist, erkennt man auch an seiner kleinen Porträtserie. Obwohl die Arbeiten "Untitled" sind, ist der Dargestellte auf den ersten Blick zu erkennen. Wie sehr das Gesicht - einer Landschaft gleich - doch redundant ist, wenn wir eine Haartolle wiedererkennen! Mühelos ergänzt unser Gehirn die fehlenden anatomischen Teile zu Trump.

 

Figure with Dog, 2019 © Adrian Ghenie

 

"Figure with Dog" wird von einer riesigen dekonstruierten Figur dominiert. Teile der Sportkleidung sind noch erkennbar, ansonsten erahnt man eine Masse aus Fleisch und Haaren. Wie auch bei seinen anderen Werken erinnert mich manches an Francis Bacon (eine moderne poppige, glühend farbigere Variante Bacons): der Kontrast zwischen den dynamischen Teilen der belebten Figuren - Mensch und hockender Hund - und der unbewegten Natur - wie Wasser, Himmel und Strand - sowie die Ausgewogenheit zwischen diesen Bildbereichen. Adrian Ghenies figurative Malerei ist gestisch und kontrolliert, nichts erscheint zufällig.

Adrian Ghenie findet den Vergleich mit Francis Bacon nur ermüdend, trotzdem ist es vor allem bei den Porträts eine Assoziation, die sich bei mir sofort und absichtslos einstellte.

 

That does not say anything about my painting [practice] but it says a lot about the art world, which always wants a quick explanation or description. We’re coming from different directions. (Ghenie zit. n. The Art Newspaper)

 

"Figure with Dog is dominated by an enormous partially clothed figure, standing near a petrified squatting dog and set against a Rousseau-esque landscape“, lese ich auf der Seite der Galerie Ropac. "Rousseau-artig"? Jean-Jacques oder Henri? Ich vermute der französische "Zurück zur Natur!"-Philosoph ist gemeint, wenngleich für mich auch Henris Phantasiewälder im Sinne des Kontrastes von Natur und Figur durchaus passend wären.

Ghenies tiefsinnige und gleichzeitig nebulösen Gemälde zeichnen sich durch eine experimentelle und emotionale Verwendung von Farben aus, er kratzt sie ab, manipuliert sie. Mehr noch als er die Vergangenheit und Gegenwart inhaltlich verhandelt, untersucht er die Möglichkeiten des Mediums Malerei, den Malakt an sich.

Adrian Ghenie (*1977 in Baia Mare/Rumänien) lebt und arbeitet derzeit in Berlin. Seine Ausstellung im rumänischen Pavillon auf der 56. Biennale in Venedig (2015) brachte ihm internationales Renommee ein und seine Werke sind heute in bedeutenden Museen und Galerien zu sehen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 18. November 2019  im Palazzo Cini zu sehen. Begleitend ist ein Katalog erschienen.

Ich habe übrigens schon 2014 einen Blogeintrag über Adrian Ghenie verfasst, nachdem ich lediglich ein Bild von ihm in Wien gesehen hatte. Vor allem die Farbpalette hat sich seit damals verändert. Vergleichen Sie!

alle Bilder © Adrian Ghenie

 

Ausstellung, Malerei
10. August 2019 - 12:14

Liliana Moro, Anemos, 2019
Foto von hier

 

Der große italienische Pavillon befindet sich fast am Ende des Arsenale-Geländes und kann über mehrere Eingänge betreten werden. Der Kurator Milovan Farronato zeigt hier in einer sehr speziellen Ausstellungsarchitektur zwei Künstlerinnen - Liliana Moro und Chiara Fumai - und einen Künstler - Enrico David.

Das labyrinthische Ausstellungskonzept ist von Italo Calvinos Essay "Die Herausforderung an das Labyrinth" von 1962 inspiriert. Der Kurator wollte damit die Komplexität der modernen Welt widerspiegeln, in der es keine traditionellen Bezugspunkte mehr gibt, keinen Anfang und kein Ende, keine lineare, umfassende Erzählung. Es soll der Komplexität und Fülle von Interpretationsmöglichkeiten gerecht werden.

Als sehr systematischer Mensch habe ich dieses Labyrinth als wahres Wege-Spiegel-Paravent-Vorhang-Durcheinander empfunden. Da ich nichts übersehen wollte, war ich mehr darauf konzentriert alles vollständig abzuschreiten, als die Kunst anzusehen: Die Präsentation hat für mich die Kunst überlagert. Wahrscheinlich bräuchte es einen intuitiveren Charakter als mich, um hier Erkenntnis zu gewinnen.

Ich beschränke mich in der Folge auf die Beschreibung eines Werkes von Liliana Moro (*1961, Mailand/Italien). Als Künstlerin verwebt sie architektonische Interventionen mit Soundarbeiten. Ihre Skulpturen und Installationen werden als luzide, kraftvoll, entschieden und kompromisslos beschrieben.

Im Pavillon sind Arbeiten ihrer letzten 30 Jahre ausgestellt, sowohl frühe als auch neue, noch nie gezeigte. Da die Stellwände des Ausstellungsdisplays unterschiedlich hoch sind, kann man in andere Labyrinthgänge hinübersehen und so neue Interpretationen durch die Nähe zu anderen Werken, neue mögliche Bedeutungen zwischen ihren Arbeiten und denen der beiden anderen Künstler herstellen. Diese Kommunikation der Werke untereinander - je nach Blickwinkel im Labyrinth - soll die Unmöglichkeit verdeutlichen, eindeutige, vorhersagbare Zusammenhänge herzustellen.

Liliana Moro arbeitet mit verschiedenen Materialien und in verschiedenen Maßstäben. Ihre klare und präzise Herangehensweise führt zur Schaffung scheinbar einfacher Gesten, die aus diesem Grund für eine Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen offen sind. Eine dieser Gesten zeigt die Arbeit "Anemos" von 2019, eine Hundeskulptur aus silbern glasierter Keramik auf einem Metallblech mit Sockel.

Wie bereits erwähnt, kann der Pavillon durch vier Ein- bzw. Ausgänge betreten werden. Das letzte Werk, bevor ich "meinen" Ausgang fand, war eben dieses "Anemos".

 

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

 

Ein Hund schaut auf ein hinunterfallendes Blatt, gleichzeitig versucht er es wiederzuerlangen und mit seinem Körper im Gleichgewicht zu bleiben. Die Arbeit, deren griechischer Titel "den Wind betreffend", "Lufthauch" aber auch "Leidenschaft" und "Unsicherheit" bedeutet, verewigt einen Moment des Fallens und des Verlustes, der die unvermeidliche Transformation und Vergänglichkeit sozialer Werte in historischen Epochen widerspiegelt (soweit der kleine Folder zum italienischen Pavillon).

 

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

 

Wir sehen also ein sehr poetisches Werk, aber wir sehen es nicht ohne hinaufzuschauen. Liliana Moro nützt die Höhe des Ausstellungsraums, indem sie die Hundeskulptur auf einem mehrere Meter hohen Sockel positioniert, der Betrachter muss sich zum Hund hinaufwenden, um dessen prekäre Situation erleben zu können.

Als ich mich in das Werk Moros eingelesen habe, bin ich auch auf ihre Arbeit "Underdog" (2005) aufmerksam geworden, die ich hier gerne ergänzend zeigen möchte.

 

Liliana Moro, Underdog, 2005

Liliana Moro, Underdog, 2005

 

Die Fotos sind von der Biennale 4 in Thessaloniki, wo die Arbeit 2013 gezeigt wurde.

Im Ausstellungsraum sind Bronzeskulpturen von fünf Hunden in unterschiedlichen Positionen und Rollen angeordnet. Einer wacht mit angespannten Muskeln; zwei andere kämpfen miteinander; einer heult triumphierend, während ein anderer ermattet und erschöpft - vielleicht auch tot - am Boden liegt. Die Tiere scheinen Wachsamkeit, Angriff/Kampf, Siegestaumel und Niederlage zu verkörpern. Die freudige Erregung des Gewinners wird ebenso dargestellt wie die unvermeidliche Anwesenheit des Unterlegenen.

Das verwendete Material ist für Liliana Moro immer sehr wichtig, bei "Underdog" ist es Bronze. Sie selbst beschreibt das Material als wichtig in einem politischen Kontext, Bronze sei ein traditionelles Material, das den Bezug zu großen repräsentativen Monumenten und Denkmälern von Herrschern und Helden herstellt. (vgl. hier)

Die Arbeit wirft Fragen auf und lässt viele Interpretationen zu: Der "Underdog" kann ein Individuum (ob Hund oder Mensch) sein, von dem wir erwarten, dass es in verschiedenen Konfrontationen und Wettbewerben, von existenziellen, politischen bis zu sportlichen, verliert. Es kann aber auch um eine Gruppe, die Verlierer der Gesellschaft, gehen, darum, wer sie sind und wie sie gesehen werden.

Warum muss Kontakt zu einem Konflikt werden, der Verlierer und Sieger hervorbringt? Was gewinnt oder verliert man? Was führt zum Umkippen dieser Rollen?

In jedem Fall können die Skulpturen auch als fünf "Phasen" im Leben eines einzelnen Individuums angesehen werden: Jede Figur ist sowohl Opfer als auch Angreifer, Verlierer als auch Gewinner, beides gehört zum Kreislauf des Lebens.

Milovan Farronato, der Kurator des italienischen Biennale-Pavillons, hat sich bereits 2006 mit "Underdog" auseinandergesetzt. Sie können seine Überlegungen hier auszugsweise nachlesen und vielleicht auch nachvollziehen.

Liliana Moro lebt und arbeitet in Mailand. Nach ihrem Studium war sie gegen Ende der 1980er Jahre Mitbegründerin eines alternativen Ausstellungsraumes, der das kulturelle Klima Mailands belebte. Schon zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit erlangte die Künstlerin mit einer Einladung zur Documenta IX (1992) und zur Biennale von Venedig (1993) wichtige Anerkennung.

Quellen: neben dem offiziellen Biennale-Führer vor allem The Bag. Biennale Art Guide 2019, S 81ff

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

Ausstellung, Installation, Skulptur
4. August 2019 - 9:02

David Hammons, Bliz-aard Ball Sale, 1983. Performance view, Cooper Square, New Y
Foto von Artforum

 

Sie sehen oben den afroamerikanischen Künstler David Hammons (*1943 in Springfield, Illinois/USA) bei der künstlerischen Arbeit und zwar bei seiner - in der Folge oft zitierten, aber wenig recherchierten - Aktion "Bliz-aard Ball Sale" von 1983, als er in New York quasi als Straßenhändler nach Größe aufgereihte Schneebälle an Passanten verkaufte.

Geprägt durch die Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre und verwurzelt in der schwarzen urbanen Kultur Amerikas, ist der Alltag auf den Straßen für David Hammons nicht nur eine wichtigste Inspirationsquelle, die Straße ist auch der Ort, an dem er bevorzugt künstlerisch agiert, um der Aufmerksamkeit durch Kritiker, Galerien und Museen zu entgehen.

Hammons spricht in seinen Werken immer wieder politische, soziale und ökonomische Missstände an und thematisiert Kulturstereotypen. Dabei verwendet er für seine Skulpturen und Installationen Fundgegenstände und billige Materialien, den Abfall des afroamerikanischen Lebens, und greift damit unter anderem auf Strategien der Arte Povera zurück. Ebenso steht er in der Tradition eines Marcel Duchamps, da er seine Fundobjekte zu Kunstwerken deklariert.

Obwohl er den Fokus immer mehr auf seine Kunst als auf seine Karriere gerichtet hat, gewann er in der Kunstwelt zunehmend an Bedeutung, 1992 nahm er z.B. an der Documenta IX teil.

Sicher fragen Sie sich inzwischen, was das mit der Biennale (wenig) oder gar mit Hunden (nichts) zu tun hat.

In der zentralen internationalen Ausstellung in den Giardini sind Malereien Henry Taylors (in einem Raum gemeinsam mit Arbeiten von George Condo, Julie Mehretu und Skulpturen von Nairy Baghramian) ausgestellt. Und Taylors Gemälde "Hammons meets a hyena on holiday" von 2016 basiert auf einem Foto, das Hammons bei der beschriebenen Schneeballverkaufs-Aktion zeigt.

 

Henry Taylor, Hammons meets a hyena on holiday, 2016, Foto von Nasher
Foto: Nasher. Museum of Art at Duke University
 

Ergänzt hat Taylor die Szene mit einer Hyäne, einer Moschee und der Jacke eines Weihnachtsmannes, um einen unverfrorenen, respektlosen Kulturmix zu erzeugen.

An dieser Textstelle habe ich, im festen Glauben daran, dass die Hyäne ein afrikanischer Wildhund sei, zur Sicherheit auf Wikipedia nachgelesen.

 

Die Hyänen werden innerhalb der Raubtiere trotz ihres hundeähnlichen Äußeren in die Katzenartigen eingeordnet, was durch Schädelmerkmale, insbesondere den Bau der Paukenhöhle, abgesichert ist.

 

Katzenartig! Ich habe mich entschieden weiterzuschreiben. Bitte verzeihen Sie mir diesen Lapsus, aber ich habe mit David Hammons und Henry Taylor zwei aufrichtige, empathische Künstler kennengelernt, die ich Ihnen - auch ohne Hundebezug - vorstellen will.

Besonders Taylors Malerei, die die Lebenswelten ganz unterschiedlicher Menschen darstellt, wird international bewundert. Als ehemaliger Pfleger in einer psychiatrischen Einrichtung porträtiert er zehn Jahre lang dort lebende Patienten, er malt seine Familie und Freunde, malt Fremde, Mittellose ebenso wie Erfolgreiche, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Opfer von Polizeigewalt und politisch inspirierte Gruppenszenen, die unterschiedliche Geographien und Geschichten, Persönliches und Kollektives zusammenführen. Häufig verwendet er – wie in diesem Beispiel – kunsthistorische Referenzen.

Taylor malt Alltägliches mit präzisem Blick für Ungleichheit und Ungerechtigkeit, für Unsicherheit und Ungeheuerlichkeit des afroamerikanischen Lebens. Dabei ist er mehr als ein Porträtist des Alltags. Er untersucht, was entsteht, wenn Schwarze im Zentrum der Leinwand und im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen, und setzt damit ein Zeichen für die schwarze Kultur der Gegenwart.

Henry Taylor (* 1958 in Ventura, Kalifornien/ USA) lebt und arbeitet in Los Angeles.

Quellen zu David Hammons: Wikipedia, Kunsthalle Basel, The MT Press

Quellen zu Henry Taylor: neben dem offiziellen Biennale-Führer vor allem Interview Magazine, Galerie Eva Presenhuber

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

24. Juli 2019 - 16:19

Biennale-Besucher vor Djordje Ozbolts Remember me? Foto Petra Hartl

 

Was für ein Glücksfall für mich, dass ich diesen Biennale-Besucher mit seinem Papillon-Terrier genau vor diesem Gemälde von Djordje Ozbolt im Serbien-Pavillon angetroffen habe. Hunde dürfen ja mit aufs Biennale-Gelände und man sieht gar nicht wenige mit ihren Menschen durch das Areal mäandern und die einzelnen Pavillons besuchen.

 

Biennale-Besucher vor Djordje Ozbolts Remember me? Foto Petra Hartl

 

Vielleicht fragen Sie sich, was so ein Bild, das sie vielleicht als Kitsch einstufen, auf der Biennale verloren hat.

 

Djordje Ozbolt, Remember me? Foto Petra Hartl

 

Es gehört zum Ausstellungsdisplay von Djordje Ozbolt. Er hat den großen unstrukturierten Raum mit einer kulissen- und grisailleartigen Wandmalerei (eine imaginäre Landschaft) ausgestaltet, auf der einzelne figurative und abstrakte Bilder hängen und die Handlung entfalten. Ergänzend dazu sind im Raum fünf Skulpturen zu sehen ("Gang of Five"), die sich auf einzelne Bilder beziehen, auf diese hinweisen.

Der erste Eindruck wird bestimmt vom krassen Gegensätzen: zwischen den archaisch anmutenden Skulpturen und den großformatigen mehrheitlich in leuchtenden Farben gehaltenen Bildern, die wiederum einen Gegensatz zur hellen monochromen Wandmalerei bilden.

Das Bild mit den beiden Scotch-Terriern trägt den Titel "Remeber me?" Erinnert es Sie an etwas? Es hat seine Vorlage im Logo des "Black & White" Scotch Whisky. Mit diesem Bild offenbart sich auch ein Teil von Ozbolts Arbeitsweise: Er sucht Bilder aus seiner großen Büchersammlung (von Auktionskatalogen über Katastrophenbücher bis hin zu Büchern über Hunde), die er durchblättert und die ihm Ideen gibt. So wird der Prozess der Bildfindung angeregt, dann frei assoziierend gemalt und das Unbewusste angeregt. Am Ende des Entstehungsprozesses steht oft ein humorvoller, hintersinniger Titel.

 

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

 

In den meisten Bildern kombiniert Ozbolt allerdings mehrere Motive: Er nimmt Anleihen an einer Vielzahl malerischer Kulturen und Traditionen, wobei er kanonische kunsthistorische Motive mit Cartoons und Kitsch kombiniert. So kreiert er durch neue Assoziationen spielerische Neuinterpretation, eine Mischung aus Hoch- und Populärkultur und eine sehr persönliche visuelle Sprache. Eine Sprache, die von Kubismus, Realismus, primitiver Kunst ebenso beeinflusst ist wie von den Surrealisten (unten z.B. von Magritte), Picabia, Kippenberger, Oehlen und vielen anderen. Und das alles auf sehr humorvolle und sarkastische Weise.

 

Djordje Ozbolt, Now Yoe See Me

 

Die gesamte Arbeit, also Wandmalerei, Gemälde und Skulpturen, trägt den Titel "Regaining Memory Loss". Der Künstler, der noch in Jugoslawien aufgewachsen war, untersucht, wie sich Erinnerungen im Laufe der Zeit verändern, wie sie verblassen oder idealisiert werden, woran sich der Einzelne, aber auch die Gesellschaft erinnert und was lieber vergessen wird. Im Gedächtnis bleiben unzuverlässige fragmentarische Erinnerungen. Ozbolts Arbeit in ihrer Gesamtheit ist eine persönliche Interpretation der kollektiven, bewussten und unbewussten Erinnerung, sie handelt von einer subjektiven Sicht auf die Vergangenheit aus der Perspektive des gegenwärtigen Augenblicks. Als Erinnerung sind diese Kunstwerke falsch, als künstlerische Darstellung aber wahr. (Genaueres dazu z.B. auf der Website der Belgrade Design Week)

 

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

 

Djordje Ozbolt (*1967 in Belgrad/Serbien, damals Yugoslawien) studierte von 1988 bis 1991 Architektur und zog 1991 beim Ausbruch des Yugoslawienkrieges nach London, wo er an der Chelsea School of Art, der Slade School of Fine Art und der Royal Academy studierte. Er lebt in London.

Bei jeder Biennale wird neuerlich diskutiert, wie sinnvoll die Beibehaltung der nationalen Pavillons ist. Inwiefern sind die KünstlerInnen noch Repräsentanten ihrer Nationen? Diese Frage hat sich mir auch bei der Recherche zu Djordje Ozbolts Leben und Werk gestellt.

Das Auswahlverfahren für die Gestaltung des Serbien-Pavillons war ziemlich umstritten, da wichtige serbische Institutionen für zeitgenössische Kunst aufgrund intransparenter Verfahren vom Entscheidungsprozess zurücktraten. Auch die lokale Kunstszene kritisierte die Wahl von Ozbolt in den sozialen Medien.

Viele Künstler arbeiten in internationalen Zusammenhängen und Kunstkontexten, die mit ihrer Herkunftsnation wenig zu tun haben. In der Folge gibt es zum nationalen Publikum mit seinem lokalen Zugang wenig Überschneidungen.

Ozbolt antwortet selbst auf die Frage, ob er glaubt, dass seine Arbeit in Serbien anders wahrgenommen wird als in New York oder London, dass er in der sehr kleinen geschlossenen Kunstszene Serbiens als Außenseiter betrachtet werde, weil er früh nach England gegangen sei und Teil der Londoner Kunstszene  geworden wäre. Er fühle sich dieser Szene auch näher, nicht unbedingt in Bezug auf die Arbeit, sondern in sozialer Hinsicht, was ein wenig in die Arbeit einfließe. Aber er habe immer noch ein anderes Erbe, das mitschwinge. Es sei eine Art zu denken und die Dinge zu sehen, die trotz einer westlichen Ausbildung blieben. (vgl. ein Interview von 2015). Ozbolt hat erst einmal an einer Gruppen-Ausstellung in Serbien teilgenommen, 2018 an der Belgrade Biennale.

Mit Djordje Ozbolt sehen wir also einen Künstler, der sein yugoslawisches Erbe mit seiner Londoner und internationalen Erfahrung vermischt, dessen Werk von vielen Reisen und dem Einfluss verschiedener Kulturen, Traditionen und Religionen (bes. Indien und Japan ) geprägt ist. Dessen Bilder alle nationalen und internationalen Erfahrungen, bewusste und unbewusste Assoziationen in sich tragen.

Doch obwohl dieser Künstler in internationalen Kategorien denkt und arbeitet, wirkt der Pavillon auf mich, besonders auf Grund der Skulpturen, auf den ersten Blick sehr "yugoslawisch", bzw. so wie ich mir das vergangene Yugoslawien imaginiere: martialisch, grobschlächtig, handwerklich (als Bollwerk gegen Automatisierung und Digitalisierung) und damit auch ein bisschen abstoßend.

Zweifellos ist dies aber gewollt und Ozbolts sarkastischer Kommentar auf eine Welt, in der viele surreale, lächerliche, oberflächliche Dinge vor sich gehen. (vgl. Interview)

Quellen: neben dem offiziellen Biennale-Führer: Serbian Pavillon, Interview von 2015 sowie Interview von 2019, Belgrade Design Week, Widewalls, Herald St.

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur
21. Juli 2019 - 11:34

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Nach 1988 und 2017 war ich heuer zum dritten Mal auf der Biennale in Venedig. Und obwohl ich an meinen ersten Besuch nur mehr wenig Erinnerung habe (ich war noch Studentin und mit der Meisterklasse unterwegs), ist es wahrscheinlich nicht falsch zu behaupten, dass sie vor rund 30 Jahren noch überwiegend von den viel zitierten "weißen alten Männer" bespielt wurde.

2019 hat der Biennale-Leiter Ralph Rugoff ein ausgewogenes Verhältnis zwischen eingeladenen Künstlern und Künstlerinnen hergestellt, ebenso sind KünstlerInnen aus nichtwestlichen Ländern wie z.B. China, Indien oder Indonesien zahlreich vertreten, ohne dass sie "ländertypische" Kunst zeigten.

Thematisch wird viel verhandelt, wobei ein Schwerpunkt beim afroamerikanischen Körper und schwarzer Identität sowie der Ökologie (vor allem die Meere und der Klimawandel) liegt. Des Weiteren geht es um Migration, Emanzipation, kulturelle Diversität. Nicht alle Werke sind politisch motiviert, es finden sich auch abstrakte Positionen und Auseinandersetzungen mit bestimmten Materialien.

Ein Anliegen von Ralph Rugoff ist es, deutlich zu machen, dass Kunst Perspektiven aufzeigt. Es gehört für ihn zum Wesen der Kunst, dass sie Widersprüche nicht auflösen muss, sondern sie ertragen kann.

Die Kunst ist demnach der Ort der Komplexität. Und sie ist für Rugoff ein Gegenpol zu den politischen Lügen und den noch schwerer wiegenden "alternativen Fakten", denen der Mensch im Internet - einem manipulierenden Instrument der Desinformation mit Diskurse verhindernden Filterblasen - ausgesetzt ist. Sie, die Kunst, produziere keine alternativen Fakten, sondern alternative Perspektiven. Darin liege ihre Qualität.

Für die Themenstellung meines Blogs - Hunde und andere Tiere - gibt es auf der Biennale wenig zu holen. Ihre Kunst ist anthropozentrisch, ihre alternativen Perspektiven haben primär den Menschen im Blick. Mir ist es unverständlich, wie wenig es eine Auseinandersetzung über die Haltung des Menschen zum Tier gibt: Tierfabriken (über 60 Milliarden "Nutztiere" werden jährlich getötet, Fische gar nicht mitgerechnet), Tierversuche, Jagd, Funktionalisierung als Arbeitstier oder zur Unterhaltung, Gewalt gegen Tiere - die Liste ließe sich endlos fortsetzen - kommen in der Kunst nicht zur Sprache. Tiere kommen bei der Biennale nur in homöopathischen Dosen und ohne Belang vor.

Auch die wenigen Hundedarstellungen, die ich gefunden habe, sind nur peripher. Ich möchte trotzdem auf meine "Entdeckungen" eingehen.

Einer der wenigen, der sich dessen bewusst ist, dass Tiere eine Erde mit uns teilen, ist Jimmie Durham.

Ein trauriger Blick aus Murano-Glas!

 

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Jimmie Durham zeigt hier eine Skulptur aus Plastikrohren, Stahl, Gummi, Textilien und einem bemalten Totenschädel zusammengezimmert und "Great Dane" (Dogge) betitelt. Sie ist eine von sieben Skulpturen nicht-menschlicher Tiere - unter anderem Wolf, Bär, Bison, Moschusochse -, alle kombiniert aus Tierschädeln und gefundenen Materialien, die der Künstler als "The Largest Mammals in Europe" im Arsenale ausstellt.

Seine hybriden Skulpturen aus Möbelstücken (der Bisonkörper besteht aus einem Kleiderschrank), industriellen Materialien und gebrauchter Kleidung haben die ungefährere Größe ihrer lebenden Vorbilder und sie bestechen durch ihren Charakter und Ausdruck. Trotzdem sind es keine Tierporträts, sondern poetische Annäherungen und Verschränkungen, die einerseits unsere herkömmliche Vorstellung von der Trennung zwischen Tier und Mensch herausfordern und andererseits die Spezies eindringlich darstellen, die durch den Menschen bedroht sind.

 

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Brown Bear, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Wolf, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Musk Ox, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Durhams Werk kommt ohne viel Bedeutungsgenerierung und Referenzkultur aus, wenngleich die Verwendung von Tierschädeln und Skeletten besonders in der zeitgenössischen Kunst der indigenen Völker Nordamerikas häufig vorkommt und man sie mit Tod und Aussterben in Verbindung bringen kann. Insoferne passen die Knochen natürlich zu seinen Skulpturen, die den vom Aussterben bedrohten europäischen Säugetieren gewidmet sind.

Seine aus unterschiedlichsten Objekten und Werkstoffen bestehenden Werke können unterschiedliche Assoziationen auslösen. Jimmie Durham sagt dazu:

 

Wenn ich ein Stück Holz sehe, den Schädel eines Hundes, eine Plastikflasche, dann fühle ich, dass es da eine Verbindung gibt. Jeder dieser Gegenstände hat eine politische und materielle Geschichte, die ähnlich meiner eigenen ist.

 

Der inzwischen fast 80jährige Jimmie Durham wurde auf der Biennale mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Ralph Rugoff begründet die Entscheidung damit, dass Durham immer gute Arbeit geleistet habe, ohne viele Preise gewonnen oder Ausstellungen in der Tate oder dem Centre Pompidou gehabt zu haben. Stattdessen habe Jimmie ein großes Herz und viel Sinn für Humor.

Jimmie Durham (*1940/USA, lebt und arbeitet in Berlin) ist ein Bildhauer, Konzeptkünstler, Performer und Schriftsteller, Essayist. Er verweigert sich einer einfachen Einordnung. Er war auch politischer Aktivist, in der US-Bürgerrechts- und der Indigenenbewegung aktiv, 1974 wer er z.B. Mitbegründer des International Indian Treaty Council.

Mit Jimmie Durham habe ich auch eine lange unübersichtliche Debatte kennengelernt, die hinsichtlich Fragen der Identität und Identitätspolitik als exemplarisch gelten kann und während einer großen Durham-Retrospektive 2017 (Walker Art Center) ihren Höhepunkt fand. Diskutiert wurde sein Anspruch auf Ureinwohner-Abstammung, auf ein Cherokee-Erbe, das er selbst sowohl behauptet, als auch bestritten hat.

Ich möchte auf diese Jahrzehnte dauernde Debatte nicht näher eingehen, sondern nur auf die Webseite Hyperallergic verweisen, die mir einen ersten interessanten Einblick gegeben hat.

Möglicherweise passen an das Ende meines Blogbeitrags seine melancholischen Worte aus einem Interview für das Whitney Museum of American Art vom Oktober 2017 sehr gut: (zit. nach The Bag. Biennale Art Guide 2019, S 46)

 

These days, it sounds stupid to say "I´m a citizen oft the world". I don´t think I´m a citizen, I think I´m a homeless person in the world. I like to be that way. I think, in the long run, it might help me making better art, a more serious art.

 

Ausstellung, Skulptur
5. Juni 2019 - 14:10

Vor Kurzem zeigte das Wiener Untere Belvedere die spannende und viele neue Einblicke gewährende Ausstellung "Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938. Stadt der Frauen". Zu sehen war weibliches Kunstschaffen von der Wiener Moderne bis zur Neuer Sachlichkeit. In diesem Zusammenhang lernte ich erstmals das Werk von Olga Wisinger-Florian (1844-1926) kennen, einer österreichischen Künstlerin, die dem Stimmungsimpressionismus zuzurechnen ist. Sie gehörte zu den erfolgreichen Landschafts- und Blumenmalerinnen der österreichischen Kunst zwischen 1885 und 1910.

Ab 1881 waren ihre Gemälde regelmäßig auf den Jahresausstellungen des Künstlerhauses, später häufig auch auf Secessions- und Hagenbund-Ausstellungen zu sehen. Mit der Teilnahme an internationalen Ausstellungen in München, Berlin, Prag, London und Paris sowie an den Weltausstellungen (Paris und Chicago) folgte rasch auch internationale Anerkennung. Weiters war sie Gründungsmitglied von "Acht Künstlerinnen" (1900) und der "Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs" (1910). Sie förderte sowohl Künstlerinnen als auch die Akzeptanz von weiblichem Kunstschaffen und verkehrte in den Kreisen der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Ihre Freundschaft mit Bertha von Suttner führte sie zu politischem Engagement in der Friedensbewegung.

 

Olga Wisinger-Florian, Fallendes Laub, 1899, Foto: Belvedere, Wien/Johannes Stol
Olga Wisinger-Florian: Fallendes Laub (Buchenallee in Hartenstein),1899,
Öl auf Leinwand, 96 x 128 cm, Belvedere, Wien; Foto: Belvedere, Wien/Johannes Stoll
 

Meist beschränkte sich Olga Wisinger-Florian auf die Darstellung der stimmungsvollen, aber menschenleeren Landschaft, zeigte uns deren Schönheit mit pastosem Farbauftrag. Zwischen lyrischem Realismus und Stimmungsimpressionismus changiert ihr Herbstbild "Fallendes Laub" von 1899. Wie schön, dass die Dame auf ihrem Spaziergang in die perspektivische Tiefe einen Hund an ihrer Seite hat. Beide sind umschlossen von einem Blätterdach und folgen dem Geländer, bis sich der Weg zu einem Punkt verengt. Das Bild überzeugt durch seine Farbstimmung, das Flirren des Laubes und die reduzierte halt- und formgebende Struktur.

Nun ist ihr eine umfassende Personale - Olga Wisinger-Florian. Flower-Power der Moderne - in der Sammlung Leopold gewidmet, die noch bis zum 21. Oktober 2019 zu sehen ist.

Quellen: Sammlung Leopold, Art in Words

 

Ausstellung, Malerei